# taz.de -- Krieg in Syrien: Metzeln, solange noch Zeit ist | |
> Ehe die 15-Tage-Frist der Arabischen Liga abläuft, versucht Assad Homs | |
> und Hama wieder unter Kontrolle zu bringen. Beide Städte werden vom | |
> Militär zerbombt. | |
Bild: Assad lässt sich am 6. November im nordsyrischen Raqqa von Anhängern fe… | |
Mehrere hundert Soldaten, Sicherheitskräfte und Milizionäre sind in die | |
aufständischen Viertel von Homs vorgerückt. Nach einer sechstägigen, | |
äußerst blutigen Militäroffensive hat die syrische Armee die drittgrößte | |
Stadt des Landes offenbar wieder unter ihre Kontrolle gebracht. | |
Nun haben in den Vororten Bab Amro und al-Inshaat die Verhaftungswellen | |
begonnen. "Die Menschen sind völlig verängstigt", berichtete Omar, ein | |
Student, der in der Umgebung von Bab Amro lebt, der taz. "Die | |
Sicherheitskräfte und Soldaten gehen von Haus zu Haus. Sie nehmen | |
willkürlich Leute fest, und wenn niemand da ist, plündern sie das Haus." | |
In der Nacht zu Dienstag kam es offenbar auch in der viertgrößten Stadt | |
Hama zu neuen Angriffen: Aktivisten zufolge nahm die Armee Wohnsiedlungen | |
unter heftigen Beschuss. Internet- und Telefonverbindungen wurden zeitweise | |
unterbrochen. "Wir haben die ganze Nacht lang Schüsse und Explosionen | |
gehört", sagte Saleh, ein Aktivist aus Hama. | |
Mindestens elf Menschen kamen landesweit in der Nacht ums Leben. "Heute | |
morgen haben sie das Feuer eingestellt", erzählte Saleh weiter. "Nun haben | |
sie überall Straßensperren errichten. Sie kontrollieren alle Passanten und | |
fahnden nach Aktivisten." Es ist derzeit unmöglich, Informationen aus | |
Syrien zu überprüfen. Das Regime lässt nach wie vor so gut wie keine | |
internationalen Journalisten einreisen. | |
In Homs hatte die Gewalt zuvor ein so extremes Ausmaß erreicht, dass | |
Oppositionelle die Stadt zum "Katastrophengebiet" erklärt und die UN um | |
Hilfe gebeten hatten. Vor allem das Viertel Bab Amro hatte sich in den | |
vergangenen Monaten zu einem Zentrum des Widerstands entwickelt. Offenbar | |
hatten sich dort auch desertierte Soldaten verschanzt. Mittlerweile haben | |
sich Tausende Überläufer der Free Syrian Army angeschlossen, um das Regime | |
auch militärisch zu bekämpfen. | |
## Schon 3.500 Tote | |
Augenzeugenberichten zufolge brachen beim Einmarsch der Armee in Homs | |
schwere Straßenschlachten zwischen Regierungstruppen und Guerillakämpfern | |
aus. Das Militär soll Bab Amro und al-Inshaat fast ununterbrochen mit | |
Gewehren, Panzern und Flugabwehrraketen beschossen haben. Mindestens 111 | |
Menschen kamen im Laufe der Woche ums Leben. | |
"Was in Bab Amro passiert ist, war ein Massaker", sagte Sami, ein junger | |
Arzt. "Am Samstag wurden allein in unserem Krankenhaus 16 Kinder, 9 Frauen | |
und über 40 Männer mit Verletzungen eingeliefert - zusätzlich zu 23 Toten." | |
Die Offensive kam zu einem heiklen Zeitpunkt. Denn der internationale Druck | |
auf Syrien nimmt zu. Die UN teilten am Dienstag mit, dass die Zahl der | |
Todesopfer des Konflikts nun über 3.500 gestiegen sei. | |
Anfang des Monats hatte das syrische Regime den Friedensplan der Arabischen | |
Liga akzeptiert und sich damit verpflichtet, die Gewalt sofort | |
einzustellen. Tatsächlich ist das Gegenteil geschehen. Nach Einschätzung | |
von Beobachtern hat das Regime Homs aber nicht trotz, sondern wegen der | |
regionalen Vermittlungsversuche bombardieren lassen. Denn die Arabische | |
Liga hatte der Regierung noch 15 Tage gegeben, den Plan in die Tat | |
umzusetzen. | |
Am Samstag ist eine Krisensitzung der Arabischen Liga in Kairo geplant. | |
Dabei könnte es sogar zu einem Ausschluss Syriens kommen: "Das Regime | |
versucht, die Situation unter Kontrolle zu bringen, ehe die 15-Tage-Frist | |
abläuft", sagte der syrische Menschenrechtsaktivist Wissam Tarif. "Deswegen | |
haben sie die Gewalt abermals verstärkt, um die Situation noch vor Ablauf | |
der Zeit unter Kontrolle zu bringen." | |
In Homs scheint dies der Armee gelungen zu sein, zumindest für den Moment. | |
Derzeit gleiche die Protesthochburg einer Geisterstadt, erzählte Omar, der | |
Student. "Auf den Straßen ist niemand unterwegs, weil Scharfschützen auf | |
den Dächern stehen. Sie schießen auf alles, was sich bewegt." Alle | |
desertierten Soldaten seien entweder geflohen, verhaftet oder getötet. | |
Doch um genügend Kapazitäten für den Sturm auf Homs zu haben, musste die | |
Armee Einheiten aus Hama abziehen, sagen Aktivisten. So kam es dort erneut | |
zu Massendemonstrationen. Dies sei der Grund für die jüngsten Angriffe auf | |
Hama gewesen. "Nun versuchen die Soldaten, in Hama wieder Herr der Lage zu | |
werden", meinte der Menschenrechtler Wissam Tarif. "Die Armee schiebt ihre | |
Soldaten hin und her, kaum haben sie die Proteste an einem Ort | |
niedergeschlagen, brechen anderswo neue aus." | |
8 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Gabriela M. Keller | |
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