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# taz.de -- Schlagloch Überwachung: Drohnen klein wie Spinnen
> Der sicherheitsindustrielle Komplex ist inzwischen milliardenschwer und
> beliefert Behörden weltweit. Dabei werden Bürger- und Menschenrechte
> immer weiter ausgehöhlt.
Bild: Sammeln und überwachen.
Es geht weiter und weiter, die Aushöhlung jener Freiheiten, die wir Bürger-
und Menschenrechte nennen. Die deutschen Geheimdienste überwachen, wie
kürzlich bekannt wurde, E-Mails und andere Formen der Internetkommunikation
in gigantischem Ausmaß: Im Jahr 2010 wurden 37.292.862 E-Mails und
Datenverbindungen nach bestimmten Stichwörtern durchsucht, das sind fünfmal
mehr als im Jahr davor. Mit welchem Erfolg? Nur in 213 Fällen habe sich
etwas Verwertbares ergeben.
Im Februar 2011 hat die Dresdner Polizei im Zusammenhang mit einer
Anti-Neonazi-Demonstration die Telefone Zehntausender Bürger ausspioniert
und mehr als eine Million Datensätze gesammelt, angeblich um schwere
Straftaten zu verhindern. In Berlin haben die Behörden letztes Jahr
Tausende Handydaten ausgewertet, um Autobrandstiftern auf die Spur zu
kommen. Das Instrument der sogenannten Funkzellenabfrage sei 2011 „in
erheblichem Maße“ genutzt worden, heißt es bei der Berliner
Staatsanwaltschaft.
Zur Fußball-Europameisterschaft soll in Polen probeweise Indect eingesetzt
werden, ein Versuchsprojekt, bei dem Informationen aus Behördendatenbanken
und Social Networks mit jenen von Überwachungskameras sowie den
Lokalisierungsdaten der Handy-Netzbetreiber abgeglichen werden. Wird eine
bestimmte Person als auffällig deklariert, folgen gesonderte, voll
automatisierte Überwachungsmaßnahmen, darunter auch die Verfolgung mit
Drohnen. Um auffällig zu werden, kann es genügen, sich zügig durch den
Aufnahmebereich einer Kamera zu bewegen oder in eine andere Richtung als
die Masse zu laufen.
Punkto Drohnen: in Norddakota wurde neulich die Hilfe von Drohnen in
Anspruch genommen, um Rinderdiebe ausfindig zu machen, Teil der wachsenden
Militarisierung der Polizei. Drohnen, manche von ihnen klein wie Vögel oder
Spinnen, sind billig, billiger als jede andere Überwachungstechnologie,
etwa Helikopter oder stadtweite Kameras. In den USA und Großbritannien, die
uns in Sachen Überwachung stets einige repressive Schritte voraus sind,
werden sie schon öfters im Polizeidienst eingesetzt.
## "Before I destroy America"
Einer anderen Wachsamkeit ist ein irischer Tourist Ende Januar am Flughafen
von Los Angeles zum Opfer gefallen. Zwölf Stunden lang wurde er verhört, er
hatte in der Woche davor nämlich getwittert: „free this week for a quick
gossip/prep before I go and destroy America“, Letzteres ein in den USA wohl
unbekannter Slangausdruck für „die Sau rauslassen, aufmischen“. Nach dem
Verhör wurde er in den nächsten Flieger nach Hause gesteckt.
Weniger glimpflich werden zukünftig all jene Menschen davonkommen, die von
der US-Armee als Terroristen verdächtigt werden. Präsident Obama
unterzeichnete kürzlich ein Gesetz, das es der Armee erlaubt, solche
weltweit auf unbegrenzte Zeit zu verhaften, ohne rechtliche Überprüfung
oder zeitliche Begrenzung (National Defense Authorisation Act 2012).
Das sind nur einige, eher zufällig gewählte Beispiele von unzähligen, bei
denen allerdings die Grundzüge einer grauenerregenden Entwicklung sichtbar
werden. Wie der Fall des irischen Touristen aufzeigt, sind die Maßnahmen
meistens wirkungslos zur Verhinderung von Straftaten, von enormer Wucht
hingegen bei der Einschüchterung der Bürger.
Die Vorgehensweise bei der Verschärfung repressiver Maßnahmen ist stets die
Gleiche, wie wir gerade wieder bei Acta erfahren durften: Die Verhandlungen
zu diesem Zensurabkommen wurden seit 2007 geführt, unter Geheimhaltung
innerhalb der EU-Kommission. Es gab keinerlei Transparenz – während aber
die Öffentlichkeit und sogar das EU-Parlament nichts wussten, wurden die
Lobbyvertreter der Unterhaltungs- und Softwareindustrie regelmäßig
informiert.
Erst massive Bürgerproteste und die Einmischung des EU-Parlaments führten
zunächst zu einem Abmildern des Textes, dann zu einer grundsätzlichen
Diskussion über Sinn und Zweck des Abkommens. Wie immer war kein
demokratisches Bewusstsein seitens der beteiligten Institutionen erkennbar.
Die Befürworter behaupten bei jeder Maßnahme enorme Vorteile für die
Verhinderung und Aufklärung von Straftaten (über die gewaltigen Profite für
die betroffenen Industrien schweigen sie sich hingegen aus).
## Das Wachstum der Sicherheitsindustrie
Besonders bedenklich ist auch das explosionsartige Anwachsen des
sicherheitsindustriellen Komplexes, inzwischen eine milliardenschwere
Industrie (letztes Jahr betrug der weltweite Umsatz an die 5 Milliarden
Euro), die Behörden weltweit Systeme anbietet, die eigenen Bürger zu
identifizieren, ausfindig zu machen und zu verfolgen, meist anhand ihrer
Handys und Computer.
Die Marketingbroschüren der einschlägigen Firmen sind von frappierender
Offenheit: Eine deutsche Firma etwa bietet die Möglichkeit an, „politische
Gegner“ zu überwachen, eine italienische behauptet, sie ermögliche ihren
Kunden, aus der Ferne die Kontrolle über Smartphones zu gewinnen, um die
jeweiligen Nutzer abzuhören sowie zu fotografieren. Eine Firma aus
Südafrika bietet Tools an, um Milliarden von Gesprächen aufzunehmen und
abzuspeichern.
Diese und viele andere Informationen finden sich in den „Spy Files“,
Dokumenten über 130 Firmen aus 25 Staaten, von Brasilien bis zur Schweiz,
die man auf Wikileaks und auf der Webseite von Privacy International
nachlesen kann. Der Umfang der technischen Möglichkeiten ist atemberaubend.
„Wieso nur Stichproben einholen, wenn sie kostengünstig den gesamten
Netzwerkverkehr überwachen können?“, prahlt eine Broschüre der Firma Endace
aus Neuseeland.
Und China Top Communications aus Beijing bietet eine Software an, mit der
man die Passwörter von dreißig der führenden E-Mail-Provider, darunter auch
Gmail, knacken kann: „in Echtzeit durch eine passive Vorgehensweise“. In
der orwellischen Sprache der Überwachungsindustrie bedeutet „passiv“ ohne
Kenntnis des Betroffenen. Dies und viel Schlimmeres droht uns, wenn wir
passiv bleiben.
29 Feb 2012
## AUTOREN
Ilija Trojanow
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
Buch
Schwerpunkt Überwachung
Schwerpunkt Überwachung
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