| # taz.de -- Milizenkrieg im Südsudan: Es blieben nur Aschehaufen | |
| > Dorfvorsteher Mgoli ergriff mit seinen Polizisten die Flucht, als die | |
| > Milizen kamen. In seinem ausgebrannten Dorf sind jetzt Bäume das Einzige, | |
| > was noch steht. | |
| Bild: Hat eine tödliche Flucht überlebt: Rückkehrende in Lekongole. | |
| LEKONGOLE/PIBOR taz | Jemand hat Namen in den Ruß gekratzt, der an den | |
| Wänden klebt. "Shukat" steht da, und "Dak". "Das sind typische Namen der | |
| Lou Nuer", sagt Simon Ali Mgoli. Mgoli trägt einen beigefarbenen Anzug, der | |
| an eine Uniform erinnert, und ist Verwaltungschef des Dorfes Lekongole im | |
| südsudanesischen Bundesstaat Jonglei. Fast richtiger wäre zu sagen, er war | |
| Verwaltungschef - denn das Dorf gibt es nicht mehr. Es wurde am 27. | |
| Dezember 2011 überfallen und vollständig niedergebrannt. | |
| Von den Lehmhütten, die hier Tukuls heißen, ist nichts geblieben als runde | |
| Flecken grauer Asche auf dem Boden, abgesehen von vereinzelten Resten einer | |
| Wand. Nur zwei Gebäude mit festen Mauern gibt es noch, aber sie sind | |
| ausgebrannt: die Krankenstation der Ärzte ohne Grenzen und die Schule. Auf | |
| die verkohlten Wände der Schule kratzten die Täter die Namen, die Mgoli | |
| jetzt vorliest. | |
| Seit Ende Dezember eskaliert im Bundesstaat Jonglei zwischen zwei Ethnien | |
| die Gewalt, den Lou Nuer und den Murle. In einem ständigen Kreis von Rache | |
| und Vergeltung stehlen sich die Gruppen seit Jahrzehnten gegenseitig die | |
| Rinder. Früher kämpften die Hirten mit Speeren, die Zahl der Toten blieb | |
| überschaubar. Heute kämpfen sie mit Kalaschnikows oder dem deutschen | |
| G3-Gewehr von Heckler & Koch. | |
| Durch den jahrzehntelangen Bürgerkrieg im Südsudan sind modernste Waffen | |
| weit verbreitet. Bei der bis dahin letzten Angriffswelle vom August 2011 | |
| waren die Murle die Angreifer, dann rächten sich die Lou Nuer. Nach | |
| UN-Angaben wurden seit Weihnachten mehr als 3.000 Menschen getötet, zumeist | |
| Frauen und Kinder; viele hundert wurden verletzt, einige zehntausend | |
| vertrieben. Und immer weitere Tote kommen dazu. | |
| ## "Die Politiker schüren die Kämpfe" | |
| "Früher hat niemand die Frauen getötet", sagt Mgoli. "Die Bewaffneten kamen | |
| gar nicht in die Dörfer, die Kämpfe fanden draußen bei den Herden statt." | |
| Diesmal vernichteten die Angreifer ganze Dörfer und attackierten gezielt | |
| auch Helfer, vor allem die Stationen der Ärzte ohne Grenzen. Außer der | |
| Krankenstation in Lekongole griffen sie eine in einem anderen Dorf an, das | |
| Krankenhaus in Pibor, und dort auch das Grundstück der Hilfsorganisation | |
| InterSOS. | |
| Das Krankenhaus in Pibor, das einzige für 160.000 Menschen, ist heute | |
| verwüstet. Die Helfer sind immer noch dabei, alles wieder in Ordnung zu | |
| bringen. "So brutal wie in diesem Jahr waren die Kämpfe noch nie", sagt | |
| Mgoli. "Hier geht es nicht um Vieh, hier geht es um Politik. Die Politiker | |
| schüren die Kämpfe." | |
| Viele Südsudanesen sind davon überzeugt, dass der Konflikt in Wahrheit ein | |
| Stellvertreterkrieg ist. Doch wer aus welchen Gründen welche Miliz | |
| bewaffnet, darüber gibt es so viele Versionen wie Konfliktparteien. In der | |
| jungen südsudanesischen Regierung kämpfen hinter den Kulissen mehrere | |
| Fraktionen um die Macht. Tribalismus und Nepotismus sind weit verbreitet. | |
| Die ethnischen Spannungen gefährden den Zusammenhalt des Staates. | |
| Auch Sudan soll noch bewaffnete Gruppen im Süden ausrüsten, die die | |
| Autorität der südsudanesischen Regierung schwächen. Mgoli trägt noch ein | |
| Argument vor, warum es hier nicht nur um Rinder geht. "Die Lou Nuer, die | |
| uns angegriffen haben, hatten modernste Waffen und Satellitentelefone." | |
| ## Vier Gewehre, drei Speere | |
| Als die Bevölkerung von Lekongole floh, blieb Mgoli zurück. Er wollte die | |
| Angreifer sehen, "damit ich meinem Vorgesetzten vernünftig Bericht | |
| erstatten kann". Am Fluss sah er, wie sie näherkamen. "Sie waren | |
| aufgestellt wie eine Armee und bestimmt 600 Mann stark", erinnert er sich. | |
| An seiner Seite hatte er sieben Polizisten mit vier Kalaschnikows und drei | |
| Speeren. Nach einem Blick auf die Angreifer ergriff Mgoli mit seinen Leuten | |
| die Flucht. "Da haben sie einen der Polizisten von hinten erschossen." | |
| Mgoli sitzt jetzt im Schatten der ausgebrannten Schule und holt aus seiner | |
| Anzugtasche einige Blätter, sauber mit Computer geschrieben und | |
| ausgedruckt. Darauf hat er die Zahl der Toten aus Lekongole notiert: 662 | |
| Frauen und Kinder, 191 Männer. "Sie wurden erschossen, als sie schon auf | |
| der Flucht waren, zu Fuß unterwegs nach Pibor." Außerdem seien 162 Kinder | |
| und 80 Frauen entführt und 18.527 Rinder gestohlen worden. | |
| Jetzt erst, Wochen nach dem Überfall, kommen erste Geflüchtete zurück. In | |
| Gruppen sitzen sie im Schatten der Bäume - das Einzige, was hier noch | |
| steht. Eine Frau sitzt etwas abseits auf dem Boden und ist bis auf die | |
| Knochen abgemagert. Sie mag um die 40 sein und will reden. "Ich habe 19 | |
| Menschen aus meiner Familie verloren", sagt sie. "Alle wurden auf der | |
| Flucht nach Pibor erschossen" - die Tochter mit ihren Kindern, eine | |
| Schwägerin mit ihren Kindern, ihre Mutter, einige Brüder und Schwestern. | |
| Die Frau hat nur eine Erklärung: "Die Lou Nuer wollen uns alle vernichten. | |
| Wer Frauen und Kinder tötet, will den Baum mit den Wurzeln ausreißen." | |
| Vor ein paar Tagen ist sie nach Lekongole zurückgekommen, obwohl sie | |
| überzeugt ist, dass die Angreifer wiederkommen. "Aber es ist mir egal, wenn | |
| sie mich töten. Dann bin ich wenigstens wieder mit meiner Familie | |
| zusammen." Und wenn nicht, sei das auch egal. "Dann lebe ich eben weiter, | |
| hoffnungslos, wie ich bin." | |
| Die anderen Rückkehrer ergreifen jede Chance. Sie gehen zu den | |
| Hilfsorganisationen, die Nahrung und Haushaltsgegenstände verteilen: | |
| Moskitonetze, Wasserkanister, Töpfe. Einige unter den Bäumen haben Kanister | |
| mit Speiseöl oder Getreidesäcke neben sich liegen. Das | |
| UN-Welternährungsprogramm WFP hat angekündigt, seine Hilfe aufzustocken, um | |
| 80.000 Betroffene zu erreichen. | |
| Doch es ist nicht einfach, die Betroffenen zu finden. "Viele verstecken | |
| sich immer noch im Busch", erzählt Karel Janssens von Ärzte ohne Grenzen, | |
| "sie haben Angst vor weiteren Angriffen." Seine Mitarbeiter fahren fast | |
| täglich von Pibor nach Lekongole. "Noch immer kommen praktisch täglich | |
| Patienten mit Schussverletzungen an. Wir behandeln sie in unserer | |
| ausgebrannten Station." | |
| ## Ein Monat verwundet im Busch | |
| Kürzlich nahm das Team einen 40-Jährigen mit nach Pibor, dessen Schusswunde | |
| am Bein lange unbehandelt geblieben war. Ehe ihn jemand fand, lag er fast | |
| einen Monat lang schwer verletzt im Busch. Jetzt sitzt er mit gesenktem | |
| Kopf auf seinem Bett im Krankenhaus in Pibor - die Zimmer sind wieder | |
| instandgesetzt. Schlimmer noch als seine Verletzung scheint ihn der Verlust | |
| seiner Rinder zu schmerzen. Zehn Tiere haben sie ihm abgejagt, jetzt hat er | |
| keines mehr. Wie er dasitzt, wirkt er wie ein geschlagener Mann. Er wolle | |
| nie wieder Rinder haben, sondern lieber lernen, wie man Felder bestellt, | |
| meint er. | |
| Einige seiner Zimmernachbarn sind zum Reden zu schwach oder noch nicht in | |
| der Lage, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Sie sitzen oder liegen auf | |
| ihren Betten und starren an die Wand. Einer ist dann doch zum Erzählen | |
| bereit. Sein linkes Bein ist komplett bandagiert. "Ich hatte hundert | |
| Rinder", sagt er. "Ich habe gegen die Viehdiebe gekämpft. Aber ich war | |
| praktisch unbewaffnet, deshalb konnten sie mir die ganze Herde stehlen." | |
| Als Waffe hatte er immerhin ein deutsches G3-Gewehr. Für ihn und für viele | |
| anderen Menschen in der Region gelten G3 und Kalaschnikow fast als | |
| Kinderspielzeug, so selbstverständlich ist der Umgang damit. Doch jetzt | |
| wolle er mit damit nichts mehr zu tun haben und stattdessen Bauer werden, | |
| sagt er. Das könnte auch für viele andere eine Zukunft sein. | |
| 3 Feb 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Rühl | |
| ## TAGS | |
| Südsudan | |
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