# taz.de -- Pflegeverbandschef zu Reformen: "Die Kosten werden steigen" | |
> Die schwarz-gelbe Koalition verhandelt über die Pflegereform. Der | |
> Verbandschef privater Anbieter sozialer Dienste warnt vor Einsparungen | |
> durch die Hintertür. | |
Bild: Klavierspielen ist ein Anfang: Demenzkranke brauchen mehr konkrete Leistu… | |
taz: Herr Mauel, am Wochenende wollen die Spitzen der schwarz-gelben | |
Koalition erneut um einen Kompromiss für die Reform der Pflegeversicherung | |
ringen. Sie vertreten die Interessen von bundesweit mehr als jeder vierten | |
ambulanten und stationären Pflegeeinrichtung sowie deren Patienten. | |
Erwarten Sie den großen Wurf? | |
Herbert Mauel: Wir erwarten, dass nicht nur über das leidige Thema der | |
Finanzierung gesprochen wird, sondern endlich konkrete Verbesserungen für | |
die Pflegebedürftigen beschlossen werden. | |
Aber die Finanzierung ist doch der größte Streitpunkt? | |
Ich hielte es für klug, die Bevölkerung darauf vorzubereiten, dass die | |
Kosten steigen werden. Alles andere ist unehrlich. Wenn ich mehr | |
Pflegebedürftige versorgen will, kostet das mehr Geld. Wenn ich mehr tun | |
will für Demenzkranke, kostet das mehr Geld. Das ist eine ganz banale | |
Rechnung. Und es werden immer die Versicherten zur Kasse gebeten werden, | |
egal in welcher Form. Wichtig ist, dass die Pflegeversicherung erreicht, | |
dass diejenigen, die ohne Pflegebedürftigkeit keine Sozialhilfe beantragen | |
müssen, dies auch im Fall der Pflegebedürftigkeit nicht müssen. Sonst | |
verliert das System die Akzeptanz. | |
Eine Reform, die erhebliche finanzielle Mehrbelastungen zur Folge hat, gilt | |
innerhalb der Koalition weder als vermittel- noch als durchsetzbar. | |
Deswegen sorge ich mich sehr, dass es Abstriche an den Rahmenbedingungen | |
geben wird, dass diese Reform am Ende also zu Lasten der Pflegebedürftigen | |
geht. Derzeit wird das Geld der Pflegeversicherung nach 20 körperbezogenen | |
Verrichtungen verteilt. Im stationären Bereich bemisst sich daran auch der | |
Personalschlüssel. Das hat mit dem tatsächlichen Aufwand in der Pflege | |
natürlich nichts zu tun. Deswegen brauchen wir ein neues | |
Begutachtungssystem. | |
Ein solches Tool liegt ja bereits vor. Vermuten Sie, dass dieser neue | |
Pflegebedürftigkeitsbegriff, der ja insbesondere bessere Leistungen für | |
Demenzkranke vorsieht, nicht umgesetzt wird? | |
Nein, das wird sich der Minister nicht leisten wollen. Nur: Es wird immer | |
so getan, als sei mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff auch | |
automatisch der Personalmangel behoben. Das treibt mir die Schweißperlen | |
auf die Stirn. Der neue Begriff allein schafft keine einzige | |
Pflegefachkraft mehr. Wir brauchen aber im stationären Bereich 175.000 | |
Pflegekräfte mehr bis 2020 und im ambulanten Sektor 55.000. | |
Demenzkranken ist nicht damit geholfen, dass ihr Aufwand besser beschrieben | |
wird. Sondern damit, dass ihnen tatsächlich mehr Betreuungs- und Pflegezeit | |
zur Verfügung steht. Und da habe ich Zweifel, ob nicht einfach bereits | |
bestehende Leistungen für Demenzkranke künftig verrechnet werden sollen, | |
dass es de facto also kein Mehr an Leistungen für sie gibt. | |
Welche Leistungen gibt es denn bisher schon für Demente? | |
Es gibt schon im stationären Bereich die sogenannten Demenzbetreuer, das | |
ist eine volle Stelle pro 25 Betreute. Und im ambulanten Bereich gibt es | |
Zuschüsse zur Betreuung, das sind zwischen 100 und 200 Euro im Monat für | |
jeden Dementen. Das sind Leistungsverbesserungen, die nicht ausreichen, die | |
aber zumindest während der letzten Pflegereform beschlossen wurden und sich | |
bewährt haben. Und die - im Gegensatz zu allen anderen Leistungen aus der | |
Pflegeversicherung, die ja eine Teilleistungsversicherung ist - | |
Vollkaskoleistungen sind, also weder von den pflegebedürftigen Menschen | |
noch von den Sozialhilfeträgern bezahlt werden müssen. | |
Es steht zu befürchten, dass diese aus meiner Sicht unverzichtbaren | |
Leistungen mit der Begründung, es gäbe den neuen | |
Pflegebedürftigkeitsbegriff, wieder abgeschafft werden. | |
6 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
## TAGS | |
Familienministerium | |
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