Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Eskalation in Syrien: "Am Rande eines Bürgerkriegs"
> Die "Freie Syrische Armee" gibt die Gründung eines Militärrats bekannt.
> Präsident Assad gerät im Lande selbst und in der Region immer stärker
> unter Druck.
Bild: Videoaufnahme eines brennenden Panzer bei Deraa im Süden Syriens.
KAIRO taz | Das Regime des syrischen Diktators Baschar al-Assad wird
regional immer isolierter und gerät im Lande selbst zunehmend unter
militärischen Druck. Nach einem achtmonatigen erfolglosen Aufstand gegen
das Regime hat sich dessen Lage in den vergangenen Tagen deutlich
verschärft.
Assads Gegner werden waghalsiger. Übergelaufene Soldaten, die in den
vergangenen Wochen eine "Freie Syrische Armee" gebildet haben, griffen am
Mittwoch das Hauptquartier des Luftwaffengeheimdienstes nahe Damaskus von
drei Seiten an. Augenzeugen berichteten von Maschinengewehrfeuer und
Granatbeschuss. Der Angriff war nicht nur spektakulär, sondern auch
symbolträchtig. Der Luftwaffengeheimdienst ist dafür berüchtigt, besonders
brutal gegen Demonstranten vorgegangen zu sein.
Offiziell ist die Truppe zusammen mit der Militärpolizei dafür zuständig,
abweichende Stimmen in der Armee ausfindig zu machen und zu bekämpfen.
Bedeutsam ist auch die Nähe des angegriffenen Stützpunkts zur Hauptstadt,
wo es, wie auch in Aleppo, der zweitgrößten Stadt des Landes, bisher
relativ ruhig geblieben war. Berichten zufolge wurden auch in vier Vororten
von Damaskus Militärbasen angegriffen.
Der Preis für den Machterhalt Assads wird derweil immer größer. Der Monat
November war bisher mit mehr als 300 Toten der blutigste des Aufstandes.
Insgesamt sollen nach UN-Angaben mindestens 3.500 Menschen ums Leben
gekommen sein. Die syrische Regierung macht militante Banden und bewaffnete
Terroristen für den Aufstand verantwortlich und behauptet, dass bisher
1.100 Soldaten und Polizisten ums Leben gekommen seien.
## Deserteure greifen zu den Waffen
Im Zentrum der bewaffneten Aktionen gegen das Regime steht die "Freie
Syrische Armee" (FSA), eine Organisation von Deserteuren, die nach eigenen
Angaben bis zu 15.000 Mitglieder haben soll. In einer Erklärung der FSA
wird deren Aufgabe beschrieben als " ein Aufstehen gegen die
unverantwortliche syrische Militärmaschinerie, die das Regime schützt". Am
Mittwoch gab die FSA die Gründung eines Militärrats bekannt, dessen Ziele
unter anderem der "Sturz des derzeitigen Regimes" sowie im Anschluss die
Verhinderung von Chaos und Racheakten seien. Dem Militärrat dürfen keine
Mitglieder einer Partei angehören.
Der Rat soll der FSA zufolge die Militäreinsätze der Streitkräfte
überwachen und für Sicherheit im Land sorgen. Zudem sollten ein
Militärgericht sowie eine Militärpolizei eingerichtet werden, um
Regierungsmitglieder, denen Verbrechen vorgeworfen werden, zur
Verantwortung zu ziehen.
Für die syrische Opposition sind die übergelaufenen Soldaten ein weiteres
Druckmittel, aber gleichzeitig auch eine Herausforderung. Der
oppositionelle Nationalrat propagiert immer wieder den friedlichen Aufstand
nach ägyptischen und tunesischen Muster. Mit den Aktionen der
übergelaufenen Soldaten droht der Widerstand gegen das Regime sich aber nun
schleichend in einen bewaffneten Aufstand nach libyschem Vorbild zu
verwandeln.
## Stellung nehmen fällt schwer
Interessant ist, dass die Erklärungen der FSA vom Rest der Opposition weder
verurteilt noch begrüßt werden. Es fällt der Opposition offensichtlich
schwer, zu den bewaffneten Aktionen Stellung zu nehmen. Stattdessen werden
sie genutzt, um nach schärferen internationalen Sanktionen und
international garantierten Pufferzonen in den Grenzgebieten Syriens zu
rufen.
"Wir befinden uns am Rande eines Bürgerkrieges" warnt Musab al-Azzawi,
Mitglied des in London ansässigen "Syrian Observatory for Human Rights".
Die Menschen sollten am Prinzip der Friedfertigkeit festhalten, aber wenn
es nicht zu einem äußeren Eingreifen komme, werde die Verlockung für die
Menschen groß sein, zu den Waffen zu greifen und sich den übergelaufenen
Soldaten anzuschließen. Al-Azzawi fordert ebenfalls die Schaffung einer
Pufferzone an den Grenzen zur Türkei und zu Jordanien, damit sich die
übergelaufenen Soldaten friedlich dorthin zurückziehen können.
Bisher stoßen solchen Forderungen auf wenig Gehör, wenngleich sich das
Assad-Regime vor allem in der Region einer zunehmenden Isolierung
ausgesetzt sieht. Die Arabische Liga wollte am Mittwochnachmittag bei einem
Außenministertreffen in Marokko die zuvor beschlossene Suspendierung der
Mitgliedschaft Syriens bestätigen. Bei dem Treffen war der syrische
Außenminister schon nicht mehr dabei. Syrien bezeichnete die Suspendierung
als "beschämend und niederträchtig". Das Regime wirft der Liga vor, mit dem
Westen zu konspirieren, um seine Autorität zu unterwandern".
## Die Golfstaaten machen Front gegen Assad
Während vor allem Algerien Lobbyarbeit geleistet hat, um Syrien in die
marokkanische Hauptstadt Rabat einzuladen, haben sich besonders die
Golfstaaten dem entgegengestellt und gedroht, in diesem Fall das Treffen zu
verlassen. Den Umschwung in der Liga hat Assad vor allem den Golfstaaten zu
verdanken, die sich in den vergangenen Wochen offen von ihm abgewendet
haben. Der ehemaligen Botschafter Saudi Arabiens in den USA bezeichnete
einen Rücktritt Assads als "unausweichlich". Da er bislang die Gewalt gegen
Demonstranten nicht gestoppt habe, sei es "unvermeidlich", dass Assad "in
der einen oder anderen Form zurücktritt", erklärte Prinz Turki al Faisal am
Dienstag.
Die Abwendung der arabischen Bruderstaaten trifft das Regime in Damaskus,
das sich gerne als Herzstück des Panarabismus und arabischen Nationalismus
sieht, ideologisch besonders hart. Ein Kommentar in der der saudischen
Zeitung Al-Jazeera mit dem Titel "Syrien, wir lieben dich nicht", schlägt
in diese Kerbe. "Das syrische Regime glaubt immer noch, es sei der
Grundpfeiler der Araber und dass die Arabische Welt zusammenbricht, wenn
man ihn wegzieht", heißt es dort hämisch.
Zuvor hatte der jordanische König Abdullah in einem Interview mit dem
britischen Rundfunksender BBC Assad ebenfalls offen zum Rücktritt
aufgefordert. In Ägypten wird der Angriff auf Assad vorsichtiger
formuliert. "Die syrische Regierung muss endlich verstehen, dass die Krise
sich nun in einer Gefahrenzone befindet und der Geist der ausländischen
Intervention um sie schwebt", kommentiert die staatliche Tageszeitung
Al-Ahram.
16 Nov 2011
## AUTOREN
Karim Gawhary
Karim El-Gawhary
## ARTIKEL ZUM THEMA
Arabische Revolution und soziale Netzwerke: "Da ist noch gar nichts vorbei"
Den Begriff des "Arabischen Frühlings" mag Jean-Pierre Filiu gar nicht. Der
französische Wissenschaftler spricht lieber von einer transnationalen
Jugendbewegung.
Guerillakampf in Syrien: Deserteure erklären den Krieg
Oberst Riad al-Asad, Kommandeur der Freien Syrischen Armee, treibt von der
Südtürkei aus den Guerillakampf voran. Wie weit sein Einfluss geht, ist
umstritten.
Gewalt in Syrien: Granaten auf Regierungsgebäude
Im Damaskus wurde ein Büro der regierenden Baath-Partei mit Granaten
angegriffen. Machthaber Assad hatte zuvor ein Ultimatum der Arabischen Liga
vertreichen lassen - und droht lieber weiter.
Aufstand in Syrien: "Wir sitzen auf einem Vulkan"
Kaum jemand der syrischen Oppositionellen glaubt noch, dass der Sturz des
Regimes friedlich gelingen kann. Die Angst vor einem Bürger- und
Religionskrieg geht um.
Arabische Liga zu Syrien: Drei Tage für Ende der Gewalt
Die Arabische Liga stellt dem syrischen Regime ein Ultimatum von drei Tagen
um die Gewalt gegen Demonstranten zu beenden. Andernfalls drohten
Wirtschaftssanktionen.
Rafik Schami zur Situation in Syrien: "Der Großmufti ist ein Opportunist"
Der syrische Schriftsteller Rafik Schami über das Morden in seinem Land und
die Chancen der Opposition. Eine Flugverbotszone wie in Libyen lehnt er
entschieden ab.
Syrien von Arabischer Liga suspendiert: Assad-Anhänger stürmen Botschaft
Nach der Entscheidung der Arabischen Liga für eine Aussetzung der
Mitgliedschaft Syriens haben wütende Anhänger von Präsident Baschar
al-Assad Auslandsvertretungen in dem Land angriffen.
Krieg in Syrien: Metzeln, solange noch Zeit ist
Ehe die 15-Tage-Frist der Arabischen Liga abläuft, versucht Assad Homs und
Hama wieder unter Kontrolle zu bringen. Beide Städte werden vom Militär
zerbombt.
Aufstand in Syrien: Opposition fordert Intervention
Die syrische Opposition hat Homs zum Katastrophengebiet erklärt. Sie
fordert eine internationale Intervention zum Schutz von Zivilpersonen in
der Protesthochburg.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.