| # taz.de -- Besuch in der Lichtstadt Jena: Romantisch auf die schräge Art | |
| > Jena ist nicht nur Standort der Traditionsfirma Carl Zeiss. Hier waren | |
| > auch die Lichtgestalten Goethe und Schiller zeitweilig zu Hause. | |
| Bild: Schillers Gartenhäuschen mit seinem Arbeitszimmer | |
| Erst seit ich diese Arbeit hier mache, weiß ich, was für eine tolle Stadt | |
| das ist“, sagt die Jenaer Fremdenführerin Sabine Weiß | |
| ([1][www.jena-stadtfuehrung.de]). Die Stadt Jena mit ihren gerade mal | |
| 110.000 BewohnerInnen preist sich selbst wegen der durchsichtigen oder | |
| leuchtenden Produkte ihrer Traditionsfirma Carl Zeiss in ihrem | |
| Touristenmagazin als „Lichtstadt“ und „Ort der Lichtgestalten“ wie Goet… | |
| und Schiller. Das alles vor „atemberaubender Naturkulisse“. Aber Sabine | |
| Weiß lobt ehrlich. Sie strahlt solidarisch, zeigt auf ein Gedenkschild an | |
| einem Haus und erklärt: „Zum Beispiel diese tolle Frau: Caroline Schlegel“. | |
| Die einstige Bewohnerin strebte nach Selbstverwirklichung, als der Begriff | |
| Emanzipation noch nicht existierte. In Göttingen mit dreißig Jahren bereits | |
| verwitwet, zog sie 1792 nach Mainz, wo bald darauf französische | |
| Revolutionstruppen einmarschierten. Die begrüßte sie so herzlich, dass sie | |
| von einem zehn Jahre jüngeren französischen Soldaten schwanger wurde. | |
| Als Preußen die Stadt einnahmen, setzten sie die „Jakobinerin“ in | |
| Festungshaft. Danach diskriminierte man sie allerorts, bis ihr der in Jena | |
| ansässige Philologe, Literaturkritiker und Übersetzer August Wilhelm | |
| Schlegel seine Hand und seinen Schutz anbot. Hier wurde sie mit ihrem Salon | |
| zum Leitgestirn der sogenannten Epoche der Jenaer Frühromantik (1795 bis | |
| 1804). | |
| Würde man Sabine Weiß jetzt aus der Luft filmen, so bewegte sie sich auf | |
| einem Schachbrett aus Hinterhöfen zwischen zweistöckigen historischen | |
| Gebäuden. Die Namenstafeln am Fürstengraben 18, am ehemaligen Haus des | |
| Buchhändlers und Verlegers Carl Friedrich Frommann, zeigen, wer darin in | |
| jener Epoche gleichzeitig ein- und ausging: Johann Wilhelm Ritter | |
| (Physiker, Begründer der elektrochemischen Theorie, Erfinder des | |
| Akkumulators und Entdecker der UV-Strahlung), Wilhelm von Humboldt, | |
| Friedrich Hölderlin und Friedrich Hegel, der Arzt und Philosoph Christoph | |
| Wilhelm Hufeland. | |
| Geselligkeit war das oberste Gebot dieser Aussteigerszene, und das hieß für | |
| sie – fast wie für die späteren 68er – zusammenarbeiten, aber auch den | |
| Alltag teilen. Ihr Motto: „Runde Tische sind ein hölzernes Mittel gegen die | |
| Vereinzelung.“ | |
| ## Eine Art von Hinterhaus | |
| „Universitätsmamsells“ nannten die Jenaer die Frauen, deren frühromantisc… | |
| Lebensgefährten alle irgendwie von der Universität abhingen. Dorothea Veit, | |
| älteste Tochter des jüdischen Berliner Aufklärers Moses Mendelsson, war aus | |
| einer arrangierten Ehe aus Berlin geflohen und lebte nun hier mit August | |
| Wilhelms Bruder Friedrich Schlegel. Im Jahre 1999 schrieb sie: „Wir wohnen | |
| alle in einer Art von Hinterhaus, alle Fenster gehen nach dem Hofe zu. Ganz | |
| unten wohne ich, eine Treppe hoch Caroline, dann Wilhelm und zuletzt ganz | |
| in der Höhe wohnt Friedrich.“ | |
| Benachbarte Frühromantiker aßen beieinander, disputierten oder erkundeten | |
| gemeinsam das liebliche Saaletal und die umliegenden Berge. Wenn heutige | |
| Wanderer in einem halben Tag auf gepflegten Wegen durch den Wald zum | |
| Beispiel den Landgrafen besteigen und im dortigen Lokal Landgraf | |
| thüringische Küche genießen, so musste man sich damals mühsam hochhangeln. | |
| Die Kalkberge waren, mit Ausnahme einiger Weinberge, noch fast nackt. | |
| Der lungenkranke Vielschreiber Friedrich Schiller löste das Problem, indem | |
| er sich jenseits der Stadtmauer ein Sommerhaus baute, mit einer baulich | |
| ausgegliederten Küche und einem extra Schreibturm im Garten. Das Ensemble | |
| „Schillers Gartenhäuschen“ liegt heute mitten in der Innenstadt und | |
| dokumentiert mit original Habseligkeiten Schillers Alltag. | |
| War dies eine Lifestylerevolution? „Nicht nur“, sagt Klaus Schwarz, Leiter | |
| des Jenaer Romantiker-Hauses ([2][www.romantikerhaus-jena.de]), | |
| ehrfurchtsvoll: „mehr, viel mehr! Wir dürfen nicht vergessen, dass Caroline | |
| Schlegel in der kurzlebigen Mainzer Republik vor dem Freiheitsbaum | |
| gestanden hatte. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – das nahmen diese | |
| Leute ernst!“ Auch reagierte diese Bewegung auf einen gewaltigen | |
| naturwissenschaftlichen Erkenntnisschub im 18. Jahrhundert. Der erforderte | |
| nach Ansicht der Frühromantiker eine andere Literatur, ein ehrlicheres | |
| Hingucken auf den Menschen, auf die Natur und auch auf Gott. | |
| ## Im Sinne der Frühromantik | |
| Wie Sabine Weiß empfindet auch Klaus Schwarz seinen Job als großes Glück. | |
| Er arbeitet seit dem Eröffnungsjahr 1981 im Museum und wird hier, wie er | |
| sagt: „täglich klüger“. Neben den Frühromantik-Räumen finden auch | |
| Wechselausstellungen statt, immer wieder mit Werken von Vertretern der | |
| komischen Kunst wie etwa Michael Sowa, Rudi Hurzlmeier oder Frank Kunert. | |
| Deren Sinn fürs Absurde und Kombinationskunst sei ganz im Sinne der | |
| Frühromantik, meint Schwarz. | |
| Das heute grün gestrichene Domizil des Romantiker-Museums kaufte 1795 der | |
| Philosoph Johann Gottlieb Fichte. Hörsäle konnte die Universität ihren | |
| Lehrenden nicht zur Verfügung stellen, deshalb richtete er sich hier seinen | |
| eigenen ein. Er schuf hier die Grundlage für die Philosophierichtung des | |
| „Subjektiven Idealismus“. | |
| Weder die Theorien dieser Gruppe noch sie selbst entsprachen dem heutigen | |
| Klischee von Romantik. Vor allem zersetzte die unbändige Streitlust der | |
| FrühromantikerInnen ihren Kreis von innen. Der einflussreiche Weimarische | |
| Geheimrat Goethe kämpfte nicht nur als Kurator der Jenaer Universität für | |
| Freiheit ihrer Lehre und Forschung, er versuchte auch zu vermitteln, als es | |
| zwischen den Schillers und Schlegels zum Zerwürfnis kam. | |
| Caroline machte sich öffentlich über den Schiller’schen Pathos lustig, | |
| besonders über das bisweilen hausbackene Frauenbild in seiner Dichtung. | |
| „Über ein Gedicht von Schiller, das ‚Lied von der Glocke‘, sind wir gest… | |
| Mittag fast von den Stühlen gefallen vor Lachen“, schrieb sie an Freunde. | |
| 1799 zog Schiller beleidigt nach Weimar. | |
| 12 Aug 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.jena-stadtfuehrung.de | |
| [2] http://www.romantikerhaus-jena.de | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Kerneck | |
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