# taz.de -- Reform der Pflegeversicherung: Pflegelhafte Koalitionäre | |
> Der FDP-Bundesgesundheitsminister verschiebt die Pflegereform erneut und | |
> auf unbestimmte Zeit. Grund ist ein schwarz-gelbes Zerwürfnis über das | |
> Finanzierungskonzept. | |
Bild: Beleidigte Leberwurst: Daniel Bahr. | |
BERLIN taz | Am Montagmorgen hatte der Bundesgesundheitsminister Daniel | |
Bahr (FDP) die Nase voll. Über eine Sprecherin ließ er verkünden: Die seit | |
Monaten großspurig für den kommenden Freitag angekündigte Präsentation | |
seiner "Eckpunkte" für die Pflegereform wird verschoben - auf einen | |
unbekannten Termin. | |
Die Absage darf als Ausdruck eines Beleidigtseins gewertet werden, das sich | |
seit Sonntag bei Daniel Bahr potenziert hatte: Erst die desaströsen 1,8 | |
Prozent für seine Partei bei der Berlin-Wahl. Dann die CDU, die in Person | |
ihres gesundheitspolitischen Sprechers Jens Spahn die Schwäche des | |
Koalitionspartners auszunutzen wusste: Über die taz hatte Spahn dem | |
Minister am Wochenende ein detailliertes Pflegefinanzierungskonzept | |
diktiert - und damit in Bahrs Fachzuständigkeit gegrätscht. | |
Spahn hatte 2 Milliarden Euro mehr für Demenzkranke angekündigt und zu | |
deren Finanzierung vorgeschlagen: Erstens eine moderate | |
Beitragssatzerhöhung in der Pflegeversicherung um 0,05 Prozentpunkte. | |
Zweitens eine Auslagerung bestimmter Leistungen aus der Pflegeversicherung | |
zulasten der Krankenversicherung. Drittens die Einführung eines | |
"Zukunftsfünfers", eines pauschalen Zusatzbeitrags in Höhe von 5 Euro pro | |
Monat pro Beitragszahler, mit dem innerhalb der Pflegeversicherung ein | |
kollektiver Kapitalstock für die Zukunft angespart werden soll. | |
Das Konzept widerspricht der FDP-Ideologie und dem Koalitionsvertrag, | |
wonach es eine individuelle, private Pflegezusatzversicherung geben soll. | |
Dementsprechend fiel die Kommentierung durch Bahrs Pressestelle aus: "Der | |
Minister bewertet keine Einzelheiten von Konzepten einzelner Abgeordneter." | |
## Spahn-Vorschlag als "gangbarer Kompromiss" | |
Das taten am Montag andere. Die Sozialverbände VdK und der Paritätische | |
forderten angesichts dramatischer Bedingungen für Pflegebedürftige ein | |
"Ende der Koalitionskakofonie". Der stellvertretende Unions-Fraktionschef | |
Johannes Singhammer, dessen CSU wiederum die Zusatzleistungen für Demente | |
lieber über Steuergeld finanziert sähe, sagte verschnupft, er frage sich, | |
"ob es Sinn macht, dass Möglichkeiten eines Kompromisses jetzt in den | |
Medien vorgegärt werden". Die bayerische CSU-Sozialministerin Christine | |
Haderthauer ließ mitteilen, sie könne "nicht zu jedem Konzept Stellung | |
nehmen". Intern jedoch verlautete aus Unionskreisen, der Spahn-Vorschlag | |
könne ein "gangbarer Kompromiss" sein. | |
Während sich die zuständigen FDP-Politiker am Montag hierzu in Schweigen | |
hüllten, gab der CDU-Mann Spahn die Schuld für die erneute Verzögerung | |
allen außer sich: Auch FDP und CSU müssten jetzt "ihre Maximalpositionen | |
verlassen". | |
Die Opposition tadelte die Koalition. "Schwarz-Gelb wäre gut beraten, im | |
Bereich der Pflege das Handtuch zu werfen", sagte der gesundheitspolitische | |
Sprecher der SPD, Karl Lauterbach. Der "Zukunftsfünfer" werde "floppen", | |
prognostizierte Lauterbach. Er sei sozial ungerecht und erzeuge höhere | |
Verwaltungskosten als Einnahmen: "Das ist eine bürokratische Form, Geld zu | |
verbrennen." | |
19 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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