# taz.de -- Jenas Image: In der akademischen Besatzungszone | |
> Bei Studenten gilt Jena als strebsam, harmlos und lieb. Ein Porträt der | |
> mittelgroßen Stadt in Thüringen, die als Brutstätte des rechten Terrors | |
> ins Gerede kam. | |
Bild: Sraßencafés in Jena: Die Stadt wehrt sich gegen eine Verurteilung als N… | |
JENA taz | Ein Städtchen klagt an: Die Einwohner der thüringischen Stadt | |
Jena machen mobil gegen die Verurteilung ihrer Heimat als Herberge für den | |
rechten Untergrund. Die jüngsten Berichte über den Terror, die mit der | |
ständigen Erwähnung Jenas einhergehen, lassen Kommune, Land und Bevölkerung | |
um das Image der Universitätsstadt bangen. | |
Für besonderen Unmut sorgt ein Beitrag der ZDF-Sendung "Aspekte", der bei | |
den Zuschauern das Bild evozieren könnte, der Osten und vor allem Jena | |
seien ein rassistisches Schlachtfeld. In dem Beitrag erzählt der | |
bengalischstämmige Autor Steven Uhly über seine Gefühle beim Betreten der | |
neuen Bundesländer. | |
Ironische Seitenhiebe der Off-Stimme auf den Fernbahnhof "Paradies" | |
erhitzen die Gemüter. Erinnerungen an Hoyerswerda oder Rostock werden wach. | |
Einer mittleren Großstadt im Osten wird ein Grauschleier verliehen, ein | |
negatives Etikett. Die Vergangenheit bewältigen und gleichzeitig Studenten | |
locken - das neue Dilemma der prosperierenden und gebeutelten | |
Universitätsstadt. | |
## Aushängeschild Fußball | |
Das zierliche Jena mit seinen circa 100.000 Einwohnern ist wie gemacht, um | |
abgestempelt zu werden. Etiketten gibt es ja schon immer: Fußball und Carl | |
Zeiss. Der Fußballclub ist das wichtigste Aushängeschild. Noch am ehesten | |
weist er den Durchschnittsbürger auf die Existenz der Saalestadt hin. | |
Aufgrund ihrer Geschichte im Bereich der Forschung und der dort ansässigen | |
Unternehmen wohnt Jena eine Ästhetik des Industriellen, des vorwiegend | |
Naturwissenschaftlichen inne. Aus synästhetischer Sicht wirkt die Stadt | |
schon grundsätzlich metallisch, chemisch, blaugrau und kalt. Der | |
traditionelle Stadtgeist scheint somit sehr konkret. In diesen Tagen ist er | |
konkret fremdenfeindlich. Zumindest gefühlt und aus der Ferne. | |
Verglichen mit Weimar und Erfurt, den anderen beiden urbanen Leuchttürmen | |
Thüringens, scheint Jena stets wie der hässliche, uncoole Streber, der | |
einem die Hausaufgaben macht. Weimar, die Rocher-Kugel des Ostens, das Dorf | |
mit der güldenen Firnis, oder Erfurt, die Schaltzentrale, bestechen durch | |
Stärke. | |
Jena ist Transitort. Der Bahnhof mit dem großen Namen und der kleinen Halle | |
wäre das beste Beispiele dafür. Jenas wahre Identität ist etwas grotesk, im | |
Umbruch. Ein Umbruch, der durch das Wirken der aus Jena stammenden | |
NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, noch krasser | |
ausfällt als ohnehin schon. | |
Die nach dem Lokalhelden Schiller benannte Hochschule dient dem Rathaus | |
gegenwärtig als Image-Rettungsring. Mit ihren mehr als 20.000 Studenten | |
gehört sie zu den größten Bildungsstätten der Region. Die Kommune bemüht | |
sich stets um Mythen der Elite. Für junge Menschen ist die Uni der einzige | |
Grund, um nach Jena zu kommen - oder es gleich wieder zu verlassen. | |
Die Stadt versucht, Uni-Absolventen zu produzieren und Einwohner zu | |
gewinnen - am besten westdeutsche. An der Hochschule sind nahezu alle | |
Fächer Numerus-clausus-frei. Die Alma Mater Jenensis fungiert als | |
Auffangbecken für Abgelehnte. Hier sehen ohnehin viele Studierende so aus, | |
als hätten sie ihre Mitfahrgelegenheit nach Berlin verpasst und die Zusage | |
von der HU gleich mit. | |
## Jena, Hort der Bildung | |
Die NC-Freiheit ist begrüßenswert. Als klares Statement gegen | |
Perspektivlosigkeit hat sie so ihre Tücken. Wer will, kann sich fast | |
überall ausprobieren. In Jena wimmelt es von Studenten, die nicht wissen, | |
was sie wollen. Zum Leidwesen derer, die es wirklich ernst meinen. Nicht | |
selten kommt es vor, dass man im Biologiekurs Kommilitonen mit | |
Volkskundevergangenheit trifft. | |
Die Stadt ist ein Hort für Bildung. Konflikte werden im Audimax ausgetragen | |
und nicht, so wie einst, auf der Straße. Einige kehren der Uni trotzdem | |
schon nach einem Jahr wieder den Rücken. Lediglich Naturwissenschaftler und | |
die Nachbarn von der FH ziehen ihr Studium durch. Die Uni hat aufgrund | |
ihrer gutmütigen Hospitalität so viel Exklusivität wie Open Office, das | |
auch jeder haben kann. Das unterscheidet die FSU von den Unis in Erlangen | |
oder Heidelberg. Daran können auch die B-prominenten Lehrstühle nichts | |
ändern. | |
Zumindest oberflächlich kann Jena mit den genannten Orten aufbieten: Die | |
Stadt ist erzstudentisch, erzakademisch, wohlerzogen und lieb. Zu lieb. | |
Jena ist so lieb, dass man nicht einmal den Punks in der Innenstadt ihre | |
Subversion abkauft. An der grundsätzlich braven Attitüde können auch selbst | |
die ungezogenen Schmierereien der Fußballfans nichts ändern. Insgesamt ist | |
Jena eine so studierte Stadt, dass man sich fragt, ob es dort überhaupt | |
Mittelschulen gibt. | |
Der Wohnungsnotstand sorgt für Mieten auf Westniveau. Mehr als zwei Bettler | |
sieht man höchstens zur Weihnachtszeit. Die starke antirassistische Prägung | |
des neuen Jenas spürt man vor allem bei einem Spaziergang durch die | |
Innenstadt: Hier ein Schriftzug, dort ein Sticker. Die Dichte an | |
bürgerlichen Akademikern ist zudem überdurchschnittlich hoch. Sämtliche | |
dieser Faktoren müssten die Stadt eigentlich sehr westdeutsch machen. Ist | |
es das, was Jena so energisch anstrebt? | |
Aus objektiver Sicht verweigert sich Jena - von den Platten mal abgesehen - | |
jeglicher Ostästhetik. Zum Beispiel auch mit diesem sonderbaren Dialekt, | |
der irgendwie intelligenter wirkt, als das süffig-würzige Sächsisch. Der | |
Slang hört sich nach Möchtegern-Bayrisch an, wie eine Schnittmenge aus | |
Hoch- und Süddeutsch. Es scheint wohl an der geografischen Lage zu liegen, | |
die Jena so unkonkret macht: näher am Westen, irgendwo in der Mitte | |
Deutschlands. | |
Unter der Woche ist das öffentliche Treiben einschließlich des Nahverkehrs | |
auf den Campus ausgerichtet, der einer Festung im heterogenen Stadtbild | |
gleicht. Studenten, so weit das Auge reicht. Die Straßenbahn chauffiert die | |
Strebsamen aus dem Hörsaal direkt nach Lobeda oder Winzerla, in die | |
Neubaugebiete, die sich für leichtgläubige A-4-Pendler als schäbige | |
Willkommensgrüße, als irrtümliche Botschafter der Stadt etabliert haben. | |
Nicht zuletzt durch die aktuelle Debatte sind die Blockstädte negativ | |
belegt: Der Ghettocharme, den derartige Plattenbausiedlungen ausstrahlen, | |
lädt zu bösen Mutmaßungen ein. Von Tristesse ist die Rede, von | |
Arbeitslosigkeit, Gewalt. | |
In den neunziger Jahren kam es in Winzerla zum Überfall auf einen | |
Jugendklub. Die Protagonisten des Neonaziterrors wuchsen dort auf. | |
Eigenschaften des ostdeutschen Plattenbauviertels der neunziger Jahre, wie | |
sie auch von Andrea Hanna Hünniger in ihrem Roman "Paradies" anhand eines | |
Weimarer Exempels skizziert werden, sind in Lobeda aber schon lange nicht | |
mehr bestimmend. Die Angstzonen sind mittlerweile teilakademisiert: Da der | |
in Jena grassierende Wohnungsnotstand einige Studenten dazu gezwungen hat, | |
nach Lobeda zu ziehen, verliert das angebliche Problemviertel allmählich | |
seine Furcht einflößende Aura, wird zum notwendigen Übel, zur akademischen | |
Besatzungszone. | |
## Flunkyball mit Metallern | |
Höchstens amateurhafte HipHop-Crews aus dem Block versuchen noch, die | |
Ghettowerdung herbeizurappen. Nicht nur in Lobeda, sondern in der ganzen | |
Stadt muss man schon darum bitten, abgezogen zu werden. Durch die | |
universitäre Alltagsprägung sagt den Menschen in Jena-Lobeda der Name | |
Walter Benjamin zumindest eher etwas, als denen in Halle-Neustadt. Trotz | |
der studentischen Haltung dünkt die Stadt nicht sexy und wild, sondern eher | |
gehorsam, fast spießig. Allein die Spätverkäufe kann man an den Zinken | |
einer Stimmgabel abzählen. | |
Jena ist ein akademisches Ferienlager. Im Sommer liegt man in der Oberaue, | |
hört sich zum x-ten Mal die frühen Sachen von Clueso an, zeigt sich | |
gegenseitig Festivalbändchen, fragt süße Soziologen nach Filtern oder | |
spielt mit bierseligen Metallern Flunkyball. Abends gibts Drum n Bass. Und | |
wenn einem gar nichts mehr einfällt, träumt man von Berlin. Oder fährt | |
direkt für eine Woche dorthin, zur aus Berlin stammenden Kommilitonin, die | |
man schon während der Einführungstage um einen Schlafplatz in der | |
Hauptstadt angebettelt hat. | |
Einfach mal raus aus der kleinen Stadt, raus aus dem Tal, das einen so | |
einengt. Raus aus der singulären, urbanen Einöde, die einem eine | |
kosmopolitische Sicht auf die Dinge versperrt. Sieht man nichts anderes, | |
wird man erst recht singulär. Denn Jena ist immer noch klein. Genau wie | |
Zwickau, jene Stadt, die der Jenaer NSU-Zelle als Rückzugsort diente. | |
Die Stadt tut währenddessen alles gegen Perspektivlosigkeit. Ein paar | |
Perspektivlose gibt es aber immer. Sie sammelten sich in Jena rund ums | |
"Braune Haus", aber auch in der umliegenden Provinz. In mancher Ortslage | |
kann man auch heute eine Atmosphäre inhalieren, die einen nachdenklich | |
macht. | |
Nicht unbedingt in Lobeda, eher in provinziellen Stadtteilen wie Burgau, | |
dass mit seiner dörflichen Architektur an die Zwickauer Herberge der | |
Rechtsterroristen erinnert und nur vermeintlich sicher ist. Wo Jugendliche | |
aus dem Saale-Holzland-Kreis ihren tiefergelegten VW-Golf auf einem | |
Parkplatz brummen lassen. Wo grauhaarige, unzufriedene Kurzarbeiter leicht | |
zu gemäßigten Nazis werden, von denen aber keine Gefahr ausgeht, da der | |
Rücken Probleme bereitet. | |
Dort, wo ein schnauzbärtiger Deutscher mit seiner Gattin Hähnchendöner | |
verkauft, im Einkaufszentrum Burgau-Park. Dort, wo Thor Steinar tragende | |
Hünen hinter Jack-Wolfskin-Müttern in der Kassenschlange stehen. | |
8 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Vid Silber | |
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