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# taz.de -- Debatte Libanon und Syrien: Drahtseilakt im Zedernstaat
> Die libanesische Regierung bleibt enger Verbündeter des Regimes in
> Syrien. Und sie will es sich trotzdem nicht mit den Gegnern Assads
> verscherzen.
Die libanesische Regierung verdient ein Kompliment. Ihr Verdienst besteht
aber nicht etwa darin, die Elektrizitätskrise im Zedernstaat gelöst zu
haben. Im Gegenteil: Die Stromprobleme sind größer geworden. Ebenso wenig
wurden überfällige Reformen auf den Weg gebracht - auch hierbei hat sich
die Regierung seit ihrem Amtsantritt im Juni 2011 als genauso unfähig
erwiesen wie ihre Vorgänger.
Das Kompliment gebührt den regierenden "Kräften des 8. März", einem Bündnis
aus prosyrischen Parteien mit sunnitischen Politikern um den wohlhabenden
Geschäftsmann und Ministerpräsidenten Nadschib Mikati, für seinen
erfolgreichen Balanceakt. Die Allianz hat es fertig gebracht, das Land
stabil zu halten.
Und das in einer besonders prekären Zeit: Während in Syrien seit fast einem
Jahr der Aufstand gegen das Baath-Regime tobt, ist es in dessen kleinem
"Hinterhof", der oft als Schauplatz regionaler Ersatzkriege diente und sich
auch in den vergangenen Monaten immer wieder am Rande eines militärischen
Konflikts befunden hat, relativ friedlich geblieben.
Bedenkt man die politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen
Syrien und Libanon, muss diese relative Ruhe überraschen. Tausende Syrer
haben inzwischen Zuflucht im Libanon gefunden. Die meisten lassen sich
nicht beim Flüchtlingshilfswerk UNHCR registrieren, erhalten also keine
materiellen Hilfen - und sind deshalb auf Familie und Freunde angewiesen.
Hinzu kommen Angehörige von Syrern, die im Libanon als Gastarbeiter auf dem
Bau oder in der Landwirtschaft beschäftigt sind und ihre Nächsten nun aus
dem gebeutelten Nachbarland zu sich holen.
Niemand weiß genau, wie viel Syrer sich derzeit im Libanon aufhalten. In
der Öffentlichkeit kommen sie fast nicht vor. Der Libanon duldet die
Flüchtlinge, hält sie aber auch in Schach. Solidaritätsaktionen für die
Opposition in der Heimat sind riskant. Die Gefahr durch prosyrische Kräfte
ist allgegenwärtig. Mehrere Entführungen syrischer Oppositioneller im
Libanon wurden nie aufgeklärt. Die Botschaft des Assad-Staates, die bisher
im Zentrum Westbeiruts residierte und dort immer wieder Schauplatz von
Protesten war, ist inzwischen verlegt worden - an den Stadtrand.
## Marineschiffe gegen Kritik
Bei Übergriffen der syrischen Armee auf libanesisches Territorium, und die
hat es in letzter Zeit immer wieder gegeben, schaute die Regierung in
Beirut demonstrativ weg. Auch gegen die Verminung der Grenze durch Syrien
hat Beirut nie Protest eingelegt.
Die Demarkationslinie zwischen den beiden Ländern ist 375 Kilometer lang
und ein ständiger Unruheherd. Assads Armee gibt vor, Waffenschmuggler zu
verfolgen - hat aber ebenso geflüchtete Landsleute im Visier. Viele der in
den Grenzregionen lebenden Libanesen sympathisieren zudem mit dem Aufstand
im Nachbarland und sind der Opposition im Libanon zuzurechnen.
Regelmäßig gelangen syrische Verletzte illegal in den Libanon und werden
dort versorgt. Mitunter werden sie sogar in die Krankenhäuser der Metropole
Tripoli im Norden des Landes transportiert. All das geschieht mit dem
Wissen der libanesischen Behörden - die offenbar beide Augen zudrücken, um
sich nicht mit der eigenen Bevölkerung anlegen zu müssen.
Syrien versucht unterdessen, seine Machtposition als starker Nachbar zu
unterstreichen. Als UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon Mitte Januar in Beirut
das Regime in Damaskus aufforderte, die Gewalt gegen die eigene Bevölkerung
zu beenden, protestierte Syriens Botschafter im Libanon auf höchster Ebene.
Was den Diplomaten besonders erboste: dass der Generalsekretär seine Kritik
an Baschar al-Assad im Libanon äußern durfte. Eine Reaktion erfolgte
prompt: Wenige Tage später kidnappten syrische Marineschiffe ein
libanesisches Fischerboot, ein Besatzungsmitglied kam dabei ums Leben.
Die Regierung in Beirut ist bemüht, sich durch eine schwierige Lage zu
manövrieren - einerseits wird unmissverständlich die Verbundenheit mit dem
Regime in Damaskus unterstrichen, andererseits will man international seine
Glaubwürdigkeit nicht durch zu große Nähe zu Assad verlieren.
## Fehden in Tripoli
Was dieser Balanceakt bedeutet, zeigte sich im Streit über die weitere
Finanzierung des UN-Sondertribunals, das den Mord an dem libanesischen
Ex-Ministerpräsidenten Rafik Hariri aufklären soll. Die regierenden "Kräfte
des 8. März", die schiitische Hisbollah und die christliche Freie
Patriotische Bewegung, sind entschiedene Gegner des Tribunals. Trotzdem
entfachten sie nur einen kleinen Sturm im Wasserglas, als Regierungschef
Mikati Ende vergangenen Jahres unter Umgehung des Kabinetts die
Weiterfinanzierung durchsetzte. Einen möglichen Zusammenbruch der Regierung
in Beirut zu vermeiden hatte für die prosyrischen Kräfte im Libanon
offenbar oberste Priorität.
Wie lange die fragile Stabilität im Zedernstaat Bestand haben kann, ist
schwer zu sagen. Zwar konnte unlängst das Aufflammen einer alten Fehde
zwischen den Bewohnern eines sunnitischen und eines alawitschen Stadtteils
in Tripoli wieder eingedämmt werden - die einen unterstützen den Aufstand
in Syrien, die anderen sind Anhänger des Assad-Regimes.
Aber die Konflikte können jederzeit wieder ausbrechen. Zumal wenn die
libanesische Opposition, die aus der sunnitischen Zukunftsbewegung und zwei
christlichen Parteien bestehenden "Kräfte des 14. März", mehr Mut fassen
sollte: Bei den Gedenkfeiern anlässlich des Jahrestags der Ermordung
al-Hariris Mitte Februar solidarisierte sich die Allianz bereits offen mit
dem "Syrischen Nationalrat", der größten Formation der syrischen
Opposition.
"Ich habe ein gutes Verhältnis zum syrischen Präsidenten Baschar al-Assad
und zur syrischen Führung", sagt der libanesische Präsident Michel Suleiman
- aber auch: "Wir sind für Demokratie in Syrien und in anderen Ländern. Wir
haben gute Beziehungen zu allen Gruppen der syrischen Bevölkerung und
schlagen uns auf keine Seite." Die Regierung in Beirut balanciert weiter
auf einem dünnen Seil.
17 Feb 2012
## AUTOREN
Mona Naggar
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