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# taz.de -- Marathon ist Männersache: Diese Anstrengung, dieser Schweiß!
> Bis Anfang der Siebziger durften in den USA nur Männer Marathon laufen.
> Kathrine Switzer rannte als erste Frau mit: von der Angst der Männer, von
> Frauen überholt zu werden.
Bild: Die Frauen sind auch beim Marathon auf dem Vormarsch: Laufen als feminist…
Hörte das nicht auf? Diese Nadelstiche in den Oberschenkeln. Als würde jede
einzelne Muskelfaser traktiert. Und dann die Füße. Voller Blutblasen.
Brennender Schmerz und ein kalter, feuchter Abend im Frühjahr, Boston 1967.
Kathrine Switzer nimmt ihre Startnummer vom Oberkörper, geht auf Socken
durch gefrierende Regenpfützen. Jeder Schritt tut weh. Sie lächelt.
"Sie waren schlimm, aber sie haben sich gelohnt", sagt Kathrine Switzer
heute über ihre Schmerzen von damals. Darüber, dass sie am 19. April 1967
einen Marathon lief. Als erste angemeldete Frau. Darüber, dass sie ihn
lief, obwohl der Langstreckenlauf bis Anfang der Siebziger nur Männern
erlaubt war.
42,195 Kilometer war sie durch Boston gerannt. Mit dem uneindeutigen Namen
K. V. Switzer - für Kathrine Virginia Switzer - hatte sie sich auf die
Liste der Läufer und in eine reine Männerdomäne geschlichen. Und wurde doch
entdeckt. Jock Semple, der Renndirektor der Veranstaltung selbst, hatte die
Frau mit dem grauen Jogginganzug in den Reihen der Starter gesehen - und
reagiert. "Er war wütend", sagt Kathrine Switzer, "und ich hatte Angst,
dass dieser Mann mir mein großes Ziel nimmt."
Semple versuchte, Switzer von der Strecke schubsen, "raus aus meinem
Rennen!", rief er immer lauter. Bis Switzers Trainer, gemeinsam mit ihrem
Mann, den Renndirektor aus der Bahn stieß, den ersten Marathonwettkampf,
den eine Frau bestritt, erzwang. Mit Gewalt.
## "Nicht diese Entfernung"
"Die Männer hatten Angst, überholt zu werden", sagt Kulturwissenschaftlerin
Teresa Brinkel, die sich mit der Geschichte und Entwicklung des Frauenlaufs
befasst hat. "Eine laufende Frau: Das war unüblich und neu - und stieß auf
Widerstand."
Ihr verwandelt euch in Männer, schrien die einen, mit einem vermeintlichen
Verlust der Fruchtbarkeit argumentierten die anderen. Frauen im
Langstreckenlauf? Konnte sich ein Großteil der Gesellschaft nicht
vorstellen, noch Mitte der Sechziger nicht. Damensport hatte ästhetisch zu
sein, schick und möglichst sauber. Wie Tennis, einem Sport mit weißen
Röcken, der mittlerweile geduldet wurde. Wie Kunstturnen, einem Sport, der
schon seit 1928 olympisch war. Kunstturnen, das bedeutete enge Kleidung,
Pferdeschwanz, Eleganz. Aber Marathon, diese Anstrengung, dieser Schweiß!
Das war was für echte Männer.
"Selbst mein Trainer glaubte nicht, dass ich es schaffen würde", sagt
Kathrine Switzer, eine Frau könne den Boston-Marathon nicht laufen, "nicht
diese Entfernung" habe er ihr wieder und wieder eingebläut. "Bis ich es ihm
im Training bewies."
Die Fakten hatten ihm nicht gereicht. Dass schon Frauen vor Switzer einen
Marathon gelaufen waren, aber eben nicht angemeldet. Der Internationale
Leichtathletik-Verband führt Violet Piercy als erste Frau, die diese
Distanz - inoffiziell - lief. London, 1926, drei Stunden vierzig. Bobbi
Gibb, die 1966 und 1967 den Boston Marathon mitrannte - wiederum
inoffiziell - spornte Kathrine Switzer an, bot ihr den Anlass, eine
Startnummer auf ihr eigenes T-Shirt zu heften und sich mit den
Laufinstitutionen anzulegen.
Sie gründete den Laufverein Syracuse Track Club mit, setzte sich beim
amerikanischen Straßenlauf-Club für Frauenläufe ein, nahm zu Jock Semple
wieder Kontakt auf, zu dem Mann, der sie damals von der Strecke zerren
wollte. Bis der Druck zu groß wurde, die Forderungen von Sportverbänden und
Medien nicht mehr überhört werden konnten, Semple beim Bostoner Rennen 1972
verkündete: "Ihr Frauen seid willkommen."
"Eigentlich", sagt Switzer dazu, "müsste ich diesen Mann hassen, aber
letztlich hat er dafür gesorgt, dass der Frauenlauf in den USA akzeptiert
wurde." Leichtathletikverbände anderer Länder waren da längst in die Gänge
gekommen. Im Schwarzwald-Marathon, gegründet 1968, gab es von Beginn an ein
Frauenfeld.
## Die Frauen laufen den Männern davon
Switzer war 1974 die Schnellste, Siegerin des New-York-Marathons, 400 Läufe
in 27 Ländern hat sie mitorganisiert und so erreicht, dass der Frauenlauf
olympisch wurde. Die körperlichen Strapazen gab sie Ende der Siebziger auf.
Sie rannte nicht mehr. Sie hatte jetzt eine andere Aufgabe: das Frauenbild.
"Bis heute definieren sich viele Frauen über ihren Körper", sagt
Kulturwissenschaftlerin Brinkel. Switzer sagt: "Wenn Frauen erst einmal
erfahren, was ihr Körper zu leisten imstande ist, ändern sie ihr
Schönheitsideal, dünn und glatt sein zu wollen." Ob der Frauenlauf, ob
Frauenfußball und Frauenboxen wichtige feministische Bewegungen waren?
"Definitiv", sagt sie. Dreimal sagt sie es.
Laufen die Frauen den Männern bald davon? Florence Kiplagat aus Kenia hängt
die Männer jedenfalls reihenweise ab. 25.500 Männer ließ sie hinter sich,
als sie Ende September den Berlin-Marathon gewann. Und: Lag der
Frauenanteil bei den deutschen Läufen Anfang der Neunziger unter 10
Prozent, machen heute fast ein Viertel des Feldes Frauen aus. In den USA
sind es bereits 40 Prozent.
"Von absoluter Gleichstellung kann noch keine Rede sein", meint Brinkel. In
westlichen Ländern sei die absolute Gleichstellung bloß noch eine Frage der
Zeit, glaubt Switzer. "In Ländern wie Spanien ist es zwar weiterhin
unüblich, dass Frauen auf der Straße laufen. Aber wir stehen kurz davor."
Sie steht direkt dabei. Am Sonntagmorgen, kurz nach neun, wird Kathrine
Switzer zusehen, wenn 15.000 Frauen den New York City Marathon laufen. Sie
wird ihn moderieren und sich daran erinnern, wie sie vor zwei Jahren noch
einmal wissen wollte, ob sie "die Beine für einen Marathon" hat.
Sie hatte: Ein Bergmarathon in Neuseeland, 2010. Fünfeinhalb Stunden. Der
Stadtmarathon in Berlin, 2011. Vier Stunden und 36 Minuten.
4 Nov 2011
## AUTOREN
Jens Uthoff
Jens Uthoff
## TAGS
Kolumne Erste Frauen
Gleichberechtigung
Sandy
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