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# taz.de -- Ärzte ohne Grenzen: Die beste Strategie ist ein gutes Projekt
> Sie meiden Straßen, halten Kontakt mit Rebellen und der Armee und müssen
> den Verhaltenskodex des Landes verstehen. Wie Ärzte in Krisengebieten
> arbeiten. Ein Frontbericht.
Bild: Eine Medizinerin von "Ärzte ohne Grenzen" versorgt einen verletzten Jung…
Akzeptanz & Beziehungen: Die beste Sicherheitsstrategie ist immer ein gutes
Projekt. Sein Nutzen für die Bevölkerung, ihr Vertrauen – das ist
Schutzfaktor Nummer eins. Dazu braucht es lange Gespräche mit den
Autoritäten und mit den Konfliktparteien (Rebellen, Armeeangehörige etc.).
Zu den Repräsentanten der Bevölkerung gehören die Ältesten und kommunale
Vertreter, speziell in islamischen Ländern auch wichtige religiöse
Personen.
In einigen Ländern (wie Afghanistan oder Somalia) ist es wichtig zu
erklären, dass die Projekte durch private Spender und nicht etwa
ausländische Regierungen finanziert werden. Dies wird auch den
einheimischen Mitarbeitern erklärt, sobald diese eingestellt sind. Auch den
Nachbarn der Einrichtungen muss man verdeutlichen, wer diese neu
eingezogenen Fremden eigentlich sind. Ein wichtiger Teil der Verhandlungen
dreht sich darum, die Gesundheitseinrichtungen waffenfrei zu machen.
Unbewaffnete Wachleute werden eingestellt, die die Eingänge kontrollieren.
So konnten wir selbst im Süden Afghanistans nach einigen Wochen einen
"humanitären Raum" schaffen, der von Polizei, Armee und anderen bewaffneten
Fraktionen respektiert wurde.
Risikoanalyse: Der Schlüssel für eine gründliche Analyse der Gefahren ist
das Sammeln von Informationen. Diese Informationen muss man hinterfragen,
mehrmals überprüfen, zusammenführen und nach Wichtigkeit ordnen.
Unsere lokalen Mitarbeiter sind zusammen mit den oben beschriebenen
Beziehungen und Kontakten und den Medien unsere wichtigsten
Informationsquellen. Quellen werden grundsätzlich vertraulich behandelt.
Andererseits ist es wichtig, die Balance von Transparenz und Diskretion zu
erhalten.
Um die Gefahren, Risiken und ihre sich verändernden Muster zu erkennen, ist
es hilfreich, sich ein Bild der bisherigen Sicherheitszwischenfälle zu
machen und diese chronologisch und geografisch darzustellen, das nennt man
"Mapping". Im nächsten Schritt wird eine Kontext-Risikoanalyse erstellt,
die dazu dient, die wichtigsten Gefahren für das Team sichtbar zu machen.
Eine Risikoanalyse wird in jedem Projekt erarbeitet und muss regelmäßig
aktualisiert werden.
Sicherheitsregeln: Um die Risiken für die Teams zu reduzieren, werden
bestimmte Abläufe verbindlich festgeschrieben. Zum Beispiel bleibt das
Personal fern von bestimmten Gefahrenzonen. Zudem gibt es Ausgangssperren.
Die Fortbewegung auf Straßen, die vermint sein könnten, oder auf denen
regelmäßige bewaffnete Raubüberfälle stattfinden, ist unmöglich. Ein
Sicherheitsregelwerk zentralisiert diese Prozeduren und
Verantwortlichkeiten. In risikoreichen Kontexten sind die Regeln sehr
restriktiv, zum Beispiel in Afghanistan. Dort ist praktisch keine
Fortbewegung möglich, das Team bleibt außerhalb der Arbeitszeiten immer im
Haus.
Des Weiteren enthält das Regelwerk auch Informationen über die
verschiedenen Akteure im jeweiligen Kontext und Handlungsanleitungen für
bestimmte Vorfälle. Zu den Prozeduren gehört auch ein Evakuierungsplan.
Dieser schreibt fest, unter welchen Umständen und wie das Team evakuiert
wird – ob mit dem Flugzeug oder im Auto, wer wofür zuständig ist, welche
lokale Autoritäten über eine Evakuierung informiert werden, welche
Evakuierungsrouten benutzt werden und so weiter.
In einigen Ländern hängen die Prozeduren auch stark mit der Akzeptanz
zusammen, die uns entgegengebracht wird. In Afghanistan bewegt sich das
Team nur zweimal täglich fort: morgens ins Krankenhaus und abends zurück in
die Unterkunft. Dies reduziert das Risiko, zur falschen Zeit am falschen
Ort zu sein.
Schutzmaßnahmen: Obwohl die Akzeptanz in der Bevölkerung den wichtigste
Schutz der Mitarbeiter darstellt, werden darüber hinaus sowohl aktive (z.
B. Wachleute) als auch passive Schutzmaßnahmen getroffen (verstärkte
Gebäude, Mauern, Zäune, Alarmsysteme etc.).
Wichtig ist bereits die Wahl der Örtlichkeiten für die Mitarbeiter und das
Projekt. MSF-Einrichtungen sollten weit entfernt sein von offiziellen
Repräsentanzen oder Regierungsgebäuden und militärischen Einrichtungen.
Dazu gehören aber auch Maßnahmen zum Brandschutz, gegebenenfalls ein
sicherer Raum (für den Fall, dass Konflikte in unmittelbarer Nähe
ausgetragen werden), Barrikaden aus Sandsäcken, Explosionsschutzfolien für
die Fenster usw. In Afghanistan wurde die Mauer, die das MSF-Haus umgab,
nicht verstärkt oder mit Stacheldraht versehen, um zu zeigen, dass wir
nichts zu verbergen haben.
In anderen Ländern jedoch, speziell in Städten mit hoher Kriminalität, sind
verstärkte Mauern mit Stacheldraht unverzichtbar, um Überfällen
vorzubeugen. Aufkleber und Flaggen für die Autos, T-Shirts und Westen für
die Mitarbeiter sowie MSF-Logos an Gebäuden und Büros werden in den meisten
Projekten systematisch angewandt. In wenigen Ländern stellt diese
Sichtbarkeit aber ein Risiko dar (z. B. im Irak) und MSF bewegt sich dort
sehr diskret.
Telekommunikation: MSF hat heutzutage ein breites Spektrum
telekommunikativer Technologie zur Verfügung: verschiedene Funksysteme,
mobile und feste Telefonnetzwerke, Satellitenanlagen, Computernetzwerke
etc. Die Wahl des passenden Systems und ein entsprechendes Ausweichsystem
sind wichtig, um eine ununterbrochene Kommunikation zu gewährleisten. Jeder
internationale und nationale MSF-Mitarbeiter wird für die verschiedenen
Systeme trainiert, speziell für Funksysteme und Satellitentelefone. Alle
Mitarbeiter müssen wissen, dass kein Kommunikationssystem Garantie für
Vertraulichkeit bietet. Lokale Autoritäten und auch bewaffnete Gruppen
begegnen diesen Kommunikationssystemen oft mit Misstrauen.
Transport: Bevor der Start eines Projekts entschieden wird, ist es
entscheidend, den sicheren Transport der Mitarbeiter aus der Hauptstadt zum
Projekt zu gewährleisten. Oft scheitert ein neues Projekt, weil es nicht
per Flugzeug erreicht werden kann und für ein Auto die Entfernung zu groß
ist oder die Straße nicht sicher genug ist (wegen bewaffneter Gruppen,
Minen, Sprengfallen usw.). In allen Projekten ist der verantwortungsvolle
Gebrauch und die regelmäßige Inspektion der Fahrzeuge eine entscheidende
Komponente für die Sicherheit der Mitarbeiter. Spezielle Vorschriften für
sichere Fortbewegung müssen im Sicherheitsregelwerk enthalten sein.
Zum Beispiel wird festgelegt, wer überhaupt fahren darf, dass nur
MSF-Personal in den Fahrzeugen mitgenommen werden darf, welche Fahrzeuge
bei Evakuierungen benutzt werden, was mit den Autos außerhalb der
Arbeitszeiten passiert, welche Rolle und Verantwortung die lokalen Fahrer
haben und wie sie sich beispielsweise verhalten sollen, wenn sie auf
militärische oder Regierungskonvois treffen oder Checkpoints passieren
müssen.
Verhalten: Mitarbeiter müssen den kulturellen Verhaltenskodex des Landes
verstehen. Respekt ist entscheidend, besonders in islamischen Ländern wie
Afghanistan, Somalia oder dem Irak. Wichtig sind dabei etwa die richtige
Kleidung, der Kultur angemessenes Verhalten von Männern und Frauen. MSF
führt für viele Projekte sogenannte "kulturelle Briefings" durch, in denen
die internationalen Mitarbeiter auf bestimmte Verhaltensweisen und
kulturspezifische Fragen vorbereitet werden.
26 Feb 2012
## AUTOREN
Volker Lankow
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