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# taz.de -- Dopingverdacht bei Langstreckenläufern: Invasoren aus dem Hochland
> Kenianer bestimmen den Ausgang der großen Straßenläufe in Europa und
> Amerika. Da sie dabei immer schneller werden, kommen Dopinggerüchte auf.
Bild: Unter Generalverdacht: Langstreckenläufer aus Afrika sollen nur wegen Do…
Es sind jedes Jahr hektische Zeiten für Gerard van de Veen Ende Oktober,
Anfang November. Von Voorthuizen nach Frankfurt, von Frankfurt wieder
zurück, von Voorthuizen nach Amsterdam und dann mit dem Flieger nach New
York. Alles binnen weniger Tage. Doch Stippvisiten bei den bedeutendsten
Marathon-Veranstaltungen des Herbstes sind unerlässlich für einen, der zu
den erfolgreichsten Managern kenianischer Spitzenläufer zählt.
Noch vor zehn Jahren verdiente der Familienvater aus der niederländischen
Provinz Gelderland sein Geld damit, Wohnungen und Immobilien zu verkaufen
und zu verwalten, mittlerweile stapeln sich in seinem Haus neben
Trainingsanzügen und Stoppuhren auch CDs mit kenianischer Musik und DVDs
von den größten Lauf-Events der Welt. "Wenn meine Athleten bei mir zuhause
sind, müssen sie sich wohl fühlen. Und ich muss ihnen vorführen, wofür sie
das alles machen", erklärt van de Veen und grinst.
Der 58-Jährige hat gut lachen, denn offensichtlich besitzt er das richtige
Erfolgsrezept. Vergangenen Sonntag ist der von ihm betreute Wilson Kipsang
in Frankfurt mit 2:03:42 Stunden nur vier Sekunden am Weltrekord
vorbeigeschrammt und dafür mit 95.000 Euro Preisgeld belohnt worden, am
kommenden Sonntag in New York (15 Uhr, Eurosport) jagt sein Zögling
Geoffrey Mutai die Siegprämie von 130.000 Dollar. "Geoffrey ist sehr gut in
Form, sehr klar im Kopf und sehr schnell", behauptet van de Veen, und für
Mutais Konkurrenten, den mit ihm nicht verwandten Emmanuel Mutai oder den
äthiopischen Vorjahressieger Gebre Gebremariam, hört sich das nicht gut an.
## "Mir wird fast schwindlig"
Zumal über die 42,195 Kilometer noch nie jemand schneller war als eben
Geoffrey Mutai, Ältester von neun Geschwistern und geboren in der Höhenluft
der Provinz Rift Valley. Er rannte am 18. April dieses Jahres in Boston
eine Fabelzeit von 2:03:02 Stunden. Sie fand allerdings als Bestmarke bei
der IAAF kein Gehör, weil der dortige Punkt-zu-Punkt-Kurs ein Gefälle von
140 Höhenmetern aufweist und zudem ein heftiger Rückenwind blies.
Das magische Massenereignis von New York taugt für eine solche Hatz wegen
seines welligen Profils allerdings nicht, doch allemal interessant wird
sein, ob der 30-jährige Mutai bei der Ankunft im Central Park den zehn
Jahre alten Streckenrekord des Äthiopiers Tesfaye Yifar (2:07:43) bricht.
Eine neue kenianische Bestmarke beim größten Marathon der Welt wäre nur die
logische Folge einer wahnwitzigen kenianischen Tempojagd in der
Königsdisziplin des Laufsports.
"Mir wird fast schwindlig", hat Frankfurts Renndirektor Jo Schindler beim
Blick auf die Bestzeiten seines Rennens zugegeben, als die kenianischen Top
Ten in einer unwirklichen Durchschnittszeit von 2:05:45 Stunden unterwegs
waren. Mittlerweile führen die aktuelle Weltrangliste 19 Läufer aus Kenia
an. Auch die ewige Jahresweltbestenliste wird mit einer Ausnahme von ihrer
Armada dominiert.
Allein die äthiopische Lauflegende Haile Gebrselassie hat da mit seinen
2:03:59 Stunden vor drei Jahren in Berlin noch Platz. Und es klingt wie
eine Drohung, wenn Kenias NOK-Präsident Kipchoge Keino, selbst ein Laufidol
der 60er Jahre, weitere Überholmanöver ankündigt: "Das war noch nicht
alles. Mehr als ein halbes Dutzend unserer Läufer können den Weltrekord
brechen. Und wir brauchen dafür kein Doping."
## Bis 2009 gab es in Afrika keinerlei Blutanalysen
Daran gibt es erhebliche Zweifel, auch wenn es bis dato keine spektakulären
Dopingfälle gibt, die auf eine breite Verseuchung mit dem Blutdopingmittel
Epo hindeuten. Das Kontrollnetz für Sportler in Afrika ist nicht gerade
engmaschig. Auf dem ganzen Kontinent gibt es seit der Suspendierung des
Analyse-Instituts in Tunis nur noch ein einziges von der
Welt-Anti-Doping-Agentur akkreditiertes Labor, das Urinproben untersucht.
Das Labor, das erst seit 2010 auch Blutanalysen durchführen kann, liegt
weit weg von Kenia - im südafrikanischen Bloomfontein.
Blutanalysen haben bis 2009 in Afrika gar nicht stattgefunden. Das gab der
Internationale Leichtathletikverband am Rande der WM 2009 in Berlin zu. Und
Trainingskontrollen, die die IAAF angeordnet hat, betreffen längst nicht
jeden kenianischen Spitzenläufer. Im von der IAAF veröffentlichten
Testprotokoll für das Jahr 2010 fehlt der Name von Frankfurt-Sieger Kipsang
genauso wie der von Fabelzeitläufer Mutai. Sie wurden schlichtweg nicht in
der Vorbereitung auf große Läufe getestet.
Glaubt man dem in Österreich verurteilten Dopingdealer Stefan Matschiner,
dann kennen kenianische Läufer kaum Hemmungen, was Doping angeht. Der
Sportmanager, der den österreichischen Radstar Bernhard Kohl ebenso mit
Dopingmitteln versorgt hat wie das österreichische Langlauf- und Biathlon,
hat auch etliche Mittel- und Langstreckenläufer aus Kenia betreut. In
seiner 2010 erschienenen Dopingbeichte "Grenzwertig" schreibt er über seine
kenianischen Klienten: "Ich musste nicht aktiv auf sie zugehen, manche
kamen ganz offen auf mich zu und fragten, ob ich nicht ,special vitamins'
für sie besorgen könne." An einer anderen Stelle schreibt er: "Es hatte
sich offenbar bis ins letzte Dorf herumgesprochen, mit welchen Methoden man
in Europa arbeitet, um aus Hoffnungs- echte Leistungsträger zu machen."
In diesen Dörfern liegen die eigentlichen Ursachen für die kenianische
Dominanz, das behaupten Laufexperten wie Herbert Steffny. Im Volk der
Kalendjin, das im Nordwesten des Landes nur ein Achtel der
Gesamtbevölkerung, aber fast alle Topläufer stellt, seien Marathonläufer
wie Makau oder Mutai Vorbilder "wie bei uns Schweinsteiger und Ballack".
Und wie es in Deutschland im Fußball eine flächendeckende Talentsichtung
gebe, werde speziell in den Hochland-Hochburgen wie Iten oder Eldoret
längst eine sehr strukturierte Auslese unter den vielen natürlich Begabten
betrieben, die als Kind oft mehr als 30 Kilometer am Tag laufend
zurücklegen, nur um zur Schule zu kommen. Die Auslese ist dabei brutal. Die
FAZ zitiert den Kolumnisten Macharia Gaitho in Nairobi mit folgenden
Worten: "Die Erlöse (bei den großen Marathonrennen) sind großartig. Aber
die Dollar-Schecks sind mit Blut, Schweiß und Tränen geschrieben."
## Knallharte Auslese
Viele ehemalige Spitzenläufer Kenias haben Trainerjobs übernommen, der
Verband kooperiert mit ausländischen Camp-Betreibern, einheimische Läufer
wie Wilson Kipsang lassen Hotels bauen, die Infrastruktur verbessert sich
stetig. Hinzu kommt der Anschub, den die knallharte Auslese in den großen
Trainingsgruppen bedingt. Steffny: "Kenianer treten heute mit einem
unglaublichen Selbstbewusstsein bei den großen Rennen an. Vorbei die
Zeiten, als sie sich taktisch ungeschickt verhielten."
Der Rest der Welt ist bei der Fülle an schwarzen Topläufern, die sich in
der Öffentlichkeit arg bescheiden und sehr zurückhaltend geben, mehr oder
weniger desillusioniert. Der deutsche Langstreckler Jan Fitschen, der mit
einer international drittklassigen 2:15:40 die DLV-Jahresbestenliste
anführt, sagt: "Auf die Marathonstrecke zu gehen, ist für einen Deutschen
aus wirtschaftlicher Sicht die falsche Entscheidung.
Für einen Kenianer ist es die einzige." Tatsächlich reichen ein paar 100
Euro Preisgeld schon, um sich mehr Kühe oder eine bessere Hütte zu leisten
- und den Lebensstandard einer ganzen Familie zu verbessern. Längst lassen
die meisten Kenianer die einst typische Karriere über die Mittelstrecken
auf der Bahn und den beschwerlichen Weg über Cross- und Hindernisläufe aus
- und versuchen sich gleich im Marathon, wo das Geld auf der Straße liegt.
Für Athleten. Und für Manager wie Gerard van de Veen.
4 Nov 2011
## AUTOREN
Frank Hellmann
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