# taz.de -- Reportage von der Castor-Strecke: Routine und Rempeleien | |
> Der Castortransport ist Routine - auf beiden Seiten. Dennoch ist er jedes | |
> Mal anders. Dieses Mal gab es Unterstützung aus Japan. | |
Bild: Hunderte von bis zu 23.000: Demonstranten auf dem Weg zum Schottern. | |
Greenpeace schlägt bei Lüneburg zu. Aktivisten umgehen die Polizei, legen | |
sich bäuchlings auf die Gleise der Castorstrecke, umarmen sie und stecken | |
unter einer Schiene ihre Arme von beiden Seiten in ein Rohr. Mensch und | |
hohles Metall verschmelzen zu einem Ringen und umschließen die Gleise. | |
Finito. Die Polizei bekommt die Konstruktion nicht auf. Dass sich im | |
Verlauf des Transports irgendwo Greenpeace-Aktivisten anketten, gehört | |
dazu. | |
So mutig solche Aktion erscheinen, sie folgen einem festen Ablaufplan: | |
Sobald sie entdeckt werden - in der Nacht zum Sonntag bei Lüneburg dauerte | |
das nur 30 Sekunden - rückt die Polizei an. Dann ihre Techniker zum | |
Loseisen, psychologisch geschulte Beamte, Polizei-Pressesprecher, | |
Greenpeace-Pressesprecher, fast zeitgleich die von Greenpeace alarmierten | |
Medien, Ärzte und Sanitäter - sowohl jene, die zur Polizei gehören, als | |
auch jene, die die Aktivisten selbst organisiert haben - und auch die | |
Seelsorger kommen entsprechend in doppelter Besetzung. | |
Die eine Seite des Protests ist eben diese Routine im Ablauf. Man kann sich | |
auch eine Karte des Wendlandes hinlegen, die Castorstrecke in Abschnitte | |
einteilen und weiß: da Blockaden, hier "Schotterer". Sie versuchen, den | |
Schotter zwischen den Schienen wegzuräumen, daher der Name. Ihr | |
Selbstverständnis ist es, die Polizei nicht anzugreifen. Die Polizei kennt | |
sie, verjagt sie relativ erbarmungslos mit Knüppeln und Pfefferspray, dabei | |
gibt es die meisten Verletzten. Zwischendurch Langeweile für die Beamten. | |
Samstagabend zum Beispiel, zwei große, blonde, Polizisten stehen auf den | |
Gleisen, sind froh, jemanden zum Plaudern zu finden. Ihr Helm liegt auf dem | |
Boden, als säßen sie drauf, wenns keiner sieht. | |
Es gab gerade Suppe für die Polizisten, auch sonst ginge es ihnen richtig | |
gut. "Diesmal sind nicht nur die Demonstranten besser versorgt", sagt der | |
eine. Im vergangenen Jahr bekamen die Polizisten keinen Nachschub, weil | |
Bauern mit ihren Treckern die Zufahrtswege blockierten. "Ein langer Tag | |
wird das aber", sagt der Jüngere der beiden. Auch die Toilettensituation | |
sei besser als im vergangenen Jahr, sagt der andere. Die beiden stehen | |
direkt an der Stelle: Nur wenige hundert Meter entfernt der beiden hat die | |
Polizei ein Lager aufgebaut, mit Dixie-Klos und Versorgungswagen. | |
## Ein bisschen Robin Hood | |
Ähnlich absehbar sind die Blockaden. Einer, der immer dabei ist, ist Frank | |
Scheibner, 49 Jahre, von Beruf Tischler, seit 30 Jahren im Atomwiderstand. | |
Er führt Samstagnachmittag einen Treck AktivistInnen über die Felder zu den | |
Bahngleisen. Seine Gruppe ist eine von vielen. Um die Polizei zu verwirren, | |
hat man sich aufgeteilt und strömt aus allen Himmelrichtungen zu einem | |
Gleisabschnitt kurz hinter dem Dorf Harlingen. | |
Sie sind fast am Ziel: Es geht eine Böschung hinunter, dann kommt die | |
Strecke. Die Polizei steht in schwarzer Montur im Unterholz, das Ganze | |
sieht kurz aus wie bei Robin Hood. Da die uniformierten Männer des | |
Sheriffs, dort der bunte Mopp Rebellen, jung und alt, statt mit Pfeil und | |
Bogen mit Strohsäcken und Thermosflaschen bewaffnet. Scheibner sagt noch, | |
die Polizei hier wisse: Wer hier aufkreuzt, der schottert nicht. Also | |
werden sie auch keinen Knüppel ziehen. | |
Dann zieht er mit den anderen in die Schlacht und läuft ruhig auf die | |
nervösen Polizisten zu: "Für uns ist wichtig, dass sie wissen, sie müssen | |
von uns nichts befürchten", sagt er zu einem Behelmten. Sie diskutieren | |
über Grundrechte, dann drängt sich Scheibner zwischen die Beamten, man | |
schiebt sich kurz wie zwei zankende Hirsche, dann sagt der Kollege, | |
Funkstöpsel im Ohr: "Wir sollen sie durchlassen." Minuten später besetzen | |
die Blockierer die Schienen. | |
Dann sitzt Scheibner auf den Gleisen, auch die Tochter hat es in die | |
Blockade geschafft, er mampft eine Orange und erzählt, wie gut sich die | |
Aktionsformen ergänzen. "Manchmal wird das hier als Volksfest, | |
Schnitzeljagd oder Karneval tituliert. Das ärgert mich", sagt er. Routine? | |
Von Routine könne keine Rede sein. Jeder Castortransport sei anders. "Den | |
Leuten, die schon lange dabei sind, hängt das zum Hals raus. Weil das jedes | |
Mal richtig, richtig viel Arbeit ist", sagt er. Man demonstriere der Sache | |
wegen: Gorleben, das sie als Endlager verhindern wollen, die | |
Atomwirtschaft, die trotz Ausstieg immer noch Geschäfte mit der | |
Strahlenwirtschaft macht. | |
## Katastrophe in Japan plötzlich greifbar | |
Und in diesem Jahr ist ein Grund hinzugekommen: Fukushima. Es gibt Momente, | |
da ist die Katastrophe in Japan plötzlich greifbar. In Dannenberg ist am | |
Samstag Großkundgebung, auf der Bühne spricht die alleinerziehende Kanako | |
Nishikata, die in Fukushima gewohnt hat. Tausende AtomkraftgegnerInnen | |
werden auf einmal still. "Ich hatte ein einfaches, aber schönes Leben", | |
sagt Nishikata, ihre Stimme tränenerstickt. "Bis zum 11. März. Die | |
Katastrophe hat alles geändert." Sie fühle sich wütend, weil sie ihre | |
Kinder nicht schützen konnte, übersetzt eine Dolmetscherin. | |
In der Kundgebung steht auch Akiko Yoshida, gehüllt in einen schwarzen | |
Mantel. Der BUND hat die 30-jährige japanische Umweltaktivistin eingeladen | |
zu einer Vortragsreihe. Yoshida ist begeistert von den Massen im Wendland. | |
Kopieren werden sie den Protest in Japan aber nicht, sondern ihren eigenen | |
Widerstand entwickeln. | |
Aber längst wachse auch die Bewegung in Japan, sagt Yoshida. Sie erzählt, | |
wie sie mit 60.000 Atomkraftgegnern Ende September in Tokio demonstrierte. | |
Ihr Verband "Friends of the Earth" zähle schon 500 Mitglieder, 80 Prozent | |
der Japaner seien für einen Ausstieg. Für Yoshida ist das nur eine Front, | |
die zweite sei eine sichere Evakuierungspolitik in Fukushima. "Unsere | |
Kinder müssen wirklich vor der Strahlung geschützt werden." Es ist ein | |
anderer Kampf, den Yoshida führt. Ein existenzieller. | |
## Essen aus der selbst organisierten Küche | |
In der Blockade in Harlingen nimmt alles seinen gewohnten Gang. "Die | |
traditionellen Veranstaltungen wie die Sitzblockade in Harlingen bereiten | |
keine Probleme", sagt ein Polizeisprecher. Und spricht dann von Angriffen | |
auf die Polizei. Auch das ist trauriger Teil der Castorproteste: Autonome, | |
die mit Steinschleudern auf die Polizei schießen und Einsatzfahrzeuge | |
anzünden, und ein Beamter, der ein vielleicht 14-jähriges Mädchen grundlos | |
ins Gleisbett stößt, in dem bereits hunderte Blockierer sitzen. | |
In der Nacht zum Sonntag werden die AktivistInnen erst vorzüglich mit Essen | |
aus ihrer selbst organisierten Volxküche versorgt, später räumt sie die | |
Polizei. Einige gehen freiwillig, einige weigern sich, lassen sich | |
wegtragen und müssen am Sonntag stundenlang auf einem Acker ausharren, auf | |
dem die Polizei einen Kreis aus Mannschaftswagen aufgestellt hat, als | |
provisorisches Gefängnis. In der Nähe ketten sich Bauern an die Schienen, | |
direkt vor dem Zwischenlager beginnen die ersten Sitzblockaden. | |
Die Greenpeace-Aktivisten haben fünfeinhalb Stunden ausgeharrt. Die Polizei | |
musste einige Meter weiter weg die Gleise aufflexen, mit einem Kran anheben | |
und den Mensch-Rohr-Ring von der Schiene abstreifen. Die Aktivisten sind | |
ohne Gewaltanwendung befreit, haben ihren Erfolg gehabt und ihre Botschaft | |
platziert. Ziel erreicht. Journalisten haben ihre Bilder im Kasten, die | |
Ärzte, Anwälte und Pfarrer ihren Dienst getan und ziehen weiter zur | |
nächsten Aktion. | |
27 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
I. Arzt | |
K. Litschko | |
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