# taz.de -- Unabhängigkeitsreferendum im Südsudan: Ein Jahr der enttäuschten… | |
> Der jüngste Staat der Welt begeht den ersten Jahrestag der | |
> Volksabstimmung im Schatten von Massakern. Die Regierung ist gegenüber | |
> den Konflikten machtlos. | |
Bild: Flüchtlinge in Pibor. Möglicherweise tausende Menschen wurden in der Kl… | |
NAIROBI taz | In Südsudan begann das neue Jahr mit dramatischen | |
Schlagzeilen. Einer Armee von 6.000 Hirten gelang es, die Kleinstadt Pibor | |
anzugreifen und nach Angaben der lokalen Behörden Hunderte, möglicherweise | |
Tausende Menschen abzuschlachten. Und das, während die südsudanesische | |
Armee und die UN-Friedenstruppen in dem Städtchen waren. Die Massaker in | |
Pibor waren der schlimmste kriegerische Zwischenfall in Südsudan seit der | |
Staatsgründung - wenige Tage vor dem 1. Jahrestag des | |
Unabhängigkeitsreferendums, der am 9. Januar gefeiert werden soll. | |
Die Angreifer waren junge Männer vom Nuer-Volk. Sie wollten sich bei den | |
Murle, ebenfalls ein Nomadenvolk, für den Diebstahl von Vieh und Kindern | |
vergangenes Jahr rächen. Der blutige Konflikt zwischen Nuer und Murle ist | |
älter als der unabhängige Südsudan und dessen Regierung scheint dagegen | |
machtlos. "Es erscheint auf den ersten Blick als kulturelle Angelegenheit, | |
ist aber viel mehr", meint Edmond Yakani, ein südsudanesischer | |
Menschenrechtsaktivist. "Es hat mit Politik, Macht und fehlender | |
Entwicklung zu tun. Es zeigt, dass die Regierung die Lage im Land nicht in | |
den Griff bekommt." | |
Die Euphorie über Südsudans Unabhängigkeit am 9. Juli 2011 war nach ein | |
paar Wochen vorüber. Pessimisten sehen in Südsudan ein zweites Somalia, wo | |
Anarchie herrscht. Optimisten hoffen, dass es nicht so weit kommt, sehen | |
aber auch wenig Gutes in der Zukunft. "Die Nuer- und Murle-Kämpfer sind | |
unwissende junge Männer", erklärt Yakani. "Sie werden von Politikern | |
benutzt, die versuchen, die Regierung zu destabilisieren, um selbst an die | |
Macht zu kommen." | |
## Rebellion kostete Hunderte von Menschen das Leben | |
Der bekannteste bewaffnete Gegner der südsudanesischen Regierung wurde Ende | |
2011 unter mysteriösen Umständen getötet. George Athor hatte eine eigene | |
Miliz aufgebaut, als er nicht zum Gouverneur des Bundesstaates Jonglei | |
gewählt wurde, wo der Ort Pibor liegt. Seine Rebellion kostete Hunderte von | |
Menschen das Leben. | |
Waffen gibt es reichlich im Südsudan. Vor dem Friedensvertrag 2005 | |
herrschte 22 Jahre Krieg. Damals hatte jeder Mann ein Gewehr, um gegen den | |
Feind zu kämpfen, Sudans Regierungsarmee. Bis heute ist das Land | |
überschwemmt mit Waffen. "Wir haben keinen Überblick", sagt Steve Paterno, | |
ein südsudanesischer Kommentator. "Militärkommandanten sind dafür | |
verantwortlich. Manche verkaufen Waffen an den höchsten Bieter oder an | |
Stammesgenossen." | |
Es gilt als sicher, dass Sudans Regierung in Khartum Gegner der | |
südsudanesischen Regierung von Präsident Salva Kiir bewaffnet. Das ist die | |
Revanche für Südsudans Militärhilfe an Aufständische im Norden, in den | |
sudanesischen Bundesstaaten Süd-Kordofan und Blauer Nil. Diese neue | |
Rebellion in Sudan und ungelöste Fragen zwischen Nord und Süd haben die | |
Beziehungen zwischen beiden Teilstaaten sehr verschlechtert. Beide Seiten | |
drohen ab und zu mit einem neuen Krieg. In Südsudan fragen viele, wie die | |
Armee aus ehemaligen Rebellen das Land verteidigen könnte. Die Streitkräfte | |
waren nicht einmal fähig, sich dem Marsch der Nuer-Hirtenkämpfer auf Pibor | |
entgegenzustellen. | |
Die Frage ist auch, warum die organisierte Viehdieberei nicht einzudämmen | |
ist. Tausende von Menschen sind dabei 2011 ums Leben gekommen. "Die Justiz | |
ist noch nicht aufgebaut, um Tausende von mordenden Viehdieben | |
abzuurteilen. Also müssen traditionelle Autoritäten Recht sprechen", meint | |
Paterno. Die traditionelle Justiz bedeutet aber oft, dass ein Mörder sich | |
mit ein paar Kühen freikaufen kann. | |
## Der Brautpreis ist sehr hoch | |
Ein Grund für die Zunahme von Viehdiebstahl: Der Brautpreis in Südsudan ist | |
sehr hoch. Viele Hirten können es sich nicht leisten, zu heiraten. Sie | |
stehlen Kühe, um sich eine Braut zu kaufen. "Aber auch die Gebildeten von | |
den Nomadenvölkern tragen dazu bei. Sie arbeiten oft in den Städten für | |
ausländische Entwicklungsorganisationen, die gute Gehälter bezahlen. Wenn | |
diese Männer heiraten wollen, geben sie Geld an Viehdiebe, um genügend Kühe | |
zu klauen", erklärt Yakani. | |
2011 stimmten fast 100 Prozent für die Unabhängigkeit - heute scheint es, | |
die Regierung sei an allem schuld. Aber es fehlt vieles - Schulen, Straßen, | |
Strom und sauberes Wasser. Dafür ist in einem unabhängigen Land die | |
Regierung verantwortlich. | |
9 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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