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# taz.de -- Guerillakampf in Syrien: Deserteure erklären den Krieg
> Oberst Riad al-Asad, Kommandeur der Freien Syrischen Armee, treibt von
> der Südtürkei aus den Guerillakampf voran. Wie weit sein Einfluss geht,
> ist umstritten.
Bild: Riad al-Asad in einem Flüchtlingslager im Südosten der Türkei.
Ein Panzer fährt über eine verlassene Straße am Rand der syrischen Stadt
Homs. Dann ein dumpfer Knall. Der Panzer ist getroffen worden, von einer
Rakete oder einer Granate. Jemand schreit: "Gott ist groß", zwei Soldaten
laufen davon. Dichter Rauch nimmt den Blick auf die hohen Wohntürme, die
neben der Straße aufragen. Aufständische haben die Explosion offenbar von
einer Brüstung ganz in der Nähe gefilmt. In den vergangenen Tagen sind
dutzende solcher Bilder im Internet aufgetaucht; sie alle zeigen brennende
Panzer, Raketeneinschläge und rußschwarze Wracks von Militärfahrzeugen.
Die Aufnahmen belegen, dass die Armee nicht mehr nur friedlichen
Demonstranten gegenübersteht, sondern auch schwer gerüsteten,
professionellen Kriegern. Der Mann, der den Guerillakampf gegen das Regime
nach eigenen Angaben dirigiert, spricht in ruhigen, nüchternen Sätzen.
Oberst Riad al-Asad, Kommandeur der Freien Syrischen Armee (FSA), operiert
von einem Stützpunkt in der türkischen Provinz Hatay aus. Er sagt, dass er
ein Heer von 15.000 Deserteuren befehligt. "Unser Ziel ist, die Menschen zu
verteidigen und ihnen zu helfen, das Regime zu stürzen," erklärt er am
Telefon. "Das ist ohne Waffen unmöglich, denn ein Soldat ohne ein Gewehr
ist kein Soldat."
In diesem Monat hat die FSA das Regime mit einer ganzen Serie von
Anschlägen herausgefordert. Erst am Sonntag haben Unbekannte das
Hauptquartier der regierenden Baath-Partei in Damaskus mit Panzerfäusten
beschossen. Die FSA hat die Verantwortung für den Anschlag zunächst
übernommen und dann wieder zurückgewiesen.
Die Gruppe greife keine zivilen Ziele an, sagte Riad al-Asad in einem Video
auf der FSA-Facebookseite. Doch die Abstände zwischen den Angriffen werden
immer kürzer. Nur wenige Tage zuvor hatte sich die FSA zu einem Anschlag
auf eine Basis des Luftwaffengeheimdienstes in einem Damaszener Vorort
bekannt.
Schon seit einigen Zeit häufen sich in den Protesthochburgen Homs, Hama und
Daraa Berichte von Überfällen auf Armeepatrouillen oder Militärstützpunkte.
Mehr und mehr nimmt der Konflikt die Züge eines Bürgerkriegs an. Der
November war mit bisher rund 400 Toten der blutigste Monat seit dem Beginn
der Proteste im März.
"Wir wollten dem Regime zeigen, dass wir sie treffen können, wo auch immer
sie sind", sagt Oberst Riad al-Asad. Er war 31 Jahre lang Ingenieur bei der
syrischen Luftwaffe. Viel mehr ist über ihn nicht bekannt.
Im Juli erschien ein Video im Internet, auf dem er sich aus Protest gegen
die Niederschlagung der Demonstrationen von der Armee lossagte und
gleichzeitig die Gründung der FSA bekannt gab.
## Bewaffnete Zivilisten
Gerade hat die FSA die Gründung eines Militärrates verkündet, dem al-Asad
vorsitzen soll. Die Zahl der Deserteure wachse derzeit rapide, sagt der
Oberst, zwei Dutzend Soldaten hätten allein am Wochenende die Seiten
gewechselt: "Je mehr Operationen, desto mehr Desertionen. Viele Soldaten
wollen nicht auf Demonstranten schießen. Sie warten auf eine Chance, zu
entkommen. Wenn sie sehen, dass es eine Gruppe gibt, die sie schützen kann,
dann ergreifen sie die Flucht."
Doch es ist umstritten, wie viele Kämpfer die FSA umfasst. Einige
Beobachter gehen von gerade mal 1.000 Überläufern aus. Auch bewaffnete
Zivilisten sollen Quellen in Syrien zufolge an der Seite der Deserteure
kämpfen. Damit wird die Lage zusehends unübersichtlicher. Wie viel
Befehlsgewalt al-Asad tatsächlich hat, bleibt ebenso unklar. Beobachter
gehen eher davon aus, dass die einzelnen Zellen der FSA weit gehend
dezentral agieren.
"Es gibt rund 20 Offiziere in der Türkei, die Kontakte zu führenden Stellen
in der Armee haben und offenbar dabei sind, sich als militärische Führung
der Protestbewegung zu positionieren", sagt der syrische Menschenrechtler
Wissam Tarif. "Mein Eindruck ist, dass sie sich weniger um die Planung der
Anschläge kümmern als vielmehr um die Koordinierung mit Teilen der
politischen Opposition sowie die Finanzierung."
Ohnehin dürfte die FSA den Streitkräften des Regimes militärisch nicht
annähernd gewachsen sein. Ihr stehen rund 200.000 Regierungssoldaten
gegenüber. Die FSA hat nun eine international geschützte Pufferzone
gefordert, von der aus die Deserteure operieren können.
22 Nov 2011
## AUTOREN
Gabriela M. Keller
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