# taz.de -- Grüne in den USA: "Unsere Partei ist eine Bedrohung" | |
> Die ersten drei Jahre Obama sind vorbei. Sparprogramme für das Volk, | |
> Steuergeschenke für Reiche – Jill Stein, Grünen-Kandidatin für die | |
> Präsidentschaftswahl, zieht eine vernichtende Bilanz. | |
Bild: Boston im Oktober 2011: Jill Stein verkündet ihre Kandidatur. "Wir Grün… | |
taz: Frau Stein, Sie machen unter anderem Wahlkampf in den Occupy-Camps, wo | |
andere Politiker nicht einmal Rederecht erhalten. Wieso interessieren sich | |
die eher anarchistischen Besetzer für Sie? | |
Jill Stein: Das ist eine neue Generation. Es sind junge Leute, die in einer | |
Wirtschaft aufgewachsen sind, die ausbeutet. Wir respektieren ihre | |
Autonomie. Aber unsere Themen sind zu 90 Prozent deckungsgleich. | |
Was sind diese Themen? | |
Die Leute verlieren ihre Arbeit, ihre Häuser, ihre Renten, ihre | |
Gesundheitsversorgung und ihre bürgerlichen Freiheiten. 146 Millionen Leute | |
leben nah an oder unterhalb der Armutsgrenze. Im Jahr 2011 haben eine | |
Million Amerikaner ihre Gesundheitsversicherung verloren. Und 6 Millionen | |
wurden aus ihren Häusern vertrieben. Gleichzeitig geht es den wenigen | |
Reichen besser denn je. Die gewählten Politiker beider Parteien machen | |
alles noch schlimmer, indem sie einerseits dem Volk Sparprogramme | |
aufzwingen und andererseits Millionen für Kriege, für die Wall Street und | |
für Steuergeschenke an die Reichen verprassen. | |
Das hört sich an, als machten Sie überhaupt keinen Unterschied zwischen | |
Demokraten und Republikanern. | |
Wir sprechen von den "Parteien des Establishments". Weil beide Parteien von | |
der Wall Street kontrolliert werden und weil beide die Interessen des | |
großen Geldes vertreten. Anders als vor vier Jahren verstehen die | |
Amerikaner das heute sehr gut. Umfragen ergeben, dass sie sich nicht länger | |
mit Republikanern und Demokraten identifizieren. Und dass sehr viele ihre | |
Parteien - insbesondere die demokratische Partei - verlassen. Es gibt einen | |
großen Appetit auf eine dritte Partei. | |
In den US-Medien ist ausschließlich von Republikanern und Demokraten die | |
Rede. Wo ist der Platz für eine dritte Kandidatur? | |
Das System ist extrem manipuliert. Es schirmt sich gegen reale | |
demokratische Bewegungen ab. | |
Was meinen Sie damit? | |
Unsere Partei ist eine Bedrohung. In meiner ersten Kampagne als | |
Gouverneurin hatte ich in dem Moment keinen Zugang mehr zu den Debatten, in | |
dem wir in den Umfragen stärker wurden. Das System schließt Kandidaten aus, | |
die es nicht kontrollieren kann. | |
Die USA befinden sich in permanentem Wahlkampf. Kaum waren die | |
Halbzeitwahlen im November 2010 vorbei, begann schon das Gerangel für die | |
Präsidentschaftswahlen. Ist das besonders demokratisch? | |
Das ist zwar permanenter Wahlkampf, aber nicht Demokratie. Und es ist nicht | |
repräsentativ. Schauen Sie nur, wie Gingrich nach seinem schlechten | |
Abschneiden in Iowa wieder nach vorn gekommen ist: Ein Kasinomagnat aus Las | |
Vegas hat ihm 5 Millionen Dollar gespendet. Das hat mit Grassroots, wo sich | |
Leute engagieren, nichts zu tun. Unser Wahlsystem ist ein Betrug. Hier | |
kauft Geld die Medien. Und bezahlt diesen Zirkus, der dem Publikum serviert | |
wird. Wenn wir ein System hätten, in dem ein Mensch eine Stimme hat, wären | |
diese Typen nicht an der Macht. | |
Natürlich hat in den USA jeder Wähler eine Stimme. | |
Aber um zu den Wählern zu kommen, ist wahnsinnig viel Geld nötig. | |
Kandidaten, die kein Millionen-Dollar-Budget haben, kommen gar nicht erst | |
in den öffentlichen Äther. Was Sie hier im Fernsehen erleben, sind | |
Wall-Street-gesponserte Kandidaten. Deswegen werden wir auf dem Wahlzettel | |
sein: als eine Möglichkeit, sich gegen das von der Wall Street | |
kontrollierte politische System auszusprechen. | |
Woher kommt denn Ihr Geld? | |
Von Grünen, Antikriegsaktivisten, Friedensaktivisten, von Leuten, die eine | |
universelle Krankenversicherung wollen, und von Libertären, die entsetzt | |
sind über das National-Defense-Authorization-Gesetz [im Dezember von Obama | |
unterzeichnet; d. Red.]. Es schafft die Unschuldsvermutung ab und | |
ermöglicht es, jeden zum Terroristen zu erklären und unbefristet zu | |
inhaftierten. Wir akzeptieren keine Spenden von Unternehmen oder von | |
Firmenchefs. Wir nehmen kein Geld, das an Bedingungen geknüpft ist. | |
Wie messen Sie Erfolg? | |
Mitreden. Themen setzen. Dialog. Kulturelle Präsenz. Es geht nicht um | |
Stimmenzählen. Wir wollen präsent sein. Unser Hauptziel in dieser Kampagne | |
ist es, die Infrastruktur der Partei aufzubauen. Wenn wir als alternative | |
politische Stimme wahrgenommen werden, wenn wir die Zahl der Grünen auf | |
lokaler Ebene bei den Wahlen in 2014 verdoppeln könnten, selbst wenn wir im | |
November nur 2 Prozent machen, wäre das ein Sieg für uns: eine | |
Oppositionsbasis, von der aus wir wachsen können. | |
Nicht wenige demokratische Wähler werden wütend, wenn sie den Namen Ralph | |
Nader hören. Sie werfen ihm vor, dass er mit seiner Kandidatur im Jahr 2000 | |
George W. Bush zum Wahlsieg verholfen habe. | |
Oh ja! Es gab jede Menge Schmähungen und das Bemühen, die Grünen | |
loszuwerden.Und das wird in den nächsten Monaten noch zunehmen. Dabei | |
hätten die meisten Leute, die für Nader gestimmt haben, auch ohne seine | |
Kandidatur nicht für die demokratische oder republikanische Partei | |
gestimmt. | |
Dieses Mal könnte es wieder ein extrem knapper Wahlausgang werden. Was | |
würden Sie denn sagen, wenn Sie im November tatsächlich genau die 2 Prozent | |
bekämen, die Obama zum Sieg fehlen würden? | |
Was hat Obama im Krieg getan? Er hat die Truppen aus dem Irak abgezogen: | |
nach Bushs Zeitplan und nur, weil er keine Immunität aushandeln konnte, um | |
länger dortzubleiben. Was hat er bei seinem Amtsantritt als Erstes getan? | |
Er hat eine Bombenkampagne in Pakistan begonnen. Er hat Guantánamo | |
permanent gemacht. Er hat eine neue Front im Krieg für Öl in Afrika | |
eröffnet. Er führt Stellvertreterkriege mit Drohnen in Somalia. Das ist | |
alles andere als ein Friedenspräsident. | |
Wieso kommt Obama damit durch? | |
Als der demokratische Präsident gewählt wurde, ist die ganze Bewegung | |
schlafen gegangen. Er gibt vor, er wäre progressiv. Und die Leute | |
arrangieren sich mit seiner Politik, die aus dem Programm von Bush stammt, | |
aber mit einem Lächeln vorgetragen wird. Das ist eine sehr gefährliche | |
Situation. Obama kommt mit Dingen durch, die bei George W. Bush nie | |
durchgegangen wären. Die Politik der Angst hat uns genau das gebracht, | |
wovor wir Angst hatten: Expansion, Kriege, den Zusammenbruch der Wirtschaft | |
und Rettungsaktionen zugunsten von Wall Street. All diese Dinge, die wir | |
von Republikanern erwarten, haben die Demokraten getan - ohne starke | |
Proteste auszulösen. | |
Wäre die US-Politik denn mit einem Präsidenten John McCain besser gewesen? | |
Viele Leute stellen sich diese Frage. Aber das ist Spekulation. Inzwischen | |
gibt es die die Occupy-Bewegung. Und jetzt muss auch unser Wahlsystem ein | |
Ausdruck von Demokratie werden. | |
Für wen haben Sie selbst beim letzten Mal gestimmt? | |
Ich habe grün gestimmt. Ich habe mich nicht von Obama täuschen lassen. Er | |
hörte sich wunderbar an. Er hat eine großartige Rhetorik, eine fesselnde | |
persönliche Geschichte und eine sehr sympathische Persönlichkeit. Aber er | |
ist eine Kreatur des Systems. | |
Wieso ist die Umweltbewegung - und Ihre Partei - in den USA so relativ | |
schwach? | |
Umfragen zeigen, dass die Öffentlichkeit sich Sorgen um die Umwelt macht. | |
Wir haben lokale Referenda in Massachusetts durchgeführt, bei denen wir die | |
Frage nach der Umleitung öffentlichen Geldes in einen Green Deal gestellt | |
haben. Wir dachten, wir wären zu klein. Und wir konnten uns keine | |
PR-Kampagne leisten. Aber wir haben 80 bis 90 Prozent Zustimmung in den | |
Kommunen bekommen. | |
Wie sehen Sie sich im Verhältnis zu den deutschen Grünen? | |
Ich glaube, wir sind ähnlich. Wir wollen eine grüne Ökonomie. Wir wollen, | |
dass Arbeiter einen Lohn bekommen, von dem sie leben können. Wir haben in | |
den USA eine sehr geschlossene politische Gesellschaft, in die wir uns | |
einen Weg hineinkämpfen müssen. Aber der Moment ist günstig. Viele | |
Progressive haben ihre ganze Hoffnung in Obama gesetzt - und sind jetzt | |
bitter enttäuscht. Wir können nicht einfach fortsetzen, was nicht | |
funktioniert. De facto sind wir der einzige linke Versuch, der überlebt | |
hat. Wir Grünen haben Überzeugung und Leidenschaft. Und wir gehen nicht | |
weg. | |
2 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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