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# taz.de -- Die Tierversuch-Branche boomt: Sterben für die Krebsforschung
> In Berlin plant das Max-Delbrück-Centrum für molekulare Medizin, die Zahl
> der Tierversuche um 17 Prozent zu steigern. Tierschützer halten das für
> völlig überflüssig.
Bild: Aus die Maus: in der Medizinforschung sind Tierversuche an der Tagesordnu…
BERLIN taz | "Wir töten die Tiere mit einer kleinen Guillotine", sagt Damir
Omerbasic. "Oder mit einer Kohlendioxid-Kammer. Dann entnehmen wir ihnen
Gewebe, das wir untersuchen." Der Doktorand am [1][Max-Delbrück-Centrum für
molekulare Medizin (MDC)] im Berliner Stadtteil Buch hält gerade ein
Exemplar der Säugetierart Afrikanischer Nacktmull in der Hand. Man hört,
wie die Krallen der Nacktmulle in einem Käfig hinter Omerbasic auf dem
Plastikboden ausrutschen. Ist es wirklich nötig, solche hilflosen Lebewesen
umzubringen?
"Mir bringt es keinen Spaß, Tiere zu töten", antwortet Omerbasic. Aber die
Versuche seien notwendig, um herausfinden, welcher Teil des Nervensystems
die Nacktmulle schmerzunempfindlich gegen Säure macht. Warum muss die
Menschheit das erforschen?
"Ich vergrößere nur das Grundlagenwissen", sagt der junge Wissenschaftler.
Andere Forscher müssten dann daraus praktische Anwendungen entwickeln - zum
Beispiel ein wirksames und nebenwirkungsarmes Schmerzmittel für Menschen
mit chronischen Entzündungen.
Schon jetzt hat das Delbrück-Centrum eine der größten Tierversuchsanlagen
in Deutschland. Bis 2020 will die vom Bund und Berlin finanzierte
Forschungseinrichtung die Zahl ihrer Käfige für Mäuse und Ratten nach
eigenen Angaben um rund 17 Prozent auf ca. 20.800 erhöhen.
"Das entspricht rund 64.800 Tieren", sagt Pressesprecherin Barbara
Bachtler. Das entspricht dem bundesweiten Trend zu immer mehr
Tierversuchen. Experten erklären ihn damit, dass man seit einigen Jahren
vergleichsweise leicht Versuchstiere gentechnisch verändern kann. So
entwickeln sie zum Beispiel Krankheiten, die sich dann anhand der Tiere
untersuchen lassen.
## Neues Tierhaus für 24 Millionen geplant
90 Prozent ihrer Tierversuche will die Einrichtung in einem Neubau
konzentrieren. Kostenpunkt: 24 Millionen Euro. Wie viele Tiere dann auch
Versuchen unterzogen und schließlich getötet werden, ist noch nicht
absehbar.
Im Jahr 2010 aber waren es nach den aktuellsten Zahlen schon rund 33.200
Mäuse und Ratten sowie 1.300 andere Tiere. Derzeit sind laut dem
zuständigen Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales Projekte mit
mehr als 453.000 Tieren in den nächsten vier Jahren genehmigt.
Für Tierschützer ist das ein Skandal. "Unter dem Deckmäntelchen der
(Krebs-)Forschung sollen im Delbrück-Centrum Hunderttausende von
genmanipulierten Mäusen einen qualvollen Tod sterben", erklärt
beispielsweise Veterinärin Christine Esch von der Tierrechtsorganisation
Peta. Sie ruft zu Protestschreiben an Berlins Regierenden Bürgermeister
Klaus Wowereit auf, damit der SPD-Politiker Genehmigungen für das Projekt
verhindert.
Peta kämpft gegen das neue Tierhaus, weil die Organisation grundsätzlich
jegliche Tierhaltung ablehnt. Aber auch weil sie den Sinn speziell der
Delbrück-Versuche bezweifelt. "Konkrete Ergebnisse für die Medizin sind
selten", argumentiert Esch.
Auch der moderatere Deutsche Tierschutzbund lehnt die Erweiterungspläne des
Delbrück-Centrums ab. "Es gibt schon viele Alternativen zu Tierversuchen,
zum Beispiel Zellkulturen, Organkulturen und Computersimulationen", sagt
die zuständige Referentin des Verbands, Kristina Wagner.
## Tiere sind keine Menschen
Sie zitiert Studien, wonach die Übertragbarkeit von Tierversuchen auf den
Menschen überschätzt wird. Allerdings belegen diese Untersuchungen nicht,
dass andere Methoden effizienter sind. "Die Forschung dazu steht leider
immer noch am Anfang", erläutert die Tierschützerin.
Zwar ist für jeden Versuch eine Genehmigung der Behörden erforderlich, die
in der Regel den Empfehlungen von Kommissionen aus Wissenschaftlern und
Tierschützern folgen. Diese Ausschüsse müssen laut Gesetz prüfen, ob der
Versuch tatsächlich "unerlässlich" ist. "Aber die Tierschützer sind in der
Minderheit. Die meisten Anträge werden genehmigt", berichtet Wagner.
Für den Wissenschaftlichen Vorstand des Delbrück-Centrums, Walter
Rosenthal, zeigt die hohe Quote im Gegenteil, dass die Anträge sorgfältig
begründet seien. Bevor sie bei der Behörde gestellt würden, prüfe der
interne Tierversuchsbeauftragte der Forschungseinrichtung.
"Die Wissenschaftler müssen mit Literaturrecherchen nachweisen, ob es zu
dem Thema an anderer Stelle auf der Welt schon eine Alternative gibt. Jedes
einzelne Tier muss begründet werden", sagt Rosenthal.
## Tierversuche sind teuer
Das Antragsverfahren ist für den Wissenschaftler einer der Gründe, weshalb
Tierversuche "viel teurer" als Experimente in der Petrischale mit Zellen
seien. Dazu kämen die Kosten etwa für die Tierhaltung.
Schon deshalb meint der Vorstand des Centrums: "Tierversuche werden nur
dann gemacht, wenn es nicht anders geht." Seine Forscher arbeiteten auch
mit anderen Methoden. "Aber das sind Mosaiksteinchen. Das Gesamtbild fehlt.
Sie müssen dann schon mal beispielsweise das System Herzkreislauf im
Organismus anschauen."
Zudem würden die Tierversuche so schonend wie möglich gestaltet. Ein
Delbrück-Wissenschaftler zeigt, wie Mäuse betäubt und dann - offenbar
schmerzlos - mit einem Ultraschallgerät untersucht werden. "Für die Zucht
braucht man wahnsinnig viele Tiere und es kommt zu Missgeburten und
Fehlbildungen", kritisiert Tierschützerin Wagner.
Und was passiert mit den Mäusen nach dem Versuch? Der Wissenschaftler
windet sich um eine Antwort, bis er sagt: "Sie werden meist mit einer
Überdosis Narkose eingeschläfert."
8 Feb 2012
## LINKS
[1] http://www.mdc-berlin.de/de/
## AUTOREN
Jost Maurin
## TAGS
Krebs
Mäuse
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