# taz.de -- Tierrechtler decken Missstände auf: Schweinerei im Maststall | |
> Luftbilder, Nachtsichtgeräte und Wachposten: Unter großem Aufwand dringen | |
> Aktivisten der Tierrechtsorgansation Peta nachts in einen Schweinestall | |
> ein. | |
Bild: Eng, stickig, qualvoll: Die meisten Schweine werden in Deutschland unter … | |
NIEDERSACHSEN taz | Das Schwein atmet noch. Langsam hebt und senkt sich die | |
Bauchdecke des Tieres. Aber seine Augen sind geschlossen, Hinter- und | |
Vorderläufe schlaff, es liegt auf dem Boden. Nicht in einer der | |
rechteckigen Buchten dieses niedersächsischen Maststalls für 800 Schweine, | |
sondern im Gang dazwischen. Das Tier ist krank, bekommt aber weder Wasser | |
noch Futter. Wenige Minuten später ist es tot. | |
Kein Verbraucher sähe diese Szene aus der konventionellen | |
Fleischproduktion, würde sie nicht Stefan Bröckling mit einer Kamera | |
aufnehmen. Bröckling leitet das Rechercheteam der Tierrechtsorganisation | |
Peta. Er ist in den unverschlossenen Stall eingedrungen. Später wird er die | |
Bilder ins Internet stellen. „Damit wollen wir die Kaufentscheidung der | |
Leute beeinflussen“, sagt Bröckling. | |
Wie im Fall des größten deutschen Geflügelfleisch-Konzerns [1][Wiesenhof], | |
den die wichtigsten Schweizer Supermartketten nach einer Peta-Recherche | |
boykottierten. Heimlich aufgenommene Tierquäler-Bilder lösten auch den | |
Skandal aus, der Niedersachsens CDU-Agrarministerin Astrid Grotelüschen im | |
Dezember 2010 zum Rücktritt zwang. Immer steckte Bröcklings Team dahinter, | |
dessen drei Vollzeit- und zwei Halbtagsstellen plus Hightechausrüstung sich | |
Peta nach eigenen Angaben jährlich ungefähr 250.000 Euro kosten lässt. Das | |
reicht für rund 100 Einsätze – etwa in Tierfabriken, Bauernhöfen oder | |
Zoogeschäften. | |
Eine Autobahnraststätte nahe Osnabrück gegen 22 Uhr: Bröckling – 41 Jahre, | |
Glatze, schwarze Kapuzenjacke und Cargo-Hose im Autonomenstil – sitzt in | |
einem Kleinbus. Er zeigt drei Kollegen ein Luftbild der Tierfabrik, in der | |
später das Schwein im Gang sterben wird. „Der Betrieb wurde uns gemeldet“, | |
erzählt Bröckling. Die Firma ist unter den monatlich rund 120 mutmaßlichen | |
Tierquälern, auf die Peta beispielsweise von Nachbarn oder Zulieferern | |
hingewiesen wird. | |
„Wir fahren bis zu dem Waldstück an dem Stall. Da ist um die Zeit nichts | |
mehr los“, sagt der Aktivist. „Wenn wir fliehen müssen, dann natürlich | |
nicht auf die Straße, sondern auf die Felder.“ Potenzielle Verfolger – etwa | |
Polizisten – kämen ja mit dem Auto | |
## Mit Wärmebildkamera und Funkgerät | |
Bröckling, ein gelernter Rundfunk- und Fernsehtechniker, später Kameramann | |
und Vegetarieraktivist, stöpselt sich nun den Hörer eines Funkgeräts ins | |
Ohr. In einen Rucksack packt er eine Videokamera mit Infrarotlampe, die | |
auch bei wenig Licht klare Aufnahmen ermöglicht. Außerdem haben die | |
Tierrechtler Wärmebildkameras dabei, mit denen sie Personen im Stockdunkeln | |
schon auf 150 Meter Entfernung erkennen können. | |
Gegen Mitternacht passiert ein Polizeiwagen zum zweiten Mal den Peta-Bus. | |
„Wenn die noch mal kommen, halten die an“, warnt Bröckling. Also Beeilung | |
und rauf auf die Autobahn. Die nächste Ausfahrt raus; dann geht es über | |
holperige Landstraßen durch schlafende Dörfer. | |
Hinter einem Waldstück taucht die Tierfabrik auf. Bröckling, sein Kollege | |
Christian und Wachtposten Bernd springen aus dem Wagen auf ein nach Mist | |
riechendes Feld. Der Himmel ist sternenklar, der fast volle Mond taucht die | |
Szenerie in fahles Licht. Vor den Aktivisten steht ein einstöckiges | |
Stallgebäude, durch Milchglasscheiben dringt Licht und ein ständiges Fiepen | |
– Küken. Bröckling guckt sich um, ob sie allein sind. Plötzlich rappelt es. | |
Der Tierrechtler zuckt zusammen – ist da jemand? Aber nach einer | |
Schrecksekunde sagt Bröckling: „Das ist nur das Silo dort. Das schießt | |
durch ein Rohr Futter in den Stall.“ | |
Er greift zu einem Nachtsichtgerät. „Die Tür ist zu“ – anders als bei | |
früheren Besuchen der Peta-Aktivisten in diesem Betrieb. „Wir machen die | |
nicht auf“, ergänzt Bröckling. Denn dann könnte er möglicherweise wegen | |
Sachbeschädigung verurteilt werden – und Peta seine Anerkennung als | |
gemeinnütziger Verein und damit Steuervergünstigungen verlieren. | |
## Die Tür ist offen | |
Doch die Aktivisten wollen nicht aufgeben – nicht jetzt, nachdem sie so | |
viel Zeit in die Vorbereitung der Aktion investiert haben. Wachtposten | |
Bernd gibt über Funk das Signal „Alles klar“, woraufhin Bröckling und | |
Christian vom Wald zur Gebäudewand laufen. Hier riecht es süßlich: Kot. Sie | |
rütteln an allen Türen und landen schließlich einen Treffer: Die Stahltür | |
zum Schweinestall ist offen. | |
Die Tierrechtler ziehen Einweg-Schutzanzüge inklusive Stiefelüberzieher aus | |
Plastik an – das soll verhindern, dass sie Krankheitserreger auf die Tiere | |
übertragen. Ab jetzt lassen die Aktivisten ihre Videokameras ununterbrochen | |
laufen. Später filmen sie den Stall von außen, halten die | |
Koordinatenanzeige eines Satelliten-Navigationsgeräts und eine aktuelle | |
Tageszeitung vors Objektiv. So soll sich belegen lassen, in welchem Betrieb | |
die Bilder wann aufgenommen wurden und dass sie nicht aus verschiedenen | |
Anlagen zusammengeschnitten wurden. Diesen Vorwurf hatten Tierhalter | |
erhoben, die von Peta beschuldigt worden waren. | |
Die Tür schwingt auf. Gestank schlägt den Aktivisten entgegen. Trotz der | |
surrenden Ventilatoren an der Decke scheint die Luft zu stehen. Schnaufen. | |
Grunzen. Hunderte Schweine stoßen mit ihren Schnauzen in die Futtertröge. | |
Ungefähr jeweils 25 Tiere leben dichtgedrängt in 30 ungefähr drei mal vier | |
Meter großen Abteilen, die mit Holzplanken und Eisenstangen voneinander | |
getrennt sind. | |
Aus seinem Rucksack kramt der Peta-Aktivist einen Apparat hervor, der | |
aussieht wie eine digitale Stoppuhr: „Ein Ammoniakmessgerät“, sagt | |
Bröckling. Nach einigen Sekunden zeigt es an, dass ein Kubikmeter Stallluft | |
43 Kubikzentimeter Ammoniak enthält. Dabei erlaubt die Bundesverordnung zum | |
Tierschutz in der Landwirtschaft dauerhaft nur 20 Kubikzentimeter. Denn | |
Ammoniak ist ein stark stinkendes Reizgas, das die Atemwege schädigt. Es | |
entweicht aus dem Becken unter dem Fußboden, in das durch Schlitze Urin und | |
Kot fallen. „Schlechte Belüftung“, erklärt Bröckling. | |
Ein Schwein steht am Ende des Ganges, auf dem Arbeiter zu den Stallabteilen | |
links und rechts gelangen können. Das Tier ist allein, aus seinem After | |
ragt ein ringförmiges fleischfarbenes Teil des Körpers heraus: ein Stück | |
Darm. „Mastdarmvorfall“, sagt Bröckling. Ohne Behandlung sterben Tiere mit | |
diesem Symptom, das viele Schweine entwickeln, zum Beispiel wenn sie Husten | |
haben. | |
Die Aktivisten filmen. Christian richtet das Objektiv auf Bröckling. Er | |
sagt in die Kamera: „Das Tier hat keine Futter- und keine Wasserversorgung. | |
Das ist so natürlich nicht zulässig. Es muss für diese Tiere eine extra | |
Krankenbucht geschaffen werden. Das sind Tiere, die zum Sterben einfach | |
separiert wurden.“ Dieses Schicksal hat das Schwein bereits hinter sich, | |
das wenige Meter entfernt im Gang liegt. Der Kadaver ist noch warm. „Unter | |
welchen Bedingungen das eine Schwein, das jetzt tot ist, regelrecht | |
verreckt ist, mag ich mir gar nicht ausmalen“, fährt Bröckling fort | |
## Mit dem Elend zurechtkommen | |
Dennoch meint er: „Wenn wir das anzeigen würden, würde nicht viel | |
passieren.“ Der Tierhalter würde zum Beispiel argumentieren, dass er nur | |
dieses eine Mal die kranken Schweine im Gang untergebracht habe. „Das ist | |
zwar nicht erlaubt, aber das habe ich bisher in 70 Prozent der Ställe | |
gesehen, in denen ich war. Die Strafe wäre lächerlich. Wir müssen da öfter | |
hin, um nachzuweisen, dass es da immer so abgeht.“ Das würde den Tieren | |
langfristig mehr helfen. | |
Der Peta-Recherchechef spricht mit einer nüchternen, fast emotionslosen | |
Stimme in die Kamera. „Man muss mit dem Elend zurechtkommen, das man sieht. | |
Ich schalte das in dem Moment einfach aus.“ Aber perfekt scheint das nicht | |
zu funktionieren. „Schweine verfolgen mich in meinen Träumen – entweder in | |
der Mast oder im Schlachthof“, sagt der Aktivist. „Ich weiß auch nicht …… | |
Bröckling schaut kurz auf den Boden, dann greift er zu seinem Funkgerät: | |
„Wir kommen jetzt raus. Alles klar?“ Wachtposten Bernd gibt sein „Okay“; | |
Bröckling und Christian verlassen das Gebäude und huschen Richtung Straße. | |
Als die Scheinwerfer eines Autos auftauchen, ducken sie sich in ein | |
Waldstück. Dann rufen sie über Funk ihre Fahrerin. Es ist gegen 3 Uhr | |
morgens, als sie in den Kleinbus steigen. Bald werden die Aktivisten | |
schlafen. Und morgen, wenn der Bauer schläft, in einen anderen Stall | |
eindringen. | |
9 Apr 2012 | |
## LINKS | |
[1] /Misshandlungen-bei-Wiesenhof/!84321/ | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
## TAGS | |
Tierschutz | |
Peta | |
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