# taz.de -- Marathon in China: Kein Volkssport in der Volksrepublik | |
> Beim Marathon durchs mongolische Grasland zeigt sich: Laufen ist in China | |
> weit entfernt davon, ein Breitensport zu werden. Der Grund ist das | |
> fehlende Vereinsrecht. | |
Bild: Voll war es nicht beim Grassland-Marathon von Xiwuzhumuqinqi. | |
XIWUZHUMUQINQI taz | ur 30.000 Einwohner leben in Xiwuzhumuqinqi. Das | |
Städtchen liegt im Norden der Volksrepublik China, nicht allzu weit | |
entfernt von der Grenze zur Mongolei. Für eine gewisse Bekanntheit sorgt | |
allein der Genghis Khan Grassland Extreme Marathon, der seit fünf Jahren in | |
der endlosen grünen Steppe ausgetragen wird. | |
In diesen fünf Jahren ist die Zahl der Teilnehmer zwar beständig gestiegen, | |
aber auch bei der diesjährigen Auflage gingen gerade einmal 150 Läufer und | |
Läuferinnen an den Start. Und über zwei Drittel davon waren Ausländer. | |
Marathon mag im Westen längst Breitensport sein – im Riesenreich China ist | |
er davon noch weit entfernt. | |
Vehement gefördert wird nur der Spitzensport, bei den Olympischen Spielen | |
in Peking versuchte China seinen ersten Platz im Medaillenspiegel zu | |
verteidigen. Volkssport dagegen spielt in der Volksrepublik – abgesehen von | |
Frühgymnastik oder Tai Chi – nur eine Nebenrolle. Vor allem Kinder sind mit | |
der Schule und dem allgegenwärtigen Leistungsdruck so eingespannt, dass | |
keine Zeit bleibt für Hobbys oder Sport. | |
Trotzdem gibt es mittlerweile 20 Marathonveranstaltungen in China. Allein | |
in Deutschland allerdings sind es zehnmal so viele pro Jahr. Einige der | |
chinesischen Läufe können sogar beeindruckende Teilnehmerzahlen aufweisen, | |
allen voran Xiamen mit 73.643 und Lanzhou mit 32.685 Anmeldungen. | |
## Symbolische 4.219 Meter | |
Diese Anmeldungen sind aber oft nicht ganz freiwillig: Viele Schulen, | |
Unternehmen und Behörden entsenden Teilnehmer, die dann auch nicht die | |
ganze Strecke laufen, sondern nur symbolische 4.219 Meter gehen. In Xiamen | |
bewältigten in diesem Jahr immerhin 18.358, in Lanzhou aber nur 1.065 | |
LäuferInnen die volle Distanz. | |
Der Grund für die geringe Zahl chinesischer Marathonveranstaltungen ist vor | |
allem das fehlende Vereinsrecht. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) | |
werden in China von der Regierung immer noch argwöhnisch überwacht. Will | |
sich eine NGO registrieren, braucht sie die Erlaubnis einer staatlichen | |
Aufsichtsbehörde. | |
Die muss sich dazu bereit erklären, in Zukunft alle politische | |
Verantwortung für diese NGO zu übernehmen, bevor sie sich dann im | |
Innenministerium offiziell registrierten kann. | |
Selbst wenn also das zuständige Sportamt ausnahmsweise einmal dazu bereit | |
wäre, die Aufsicht über einen Laufklub zu übernehmen, würde es ihm trotzdem | |
nie die Durchführung einer Großveranstaltung wie einem Marathon genehmigen. | |
Die großen chinesischen Stadtmarathons werden deswegen alle von den | |
Sportämtern der jeweiligen Städte selbst organisiert. | |
## Angebot an ausländische Kunden | |
Und reine Spaßrennen wie die drei verschiedenen Great-Wall-Marathons oder | |
eben der Grassland-Marathon von Xiwuzhumuqinqi werden von ausländischen | |
Reiseveranstaltern durchgeführt, die der Logik der chinesischen Behörden | |
nach unverdächtiger sind, weil sie profitorientiert arbeiten. | |
Doch solche Veranstaltungen richten sich mit ihrem entsprechend teureren | |
Angebot vor allem an ausländische Kunden. Entsprechend gering ist der | |
Anteil einheimischer Teilnehmer. Gern aber schickt das Sportamt ein oder | |
zwei Eliteläufer, damit der Sieg im Lande bleibt. So auch in | |
Xiwuzhumuqinqi, wo der Chinese Yun Yanqiao mit 3:05:20 Stunden und über | |
1.500 Meter Vorsprung ins Ziel kam. | |
Voll war es also nicht in Xiwuzhumuqinqi: Noch direkt vor dem Start gab es | |
Plätze in der ersten Reihe. Die Strecke führte erst einen Kilometer aus der | |
Stadt hinaus, an der Hadatu-Kohlenmine vorbei und dann hinein ins endlose | |
Grasland. Die Halme reichen hier bis ans Knie. | |
Nicht weit entfernt erinnert ein Denkmal daran, dass Dschingis Khan hier | |
angeblich zwei entlaufene Lieblingspferde wiedergefunden haben soll. Seit | |
seinen Lebzeiten dürfte sich die wundervolle Landschaft kaum verändert | |
haben. Allerdings: Das, was der Veranstalter „Grassland“ nennt, ist für den | |
ortsansässigen Mongolen vor allem Kuh-, Schaf- und Pferdeweide. | |
## „Leave no Trace“ | |
Und auf der landete während des Rennens manches, was da nicht hingehörte. | |
Denn zwar hatten die Veranstalter angekündigt, sie würden die Aktion „Leave | |
no Trace“ unterstützen. Das Entsorgen von Müll sei deswegen nur in | |
gekennzeichneten Zonen rund um die Erfrischungsstationen erlaubt. Im | |
Kleingedruckten wurde bei Zuwiderhandlungen sogar mit einer Streichung aus | |
der Ergebnisliste gedroht. | |
Schlussendlich waren aber weder Zonen gekennzeichnet noch Mülleimer | |
aufgestellt worden. Auch die zwei extra aus Peking angereisten jungen | |
Frauen, Freiwillige der vor zwei Jahren mit viel Mühe registrierten | |
chinesischen Umwelt-NGO Friends of Nature, bekamen weder von der lokalen | |
Regierung noch vom ausländischen Reiseveranstalter Gelegenheit, über „Leave | |
no Trace“ zu sprechen – und meldeten sich kurz entschlossen für die | |
10-Kilometer-Distanz an, kauften sich Sportschuhe und liefen mit. | |
Ein anderes Problem offenbarte sich erst am Ziel. „Zu lang“ war die | |
Strecke, stellte nicht nur Peter fest, der als Ingenieur für ein | |
norwegisches Verpackungsunternehmen arbeitet. Nachdem er mongolischen | |
Kindern Autogramme auf die Rückseite von Startnummern gegeben hat, zeigte | |
er auf seine GPS-Uhr. „Hier: 44,5 Kilometer.“ | |
## Mehr Zäune | |
Auch Björn von einem dänischen Windkraftanlagen-Zulieferer hat so eine Uhr, | |
nach der er sogar 44,7 Kilometer gelaufen ist. Der Veranstalter bemühte | |
sich zwei Stunden nach dem Lauf auf seiner Website um eine Erklärung: „Weil | |
die Bauern hier und dort ein paar neue Zäune gezogen hatten, war die | |
Strecke am Schluss dann doch 44 Kilometer lang.“ | |
Sollten die Viehzüchter im kommenden Jahr, wütend über die Plastikflaschen | |
und Pappbecher auf ihren Weiden, noch mehr Zäune ziehen, wird der Marathon | |
ja womöglich sogar noch länger. Aber in einem Land, in dem selbst eine | |
solch historische Strecke problemlos den Realitäten angepasst wird, sollte | |
auch das Laufen bald zum Breitensport werden. | |
13 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Wolf Kantelhardt | |
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