# taz.de -- Koalitionskompromiss: "Peinliches Pflege-Reförmchen" | |
> Für Minister Bahr ist der Koalitionskompromiss zur Pflegereform | |
> wegweisend: Erstmals werde gezielt etwas für die Demenzkranken getan. | |
> Pflegeverbände und Opposition zeigen sich dagegen bestürzt. | |
Bild: Mit 2,55 Euro am Tag die Pflege verbessern – das ist das Ergebnis der K… | |
BERLIN dpa | Opposition und Sozialverbände haben sich tief enttäuscht über | |
den Kompromiss der Koalition auf eine Pflegereform gezeigt. | |
Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) dagegen kündigte am Montag in Berlin | |
erstmals gezielte Verbesserungen für die immer zahlreicheren Demenzkranken | |
(Altersverwirrten) in Deutschland an. | |
Die Koalitionsspitzen einigten sich am Sonntag auf eine Beitragsanhebung um | |
0,1 Punkte auf 2,05 Prozent zum 1. Januar 2013. Mit dem Geld - gut eine | |
Milliarde Euro mehr - sollen die ambulanten Geldleistungen bei erhöhtem | |
Betreuungsbedarf gesteigert und die Betreuung in Heimen verbessert werden. | |
Bahr sagte: "Wir setzen diese begrenzten Mittel jetzt ganz gezielt ein, um | |
die ambulante Pflege bei Demenz zu verbessern." | |
Zudem sollen Versicherte steuerliche Anreize für eine freiwillige Vorsorge | |
nach dem Muster der Riester-Rente bekommen. Die von der FDP seit Monaten | |
geforderte Verpflichtung zum Ansparen ist damit vom Tisch. Bahr zeigte sich | |
dennoch zufrieden, dass der Einstieg in eine Kapitaldeckung gelungen sei. | |
In seinem Ministerium verweist man darauf, dass es 16 Millionen Verträge | |
für Riester-Rente und 18 Millionen für betriebliche Altersvorsorge gebe. | |
Das neue Angebot werde breit angenommen werden. | |
Bis Ende der Wahlperiode sollen Arbeiten an einer systematischen | |
Besserstellung der Demenzkranken in der Pflegeversicherung abgeschlossen | |
sein. Dazu soll ein Regierungsbeirat wieder eingesetzt werden, der bereits | |
Bahrs Vorvorgängerin Ulla Schmidt (SPD) vor zweieinhalb Jahren beraten | |
hatte. Bahr unterstrich, erstmals werde das Thema Demenz richtig angepackt. | |
## Verzögerungstaktik und Hilflosigkeit | |
Der Deutsche Pflegerat kritisierte den Kompromiss als völlig unzulänglich. | |
"Es ist erschreckend, dass sich bei der Koalition in dieser Frage | |
Verzögerungstaktik und Hilflosigkeit paaren", sagte Präsident Andreas | |
Westerfellhaus der Nachrichtenagentur dpa. Besonders kritisierte er, dass | |
noch Jahre vergehen sollen bis zu grundlegenden Verbesserungen für Demente | |
mit Hilfe des Beirats. Pflegebedürftige und Angehörige dürften sich | |
verschaukelt fühlen. | |
Der Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, sprach von einer | |
Farce: "Die Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung wird an einer | |
einfachen Rechnung deutlich: Mit genau 2,55 Euro pro Tag wollen die | |
Koalitionäre die Versorgung dementiell erkrankter Menschen verbessern." Die | |
Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, Ulrike Mascher, sagte, eine | |
geringfügige Beitragsanhebung reiche bei weitem nicht. Für den | |
"Pflege-Riester" seien Geringverdiener, Chroniker und Behinderte finanziell | |
oft gar nicht in der Lage. | |
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles kritisierte den geplanten | |
"Pflege-Riester" als "Konjunkturprogramm für die private | |
Versicherungswirtschaft". SPD-Fraktionsvorsitzenden Elke Ferner sagte: | |
"Kurz bevor das von Ex-Gesundheitsminister Rösler ausgerufene Jahr der | |
Pflege endet, präsentiert die Bundesregierung ein peinliches | |
Pflege-Reförmchen." Die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin | |
Barbara Steffens (Grüne) sagte: "So kann man nicht mit Menschen umgehen." | |
DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann kritisierte die Anhebung des | |
Beitragssatzes. "Immerhin fällt die Beitragsanhebung geringer aus als | |
befürchtet und wird durch eine sinnvolle freiwillige, kapitalgedeckte | |
private Vorsorge ergänzt." | |
Von den 1,2 Millionen Altersverwirrten werden etwa 750 000 mit geringer | |
Hilfe zu Hause gepflegt. Laut Berechnung des Regierungsbeirats aus dem Jahr | |
2009 kostet eine Neueinstufung von Dementen je nach Umfang bis zu vier | |
Milliarden Euro. Insgesamt beziehen 1,67 Millionen Menschen ambulante und | |
rund 750 000 stationäre Leistungen aus der Pflegekasse. Bis 2060 verdoppelt | |
sich die Zahl allein der Dementen laut Barmer-GEK-Pflegereport auf 2,5 | |
Millionen. | |
7 Nov 2011 | |
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