# taz.de -- Rechtsterrorismus in Jena: Zeitzeuge Nummer 1 | |
> Lothar König und seine Junge Gemeinde Stadtmitte warnten bereits in den | |
> 90er Jahren vor gewalttätigen Neonazis in Jena. Bis letzte Woche wollte | |
> das keiner hören. | |
Bild: "Was haben wir in den vergangenen 20 Jahren falsch gemacht?", fragt Jugen… | |
JENA / ERFURT taz | Lothar König könnte jetzt sagen: Ich habe es immer | |
schon gewusst! Aber er tut es nicht. Er will auch nicht, dass er jetzt | |
gelobt wird. Er will, dass sich endlich etwas ändert. | |
Bei der Kundgebung am Freitag in Jena spricht der 57-jährige König in ein | |
Funkmikro, auf dem die Buchstaben "JG"gedruckt sind. "Wir sollten in uns | |
gehen", sagt König, "und uns selbstkritisch fragen: Was haben wir in den | |
vergangenen 20 Jahren falsch gemacht?" JG steht für Junge Gemeinde | |
Stadtmitte. Sie war in den 1990ern ein Zufluchtsort für alle in Jena, die | |
anders waren: Alternative, Linke, Migranten. Der Stadtjugendpfarrer Lothar | |
König hatte schon damals vor der Neonazi-Gefahr gewarnt. Jetzt wollen alle | |
von ihm wissen, wie es damals war. König ist der Zeitzeuge Nummer 1. | |
Eine Woche zuvor, einen Tag nachdem bekannt wurde, dass das Nazi-Trio für | |
die Morde an Ladenbesitzern verantwortlich ist, weilt Lothar König auf | |
einer Tagung in Wittenberg. Er verabschiedet sich schnell, steigt in den | |
Kleinbus. Unterwegs gibt er noch ein TV-Interview. "Nochmal, aber ein | |
bisschen kürzer", bittet der Fernsehreporter. Aber ganz kurz geht kaum, | |
denn König hat viel zu berichten. | |
Es gab in der DDR schon rechte Skinheads, sie waren gegen das System. Das | |
System änderte sich, die Nazis blieben. Und es kamen noch mehr dazu, Kader | |
aus dem Westen, die hier Kameradschaften aufbauen wollten. Und sie fanden | |
Jugendliche, die auf der Suche nach Orientierung waren in Zeiten des | |
Umbruches. "Bis die Glatzen die Meinungsführerschaft in der Jugendkultur | |
übernahmen", wie König sagt. Und die Bevölkerung habe das gar nicht | |
registriert. | |
## Hausverbot für Nazis | |
König fing im Oktober 1990 in Jena an und er selbst habe lange gebraucht, | |
alles richtig einzuschätzen, sagt er heute. Erst organisierte er noch | |
Fußballspiele, Linke gegen Rechte gewissermaßen, aber als 1992 Skinheads | |
Mitglieder der Jungen Gemeinde mit Baseballschlägern zusammenschlugen, war | |
ihm klar: Man kann sie nicht integrieren. Hausverbot für Nazis. | |
Die JG liegt in der Innenstadt von Jena, im Innenhof sind die Wände bunt | |
bemalt, im Café ist die Luft voller Zigarettenrauch. An der Wand hängt eine | |
Liste mit den Presseanfragen, Interviews im Halbstundentakt, alle wichtigen | |
Zeitungen waren da, auch welche aus dem Ausland, viele Fernsehteams. König | |
erkennen alle sofort an seinem Rauschebart. Er trägt eine graue Cargo-Hose, | |
eine Jacke über dem Hemd und Ledersandalen ohne Socken, obwohl es draußen | |
friert. | |
Zu DDR-Zeiten war die Junge Gemeinde im Visier der Stasi und nach der Wende | |
eines der Hauptangriffsziele der Neonazis in Jena. "Es war eine permanente | |
Bedrohungssituation", sagt Katharina König. Die 33-Jährige mit den braunen | |
Locken ist Landtagsabgeordnete der Linkspartei und Sprecherin für | |
Antifaschismus ihrer Fraktion. Sie hat alles miterlebt, denn sie ist Lothar | |
Königs Tochter. | |
## "Keiner hat uns ernst genommen" | |
Sie erinnert sich genau daran, wie schon 1992 um die 100 Skinheads | |
versuchten, das Haus zu stürmen. Wie über die Jahre immer wieder Steine | |
flogen, Jugendliche und ihr Vater zusammengeschlagen wurden, wie die Nazis | |
sagten: Euch müsste man vergasen. "Keiner hat uns ernst genommen", sagt | |
sie. Andere Eltern hätten ihren Kindern geraten: Dann zieht euch eben nicht | |
so auffällig an. | |
Mittwoch vorige Woche, Landtagssitzung in Erfurt, es spricht Thüringens | |
Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, CDU. Sie sagt: "Wir sind | |
entschlossen, für eine rasche Aufklärung zu sorgen, umfassend, lückenlos." | |
Katharina König twittert: "Meinte MP Lieberknecht jetzt die | |
#Antifa-Gruppen, denen sie Zeit lassen will, um lückenlos und gründlich | |
aufzuklären & zu recherchieren?" Später, am Abend, sitzt sie in der | |
Cafeteria und bestellt "eine Mate". Als die Bedienung nur ungläubig schaut, | |
eben einen Kaffee. Sie braucht jetzt Koffein, geschlafen hat sie nicht | |
viel. Sie und ihre Kollegen durchforsten Aufzeichnungen von damals, | |
versuchen neue Puzzleteile zu finden. Was jetzt politisch so angekündigt | |
wurde, das seien doch alles Schnellschüsse, sagt sie. "Ich glaube nicht, | |
dass die einen Effekt haben." | |
Lothar König regt sich auf, wenn er zurückdenkt, wie Nazis als soziales | |
Problem abgetan wurden, wie Rechtsextremismus mit Linksextremismus | |
gleichgesetzt und damit verharmlost wurde. Wie die städtischen | |
Jugendzentren auf politische Neutralität pochten und zu lange versuchten, | |
auch gewaltbereite Skinheads miteinzubeziehen. In einem Projektbericht des | |
"Winzerclubs" heißt es: "Je akzeptierter sie sich fühlen, desto weniger | |
Gewalt geht von ihnen aus." Der Winzerclub ist das Jugendzentrum, in dem | |
Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auffielen, weil sie sich immer | |
mehr radikalisierten - und irgendwann in SS-Uniform auftauchten. | |
Angriffe von Neonazis wurden damals oft als Streit zwischen Jugendgruppen | |
abgetan und die Junge Gemeinde wurde beschuldigt, der Stadt ein schlechtes | |
Image zu verpassen. Auch die Königs und ihre Mitstreiter konnten nicht | |
wissen, dass aus jugendlichen Neonazis Terroristen werden. Aber hätte man | |
auf sie gehört, vielleicht würden jetzt zehn Menschen noch leben und der | |
Imageschaden wäre nicht so groß. | |
## Das Braune Haus | |
"Jena ist heute kein braunes Nest", sagt Michael Ebenau vom Jenaer | |
"Aktionsbündnis gegen Rechts". Aber es gibt heute auch Nazis, sie treffen | |
sich etwa im Garten des "Braunen Hauses", einer ehemaligen Gaststätte, die | |
André K. und Ralf W. 2002 zu einem Schulungszentrum umbauten. Beide waren | |
mit dem Terrortrio eng befreundet und stehen im Verdacht, ihm auch nach dem | |
Untertauchen 1998 geholfen zu haben. | |
"In Jena werden heute nach wie vor Leute von Neonazis zusammengeschlagen", | |
sagt Katharina König, "wenn auch weniger als früher". Ende Oktober traf es | |
einen jungen Mann, er lag eine Woche im Krankenhaus. "Der Widerstand gegen | |
Rechtsextremismus ist stärker in die Gesellschaft gerückt", sagt Albrecht | |
Schröter, SPD, seit 2006 Oberbürgermeister von Jena, davor Sozialdezernent. | |
Vergangene Woche wurde er mit dem "Preis für Zivilcourage gegen | |
Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus" ausgezeichnet. Den will | |
er allen Jenaern widmen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. | |
Schröter zieht sein iPhone aus der Jacketttasche und zeigt ein Foto: ein | |
Porträt von ihm, an seine Hauswand geschmiert, dazu der Spruch: "Wanted - | |
dead or alive". In diesem Fall wurden die Täter gefasst. Schröter weiß, | |
dass es die Leute um König nicht leicht hatten. "Sie galten als | |
Bürgerschreck, zu schrill, zu laut, zu anti." Als Charakterisierung von | |
König hat er sich einen Satz zurechtgelegt: "Er geht weit, damit die | |
Jugendlichen nicht zu weit gehen." | |
## "Entscheidet euch, Punkies" | |
Freitagabend, in der JG steht eine Filmvorführung auf dem Programm, ein | |
paar Leute sitzen noch im Café. "Ihr müsst euch entscheiden, Punkies", sagt | |
König, "Kino oder raus." Einer kommt auf den Pfarrer zu und sagt, es sei | |
doch sein Geburtstag, sie wollten was trinken. "Wollt ihr hier saufen im | |
Gotteshaus?" König lacht. Er spricht die gleiche Sprache wie die jungen | |
Leute und erreicht so auch welche, die mit der Kirche sonst gar nichts zu | |
tun hätten. | |
Dabei eckt er natürlich an, das weiß auch Diethard Kamm, Superintendent des | |
Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreises Jena, er kennt ihn lange. In der | |
Sache seien alle meist auf seiner Linie gewesen, sagt er. "Kritik gibt es | |
an seinen Methoden." Aber eines ist ihm noch wichtig zu sagen: Lothar König | |
agiere stets deeskalierend. | |
Das sieht die Dresdner Staatsanwaltschaft anders. Sie ermittelt gegen | |
König, weil er auf der großen Anti-Nazi-Demo im Februar zu Gewalt gegen | |
Polizisten aufgerufen haben soll, im Sommer durchsuchten sächsische | |
Polizisten deswegen seine Dienstwohnung. Ein anderes Verfahren gegen König | |
wegen "Bildung einer kriminellen Vereinigung" wurde vorläufig eingestellt. | |
Nicht, weil die Ermittler glauben, dass König unschuldig ist, sondern weil | |
sie glauben, dass er wegen des "schweren aufwieglerischen | |
Landfriedensbruchs" eine höhere Strafe zu erwarten hat. | |
"Antifaschistisches Engagement wird kriminalisiert", sagt Lothar König. Er | |
zweifelt ein bisschen, ob die Empörung wegen des Rechtsterrors nun lange | |
anhält. Da erwähnt einer, dass nächste Woche wieder ein Castortransport | |
ansteht. "Castor?", fragt Lothar König und klingt etwas müde. "Ich werde | |
anrufen und sagen, sie sollen das verschieben." | |
21 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Erb | |
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