# taz.de -- Deutsche Tugenden: Neid, Missgunst, Hass | |
> Die Opfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" arbeiteten als | |
> Migranten in harten Jobs an ihrer Integration. Von ihren Mördern lässt | |
> sich das nicht sagen. | |
Bild: Freundwärts? Eher feindwärts. Etwa mit Neid auf die Ausländer, die nic… | |
Die Empörung über das Versagen von Polizeien und Verfassungsschutzämtern | |
bei ihren Ermittlungen zu den acht Morden an Bürgern mit sogenannt | |
migrantischem Hintergrund und dem an einer Polizistin in Baden-Württemberg | |
geht ins Schockierte: Eine solche Ignoranz neonazistisch inspirierten | |
Tatkräften gegenüber haben offenbar selbst konservative Kommentatoren nicht | |
für möglich gehalten. | |
Plötzlich wirkt die Titulierung der Taten als "Döner-Morde" ekelhaft und | |
beschämend am Falschen interessiert: Nicht um Mafiaangelegenheiten ging es, | |
nicht um Delikte innerhalb eines sogenannten Milieus, sondern um | |
rassistisch unterfütterten Hass. Aber wovon lebte diese krasseste Form von | |
Aversion, die in Hinrichtungen mündete - Morde, die wie Exekutionen | |
ausgeübt wurden? Was haben die Opfer gemeinsam? | |
Die sieben Männer türkischer Herkunft und der eine, der für die | |
allermeisten Deutschen so aussah, wie sie sich einen Türken vorstellen, der | |
aber Grieche war - einte diese sieben Männer für die mutmaßlichen | |
TäterInnen allein, dass sie nicht urdeutsch-mischblond aussahen? Dass sie | |
wie Ausländer gesehen wurden, die im Inländischen verschwinden sollten, und | |
sei es um den Preis ihrer Auslöschung? | |
Naheliegenderweise: auch das. Dieser Teil des Skandals um verfehlte | |
Aufmerksamkeiten durch die Sicherheitsbehörden ist in den vergangenen Tagen | |
gut und immer noch nicht ausreichend ausgeleuchtet worden. Diese | |
Perspektive lebte in den späten Solidarisierungen von ethnischen | |
Zuweisungen: Die armen türkischen Angehörigen - wie konnte ihnen das bloß | |
widerfahren. Soll bitte nicht wieder passieren: Eilfertige Gesten wie der | |
Besuch von SPD-Chef Sigmar Gabriel in der Kölner Keupstraße oder der | |
Fototermin von Maria Böhmer, regierungsamtlich bestellte | |
Integrationsbeauftragte, mit Bürgern aus der Integrationsszene waren in der | |
vergangenen Woche die Folge. | |
## Onkelwirtschaft? Respekt! | |
Aber auffällig ist darüber hinaus, dass die Opfer sehr wohl etwas gemeinsam | |
haben, das über die ethnische Wahrnehmung weit hinausgeht: Es waren keine | |
zufällig in einer Caystube sitzenden Männer, keine Erols und Ahmeds, die | |
irgendwo flanieren - sondern Handwerker und Kleinunternehmer. | |
Und zwar dort, wo sie arbeiten. | |
Orte wie Frisör- und Gemüseläden symbolisieren aber mehr als Migration. Wer | |
diese betreibt, arbeitet extrem hart und fleißig an der eigenen | |
bürgerlichen Existenz. Der will es in der neuen Heimat unbedingt schaffen, | |
und zwar mit Arbeitszeiten, die vom frühen Morgen bis in den späteren Abend | |
reichen. Zehntausende MigrantInnen leben diesen bürgerlichen Traum vom | |
Aufstieg durch Fleiß und Strebsamkeit. In Internetcafés, mit Frisörsalons, | |
in Spätkaufkiosken, mit Gemüse- und Obstläden. | |
Das allein müsste allen, die diesen knochigen Weg des Ankommens und | |
Existenzsicherns nie gehen mussten, Respekt abnötigen, mindestens. | |
In der Debatte um Thilo Sarrazins Thesen ging dieser Aspekt weitgehend | |
unter: die Verachtung des Exfinanzsenators von Berlin für diese | |
"Onkel-Ökonomie", für all jene, die sich - wie MigrantInnen es überall auf | |
der Welt zu tun versuchen - abschuften. Um nicht unterzugehen, um es zu | |
schaffen, und das allermeist aus Verantwortung für die eigene Familie. Um | |
nicht zu sagen: Auf dass die eigenen Kinder es besser haben und es zu noch | |
mehr bringen werden. | |
## Arbeitsscheues Gesindel | |
Was aber den einen Respekt abnötigt, ist anderen nur Missgunst und Neid | |
wert: Das Gros der Fellows von rechtsradikalen Zirkeln mag diese Gefühle | |
gehegt haben - Hass auf jene, die aus ihrem Leben etwas zu machen | |
versuchen, und zwar mit Erfolg. Neid auf die Ausländer, die nicht dauernd | |
abhängen und die faule Haut für eine falsche halten, auf die man sich legen | |
könnte. | |
Von den drei mutmaßlichen MörderInnen aus Thüringen ist nicht überliefert, | |
dass sie mit Ehrgeiz und Fleiß aus ihren Leben etwas Anständiges machen | |
wollten. | |
Wir wissen noch zu wenig über das Trio, über all die anderen, | |
Biografieforschung überhaupt zu Neonazis gibt es eher wenig. Der eine der | |
drei war ein Professorensohn, Uwe Mundlos, der auf dem zweiten Bildungsweg | |
sein Abitur machen wollte; der andere, Uwe Böhnhardt, ein Hilfsarbeiter, | |
die Frau, Beate Zschäpe, gelernte Gärtnerin ohne bekannt gewordene | |
Ambition, den Meisterinnenbrief zu erwerben. | |
Der Sozialwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma umriss mit Blick auf die | |
Freunde der linken Roten Armee Fraktion die These, ihr dauernder Kampfmodus | |
deute auf eine gewisse Unfähigkeit zum bürgerlichen Lebensentwurf hin. Mit | |
dem wichtigeren Blick nach rechts ließe sich sagen: Beim Topos vom | |
arbeitsscheuen Gesindel, das Rechtsradikale gern in Ausländern sehen, | |
meinen sie sich meist nur selbst. | |
21 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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