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# taz.de -- Soziale Netzwerke: Machen 800 Millionen eine Revolution?
> Der Ethnologe Daniel Miller, der Philosoph Peter Trawny und der
> Literaturwissenschaftler Alexander Pschera – Denker machen sich Gedanken
> über Facebook.
Bild: Hat Facebook den Begriff der Gemeinschaft wiederbelebt? Protest auf dem T…
Das Internet, sagen einige, tut dem Denken nicht gut. Umso erfreulicher ist
es da, wenn sich Denker diesem großen Zusammenschluss von Rechnern
zuwenden, um in grundsätzlicher Absicht die Frage zu stellen, was man mit
dem Internet alles anstellen kann, was für neue Formen der Kommunikation
und des Miteinanders entstehen – oder was damit nicht möglich ist.
So haben sich der Ethnologe Daniel Miller und der Literaturwissenschaftler
Alexander Pschera bei Facebook umgesehen, während der Philosoph Peter
Trawny das Medium Internet mit der Revolutionsfrage konfrontiert. Im
Knotenpunkt sozialer Netze sind stets Menschen, egal, ob es sich um
Facebook oder eine Dorfkirchengemeinde handelt. Das stellt Daniel Miller
gleich zu Beginn seines Buchs „Das wilde Netzwerk“ klar.
Er beobachtete das Verhalten von Facebook-Usern auf Trinidad, weniger, um
herauszufinden, was Facebook ist, als um die Heterogenität des Netzwerks zu
demonstrieren und zu erfahren, was das Netzwerk für die Gesellschaft und
soziale Beziehungen allgemein bedeuten könnte.
## Sich bei Facebook als Ich konstruieren
Von einer Nutzerin erfuhr Miller unter anderem, dass Facebook helfe, sein
wahres Ich zu zeigen. Denn was man dort als Ich konstruiert, entspreche dem
eigenen Wesen viel eher als die Person, als die man geboren wird. Die
Bewohnerin eines kleinen Dorfs hingegen hält die Sozialkontrolle und den
Klatsch in ihrem Ort für weit schlimmer als auf Facebook, und ein nach
einer Krankheit an den Rollstuhl gefesselter Menschenrechtsaktivist findet
über das Netzwerk wieder zu seinem alten kosmopolitischen Leben zurück,
wenn auch in veränderter Form.
Millers Beobachtungen bringen ihn zu dem Schluss, dass Facebook eine
Trendwende im Netz eingeläutet hat. Hieß es früher, das Internet vereinzele
die Menschen, habe Facebook den Begriff der Gemeinschaft wiederbelebt und
erweitert. Der Erfolg des Netzwerks beruhe allerdings auf einer
konservativen Neigung seiner Nutzer: Diese wollten in erster Linie die
Beziehungen zu Verwandten oder Freunden wiederherstellen, wenn der Kontakt
nachgelassen habe.
Für Alexander Pschera ist die Gemeinschaft noch unausweichlicher. Das Netz,
sagt er in „800 Millionen“, womit er auf die Zahl registrierter
Facebook-Nutzer anspielt, sei „Teil von uns geworden“, da wir als Nutzer
mit ihm verwoben seien und es mit unseren Inhalten am Leben hielten.
Facebook ist für ihn ein „leeres Buch, das zugleich geschrieben und gelesen
sein will“.
Pschera geht in seiner Deutung einen Schritt über Miller hinaus, wenn er
konstatiert, dass es nicht nur kein soziales Netz ohne User gebe, sondern
auch keine Leere des Netzes ohne unsere eigene Leere, unsere „fundamentale
Einsamkeit“. Mit Facebook sieht er eine neue Sprache entstehen, „ein
Sprechen des Augenblicks, ein Sprechen ’für alle‘“, das sich jenseits der
Sphäre des Privaten ereignet.
## Sehnsucht nach dem Ereignis
Diesen Optimismus möchte Peter Trawny, der mit Pschera auf der
Internetseite [1][800millionen.de] auch einen Online-Dialog führt, nicht
teilen. Trawny registriert in „Medium und Revolution“ eine nicht näher
bestimmte Sehnsucht nach revolutionärer Veränderung, nach dem „Ereignis“.
Doch das „Medium“, die „ökonomische Einheit von Kapital und Technik“,
worunter auch das Internet und soziale Netzwerke zu fassen sind, verhindere
eine Revolution: „Das Medium und die Revolution schließen sich aus“, heißt
es bei ihm kategorisch. Denn das Medium versuche die Revolution zu
vermitteln und sich so medial einzuverleiben. Die Revolution sei jedoch
nicht vermittelbar, da sie als Ereignis „unmittelbar“ ist. Vielmehr würde
die Revolution als Ereignis das Medium – oder zumindest unser Verhältnis zu
ihm – vernichten.
Keine Frage, für soziale Netzwerke à la Facebook ist in Trawnys Revolution
wenig Platz. Die Revolution wird schließlich auch nicht vom Fernsehen
übertragen, wie schon der Poet Gil Scott-Heron wusste. Ob es danach zu den
von Trawny prophezeiten kleinen Gemeinschaften kommt, in denen ein
„performativer Kommunismus“ praktiziert wird, wird man dann sehen.
1 Mar 2012
## LINKS
[1] http://800millionen.de
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Schwerpunkt Meta
Schwerpunkt Meta
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