| # taz.de -- Berichte von Augenzeugen in Syrien: "Nie habe ich uns so viel Mut z… | |
| > Der Aufstand der Rebellen hat die Vororte von Damaskus erreicht, die Lage | |
| > ist unübersichtlich. Menschen aus der syrischen Hauptstadt erzählen von | |
| > ihren Hoffnungen und Ängsten. | |
| Bild: Deserteure der syrischen Armee in Sakba, einem Vorort von Damaskus. | |
| "Es gibt immer wieder Schießereien" | |
| Ein westlicher Diplomat berichtete der taz am Montagmorgen: "In den | |
| Vororten von Damaskus hat es heftige Kämpfe gegeben, besonders in Harasta | |
| und Duma. Es schien am Wochenende, als sei der Kreis der Vororte rings um | |
| die Hauptstadt von der Armee der Desertierten, der Free Syrian Army, | |
| eingenommen worden, dann startete die Regierungsarmee aber eine Offensive. | |
| Die Free Syrian Army kämpft seit Neuestem auch mit Panzerfäusten, wie man | |
| auf mehreren Videos im Internet sehen konnte. | |
| Panzer stehen in Damaskus noch nicht, aber es herrschen hohe | |
| Sicherheitsvorkehrungen. Trotzdem gibt es immer wieder Schießereien. Auch | |
| aus den feinen Bezirken und nahe der Französischen Botschaft, wo extreme | |
| Sicherheitsvorkehrungen herrschen, habe ich von Gewalt gehört. Meist | |
| beginnt es am frühen Abend und geht bis in die Nacht hinein, in den letzten | |
| Tagen kam es allerdings auch tagsüber vermehrt zu Gefechten. | |
| Internet und Funktelefon werden in Syrien mehrfach am Tag abgestellt, | |
| ebenso gibt es oft über Stunden keine Elektrizität. Da Heizöl sehr teuer | |
| geworden ist, können viele Familien nicht heizen. Grundnahrungsmittel | |
| scheint es allerdings noch in ausreichenden Mengen zu geben." | |
| "Christen haben Angst vor einem Bürgerkrieg" | |
| Eine weitere diplomatische Quelle berichtet von der Lage der Christen, die | |
| offiziell zum Großteil weiter hinter dem Präsidenten stehen: "Unter der | |
| Hand hat ein hoher Kleriker unlängst von konkreten Drohungen durch das | |
| Regime gesprochen. Sollten die Christen die Seiten wechseln, so könnten | |
| durchaus auch Kirchen brennen, wurde gewarnt. Die große Angst vor einem | |
| Bürgerkrieg ist besonders unter den Christen verbreitet, da sie als | |
| Minderheit stets vom Regime geschützt wurden und offiziell weiter hinter | |
| ihm stehen. Sie haben Angst, dass religiöse Säuberungskommandos sie im | |
| irakischen Stile vertreiben könnten." | |
| "Syrien leidet unter einer Verschwörungskampagne" | |
| Maher, 23, ist Wirtschaftsstudent und Jungunternehmer in Damaskus. Er | |
| bereitet sich auf seine Examen in zwei Wochen vor: "Ich habe gerade mit | |
| meinen Freunden eine Eventmarketingfirma gegründet. Wir produzieren HipHop, | |
| veranstalten Konzerte, Hochzeiten und Breakdancemeisterschaften und hoffen, | |
| bald die Lizenz für eine eigene Radiostation zu erhalten. | |
| Syrien leidet unter einer internationalen Verschwörungskampagne, die | |
| ausländischen Medien sind stark, aber sie beeinflussen das Leben in Syrien | |
| nicht. | |
| Als ich Teenager war, wurde Baschar Präsident, und alles wurde besser. Mein | |
| Vater konnte einen Kredit aufnehmen, sich selbstständig machen. Ich bekam | |
| ein Handy, habe jetzt einen Apple-Laptop, überall Internet. Heute kann ich | |
| die Musik machen, die ich will, ich kann tanzen, Geld verdienen. Früher war | |
| Breakdance verboten und galt als ,Teufelsanbeterei'. Letztes Jahr | |
| veranstalteten wir die erste syrische Meisterschaft mit Unterstützung des | |
| deutschen Goethe-Instituts. Ich hoffe, das dieses Gerede vom Terrorismus | |
| aufhört und alles normal weitergeht." | |
| "Am Sonntag dachte ich, Damaskus wird befreit" | |
| Asisa, 28, kommt aus Daraa, lebt allein und zurückgezogen in Damaskus: | |
| "Seit April war ich kaum noch auf der Straße, aus Angst, dass ein Agent | |
| mich beim Sprechen mit Verdächtigen sehen könnte. Jeder ist verdächtig. Und | |
| auch wer unverdächtig ist und zur falschen Zeit am falschen Ort, kann wie | |
| so viele einfach verschwinden. In den Unis werden Leute sogar aus Hörsälen | |
| geholt, manchmal Aktivisten, manchmal aber auch Leute, die noch nie was | |
| gemacht haben. Zunächst glaubte ich an eine Verschwörung, floh dann aber | |
| den Sommer über zu Bekannten in den Libanon. | |
| Als ich wieder zu meinen Eltern nach Daraa ging, hörte ich das erste Mal | |
| Panzereinschüsse in die Häuser der Nachbarn. Sah, dass sie echt sind und | |
| von der eigenen Armee abgefeuert wurden. Mittlerweile informiere ich mich | |
| ständig im Internet über sichere Proxy-Server und dachte am Sonntagabend, | |
| dass Damaskus befreit wird. Ich wurde ganz euphorisch. | |
| Dass sich mein Leben einmal so um 180 Grad drehen würde wie in diesem Jahr, | |
| hätte ich nie gedacht. Ich bin immer davon ausgegangen, dass alle | |
| arabischen Herrscher fallen könnten, nicht aber unser Präsident. Nie habe | |
| ich den Syrern so viel Mut zugetraut, aber ich bin stolz auf mein Volk und | |
| will jetzt auch wieder rausgehen und schauen, ob es Frauen und Kinder gibt, | |
| denen ich helfen kann. Jetzt scheint die Regierungsarmee aber wieder Land | |
| zu gewinnen, also bleibe ich noch zu Hause." | |
| "Das Regime muss offen angegriffen werden" | |
| Die Aktivisten Amer aus Dail und Saif aus Daraa, zwei Orten südlich von | |
| Damaskus, berichten: "Wir werden die friedlichen Demonstrationen | |
| fortsetzen, Seite an Seite mit der Freien Syrischen Armee. Denn sie | |
| beschützt die Proteste der Zivilisten. Wir werden also zweigleisig arbeiten | |
| und uns wie in den letzten elf Monaten auf unsere eigene Stärke verlassen. | |
| Der Arabischen Liga können wir nicht mehr trauen. Wir können auch nicht | |
| warten, dass die internationale Staatengemeinschaft aktiv wird. Unsere | |
| Strategie wird das Regime schwächen, indem sie die Wirtschaft | |
| beeinträchtigt und mehr Soldaten dazu bewegt zu desertieren. | |
| Außerdem müssen wir unseren Kampf zur letzten Hochburg des Regimes | |
| verlegen: nach Damaskus. Wir dürfen uns nicht nur selbst verteidigen, wenn | |
| die Regierungstruppen in unsere Städte eindringen und die Demonstrationen | |
| auflösen. Das Regime muss mit riesigen Protesten offensiv angegriffen | |
| werden. Diese Aktionen werden zum Sturz des Regimes führen." | |
| "Es ist nicht einfach schwarz und weiß" | |
| Christian Streib, Kameramann für CNN: Ich habe gemerkt, dass die Situation | |
| nicht einfach schwarz und weiß ist. Ein großer Teil der Bevölkerung | |
| sympathisiert weder mit der Regierung noch der Opposition. Ja, sie wollen | |
| zwar Veränderung, und sie wollen, dass der Präsident geht, aber sie sind | |
| sehr besorgt aufgrund der Sicherheitslage. Und sie haben Angst vor der | |
| sektierischen Spaltung, und davor, dass sich einzelne religiöse Gruppen | |
| radikalisieren und bereit sind, sich zu bewaffnen. Das könnte in einem | |
| Bürgerkrieg enden. | |
| Als Journalist, der im benachbarten Libanon lebt, war ich schockiert, dass | |
| eine Möglichkeit besteht, dass das "libanesische Szenario" wieder wahr | |
| werden könnte. Der libanesische Bürgerkrieg zwischen 1975 und 1990 kostete | |
| mehr als 150.000 Menschen das Leben. Die Parallelen derzeit sind | |
| offensichtlich: der Niedergang der zivilen Ordnung, die Militarisierung von | |
| Teilen der Gesellschaft, das Zerwürfnis der Bevölkerung entlang der | |
| religiösen Grenzen und die Radikalisierung der Sekten. | |
| In Damaskus war es ruhig, trotz einer unterschwelligen Spannung. Ich fühlte | |
| mich sicher in der Stadt. Abhängig von der Windlage konnte man nachts | |
| manchmal Schüsse hören, aus den Vororten, aber das waren bisher Ausnahmen. | |
| Die Regierungsinstitutionen sind geöffnet, alles wirkt normal, bis auf das | |
| die Preise spürbar gestiegen sind. Manche staatlich subventionierten Waren, | |
| wie z.B. Heizöl sind fast nicht mehr zu finden. Die Währung hat rund 40 | |
| Prozent gegenüber dem Dollar verloren. Aufgrund des Embargos funktionieren | |
| westliche Kreditkarten nicht mehr." | |
| 30 Jan 2012 | |
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