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# taz.de -- Tierschützer versus Verbraucherschützer: Quälen für die Umwelt
> Umwelt- und Tierschützer streiten miteinander: Sind Tierversuche okay,
> wenn sie der Identifizierung und dem Verbot schädlicher Chemikalien
> dienen?
Bild: Opfermaus auf dem Verbraucherschutzaltar. Richtig so?
BERLIN taz | Wenn Umwelt- und Verbraucherschützer vor gefährlichen
Chemikalien im Alltag warnen, zitieren sie oft Tierversuche – so etwa der
Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der Ende März eine neue Studie
präsentierte, wie Weichmacher in Alltagsprodukten zu Diabetes und
Fettleibigkeit führen können. Als Beleg dienten Messungen an
Versuchstieren.
Den Rückgriff auch auf solche Versuche, die in anderen Zusammenhängen gern
kritisiert werden, sieht der BUND nicht als problematisch an. Schließlich
gehe es darum, die Gefahr durch Chemikalien aufzuzeigen, sagt Patricia
Cameron vom BUND. „Um ein Verbot dieser Stoffe voranzubringen, ziehen wir
natürlich auch diese Studien als Beweismittel heran.“
Besonders sichtbar wird das Dilemma für die Umwelt- und
Tierschutzorganisationen bei der 2007 in Kraft getretenen EU-Verordnung
namens Reach. Mit ihr sollen gefährliche Chemikalien in Alltagsprodukten
besser kontrolliert werden. Der BUND und die Umweltstiftung World Wide Fund
For Nature (WWF) begrüßen die Initiative der EU und wollen sie stärken.
## Neun Millionen tote Tiere
Das Problem: Für die Untersuchungen der Chemikalien müssen Tiere sterben.
Nach Zahlen und Schätzungen der EU-Kommission dürfte das ungefähr neun
Millionen Tiere treffen, der Tierschutzbund befürchtet deutlich höhere
Zahlen. Noch sind die Chemikalientests aber in der Vorbereitungsphase.
Vielfach sind schon Anträge auf Tierversuche eingegangen, und einige Firmen
machen zur Vorbereitung auf die Prüfung bereits Versuche.
Dass Reach die Tierversuche eigentlich nur im Notfall vorsieht, beruhigt
Kristina Wagner vom Tierschutzbund nicht. „In der Umsetzung dürfte Reach
dennoch zu vielen Tierversuchen führen, da sie in der wissenschaftlichen
Tradition als Goldstandard gelten“, sagt sie. Alternativmethoden seien
aufgrund der bürokratischen Hürden teils noch nicht entwickelt, teils nicht
zugelassen. Der Tierschutzbund fordert einen Verzicht auf Tierversuche,
auch wenn die Umsetzung von Reach dadurch behindert würde.
Ninja Reineke von WWF widerspricht. Sie sieht die Belastung von Mensch und
Umwelt durch Chemikalien als „globalen Tierversuch“ an und unterstützt
deshalb eine wirksamere Kontrolle von Chemikalien durch Reach. Neben
Menschen seien auch Tiere schädlichen Chemikalien ausgesetzt. So hat eine
WWF-Studie 2006 gezeigt, dass die Belastung von Eisbären, Robben und Vögeln
in der Arktis zu Verhaltensstörungen und Fortpflanzungsproblemen führt.
## „Langfristig weniger Tierversuche“
Deswegen sei es einseitig, nur an Versuchstiere zu denken, sagt Reineke.
Darüber hinaus sei Reach auch zur zukünftigen Vermeidung von Tierversuchen
gut: „Eines der Ziele von Reach ist auch die Entwicklung von
Alternativmethoden zu Tierversuchen. Deshalb gibt es langfristig weniger
Tierversuche – und zwar in allen Bereichen, auch in der Medizinforschung“,
sagt die Umweltschützerin.
Edmund Haferbeck von der Tierschutzorganisation Peta, die sich scharf gegen
Reach als „das weltweit größte Tierversuchsprogramm“ wendet, stellt die
Argumentation der Umweltverbände hingegen radikal infrage. In vielen Fällen
brauche es gar keine weitere Prüfung mehr, sondern ein Verbot. „Viele
Chemikalien sind zigfach getestet und für bedenklich befunden“, sagte
Haferbeck. „Irgendwann muss Schluss sein, und die Stoffe dürfen einfach
nicht mehr angewendet werden.“
16 Apr 2012
## AUTOREN
Ben Seel
## TAGS
Kosmetik
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