# taz.de -- Reform der Pflegeversicherung: Je älter und weiblicher, desto teur… | |
> Der Staat will eine zusätzliche private Pflegeversicherung | |
> subventionieren. Kranken hilft das nicht. Die Versicherungen dürften sich | |
> genau aussuchen, wen sie aufnehmen. | |
Bild: Private Pflegeversicherungen können sich ihre Versicherten quasi nach Gu… | |
BERLIN taz | Weiblich, 40, Diagnose Multiple Sklerose. Oder männlich, 50, | |
Parkinson im Anfangsstadium: Es ist gut möglich, dass Menschen mit | |
chronischen Krankheiten eines Tages pflegebedürftig sein werden. Ebenso gut | |
möglich ist, dass diese Menschen, eben weil sie um ihr Risiko wissen, gern | |
privat vorsorgen wollen für den Fall, dass sie eines Tages professionelle | |
Pflege benötigen und das Geld aus der Pflegepflichtversicherung nicht | |
reicht. | |
Allein: Ausgerechnet diesen Menschen, an die der Bundesgesundheitsminister | |
Daniel Bahr (FDP) möglicherweise auch gedacht hat, als er zu Wochenanfang | |
die freiwillige private Pflegezusatzversicherung propagierte und hierfür | |
staatliche Förderung in Aussicht stellte, sollen solche Verträge verweigert | |
werden. | |
Der Verband der privaten Krankenversicherung (PKV) jedenfalls hat gegenüber | |
der taz klargestellt, dass Menschen mit diagnostizierten chronischen | |
Krankheiten oder Pflegerisiken - beispielsweise aufgrund ihres hohen Alters | |
- nicht zu der Klientel gehören, mit denen die Privatversicherer künftig | |
staatlich geförderte Pflegezusatzverträge abzuschließen gedenken. Und die | |
Politik scheint derzeit machtlos gegenüber solch diskriminierendem | |
Verhalten. Der Grund: "Anders als bei einer Pflichtversicherung gibt es für | |
freiwillige private Zusatzversicherungen keinen Kontrahierungszwang", so | |
ein PKV-Verbandssprecher. | |
Kein Kontrahierungszwang, das heißt übersetzt: Weil für | |
Zusatzversicherungen von Gesetzes wegen keine Pflicht zum Abschluss eines | |
Vertrags besteht, können sich die Unternehmen ihre Versicherten quasi nach | |
Gutdünken auswählen. Oder für die Unerwünschten so horrende | |
Versicherungsprämien verlangen, dass diese Kunden freiwillig Abstand | |
nehmen. | |
## Versicherungsmathematisches Kalkül | |
Mit mangelnder Barmherzigkeit hat das nach Angaben der PKV nichts zu tun, | |
sondern einzig mit "versicherungsmathematischem Kalkül": "Sonst könnte man | |
ja erst bei Eintritt des Schadens beitreten. So funktioniert aber keine | |
Versicherung", sagt der Sprecher. Freiwillige private Zusatzversicherungen | |
zeichneten sich dadurch aus, dass sie Risikoversicherungen seien. Was das | |
bedeutet? "Eine Versichertengemeinschaft kann nur Risiken abdecken, die bei | |
Versicherungsbeginn für alle gleichermaßen ungewiss sind. Daher ist eine | |
bereits bestehende chronische Erkrankung kein versicherbares Risiko", | |
erläutert der Sprecher. | |
Solange es sich um rein private Versicherungsangebote handelt, mag das ja | |
angehen. Was aber, wenn, wie im Fall der vom Bundesgesundheitsminister | |
angekündigten Pflegezusatzversicherung, auch staatliche Fördermittel in den | |
Topf der Privatversicherer fließen sollen? "Dann", sagt der Jurist Dieter | |
Lang, Pflegeexperte bei der Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin, | |
"ist das juristisch in hohem Maße fragwürdig." | |
Doch nicht nur für Kranke, sondern auch für alte oder arme Menschen, deren | |
Pflegerisiko allen Statistiken zufolge signifikant höher ist, dürfte es | |
schwierig werden, ihr Pflegerisiko privat abzusichern. Der Grund: Die Höhe | |
der Versicherungsprämie hängt vom Eintrittsalter und Gesundheitszustand des | |
Versicherten bei Vertragsabschluss ab. Als Faustformel gilt: Je älter, | |
kränker und weiblicher, desto teurer. | |
## Monatlich 50 Euro | |
Und: Wer sich erst mit über 40 zum Abschluss einer privaten | |
Pflegezusatzversicherung entschließt, muss mit monatlich rund 50 Euro | |
Beitrag rechnen, um im Pflegefall überhaupt annähernd auf eine | |
Auszahlungssumme zu kommen, die die Differenz zwischen den Leistungen aus | |
der Pflegepflichtversicherung und den tatsächlichen Pflegekosten deckt. Das | |
jedenfalls berichten Branchenkenner und Versicherungsunternehmer freimütig, | |
solange man verspricht, sie mit diesen abschreckenden Zahlen nicht | |
namentlich zu zitieren. | |
50 Euro monatlich allein für die Pflegezusatzversicherung. Der | |
Personenkreis, der sich das wird leisten können und wollen, ist | |
überschaubar. Allerdings hat der Bundesgesundheitsminister staatliche | |
Zuschüsse aus Steuermitteln versprochen, damit sich auch Menschen mit | |
kleinen Einkommen eine Zusatzversicherung leisten können. Das | |
Bundesfinanzministerium erklärte, über einen Finanzrahmen sei noch nicht | |
gesprochen worden. | |
In seiner druckfrischen Broschüre "Private Pflegezusatzversicherung" | |
beschreibt der PKV-Verband die existierenden Pflegezusatzversicherungen, | |
die nach Verbandsvorstellung auch die Basis für künftige, staatlich | |
geförderte Zusatzversicherungen bilden sollen. Unterschieden wird zwischen | |
drei Modellen: der Pflegetagegeldversicherung, der Pflegekostenversicherung | |
und der Pflegerentenversicherung. Die ersten beiden werden von privaten | |
Krankenversicherungsunternehmen angeboten, die Pflegerentenversicherung in | |
der Regel von Lebensversicherern. | |
## Ungedeckte Kosten | |
Pflegetagegeld- und Pflegerentenversicherung zahlen im Pflegefall monatlich | |
einen vorher vereinbarten Betrag an den Versicherten aus. Von diesem Geld | |
kann der Versicherte dann beispielsweise pflegende Angehörige bezahlen. Die | |
Pflegekostenversicherung dagegen erstattet die tatsächlich anfallenden | |
Kosten, die von der Teilkasko-Pflegepflichtversicherung nicht gedeckt sind. | |
Für alle drei Modelle gilt: Leistungen gibt es ausschließlich im Pflegefall | |
- und frühestens drei Jahre nach Vertragsabschluss. "In der Regel genügt | |
den Versicherungsunternehmen die medizinische Beurteilung der | |
Pflichtversicherung als Nachweis", schreibt der PKV-Verband hierzu. Wer gar | |
nicht pflegebedürftig wird, hat indes umsonst gezahlt: Hat eine Versicherte | |
beispielsweise 50 Jahre lang eingezahlt und verstirbt, ohne pflegebedürftig | |
geworden zu sein, dann gehört ihr angespartes Geld, staatliche Zuschüsse | |
inklusive, nicht etwa ihren Erben, sondern allein der Versicherung. | |
10 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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