# taz.de -- Ex-Gouverneur über Fukushima: "Die Atomenergie wird ausgeklammert" | |
> Ein Jahr nach dem GAU besteht das Machtgeflecht aus Politik und | |
> Atomwirtschaft weiter, sagt der ehemalige Fukushima-Gouverneur Sato. Die | |
> Medien im Land schweigen. | |
Bild: Sieht gravierende Unterschiede im öffentlichen Umgang mit der Atomkraft … | |
taz: Herr Sato, in Europa gelten Sie als einer der Fukushima-Spezialisten | |
und -Kritiker. Wie ist das in Ihrem eigenen Land? | |
Eisaku Sato: Nach der Katastrophe von Fukushima haben mich unglaublich | |
viele ausländische Medien interviewt. Aber in Japan hat mich keiner | |
gefragt. Die Medien haben viel zu große Angst, dass ihnen die Finanzierung | |
zusammenbricht, zum Beispiel Anzeigen zurückgezogen werden, falls sie etwas | |
gegen den Stromkonzern Tepco sagen. | |
Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement Ihrer Regierung nach der | |
Katastrophe? | |
Als der Tsunami über unser Land fegte, habe ich noch immer an die | |
Demokratie und die gute Organisation in unserem Land geglaubt. Aber es ist | |
so viel schiefgelaufen. Zum Beispiel wurden Menschen aus einem radioaktiv | |
verstrahlten Dorf in eine Gegend evakuiert, die sogar noch stärker belastet | |
war. Die zuständigen Politiker sind sich nicht im Klaren, was da eigentlich | |
passiert, oder sie ignorieren es. | |
Sie haben immer wieder vor Sicherheitsmängeln in den Kraftwerken gewarnt. | |
Warum hat niemand auf Sie gehört? | |
Ich dachte immer, Japan sei ein demokratisches Land. Aber das stimmt nicht. | |
Alle, die anders denken, werden von der Gesellschaft systematisch | |
ausgeschlossen. Die Regierung hat Angst, dass ihre Macht geschwächt wird, | |
wenn die Atomenergie angetastet wird. Die Atomkraft gehört für sie | |
untrennbar zu Japan. Kürzlich hat mir ein Freund in Paris erzählt, dass | |
Leute von Greenpeace an einem Atomkraftwerk hochgeklettert sind, um auf die | |
Gefahren aufmerksam zu machen. Das geht nur in Europa. In Japan sind die | |
Kraftwerke kaum sichtbar, sie werden versteckt. Und die Kommunikation wird | |
streng kontrolliert. | |
Das klingt ein wenig nach Verschwörungstheorie. Können Sie Beispiele geben? | |
Als ich Gouverneur war, habe ich ein Umweltgesetz für die Präfektur | |
erarbeiten lassen. In dem Entwurf meiner Mitarbeiter stand nichts von | |
Problemen mit Radioaktivität. Als Grund nannten sie, dass Atomkraft in | |
keinem Umweltgesetz vorkomme, auch nicht in den Präfekturen, die Kraftwerke | |
haben. Die Atomenergie wird von der Politik ausgeklammert. Und die Mehrheit | |
der Japaner hinterfragt das nicht. | |
Wie sind die Verbindungen zwischen dem Stromkonzern Tepco und der | |
Regierung? | |
Es hat sich ein enges Machtgeflecht entwickelt, das sich gegenseitig am | |
Leben hält. Als zum Beispiel 2005 junge Beamte im Wirtschaftsministerium | |
errechnet haben, wie teuer der atomare Abfall für Japan wirklich wird, hat | |
man sie kurzerhand rausgeschmissen. Im August 2006 hat ein Mitglieder des | |
Regierungskomitees, das für die nukleare Sicherheit zuständig ist, davor | |
gewarnt, dass die japanischen Kraftwerke sehr schweren Erdbeben nicht | |
standhalten würden. Man hat ihm nicht zugehört. Er ist zurückgetreten. Ich | |
könnte diese Liste endlos fortführen. | |
Seit Fukushima hat sich eine zaghafte Antiatombewegung in Ihrem Land | |
entwickelt Zurzeit laufen in Japan nur noch 2 von einst 54 Reaktoren. Da | |
bewegt sich doch etwas. | |
Nein, es sah so aus im letzten Jahr kurz nach dem Unglück. Aber es hat sich | |
nichts verändert. Das Gremium, das über die Betriebsdauer der | |
Atomkraftwerke entscheidet, hängt immer noch am Wirtschaftsministerium. Es | |
ist nicht unabhängig. Und die Untersuchungen, ob und wann Kraftwerke wieder | |
ans Netz gehen, laufen noch. Die Sicherheit spielt dabei keine Rolle. | |
8 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Ruth Reichstein | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Japanischer Aktivist über Aufklärung: "Panik ist verflogen, die Angst bleibt" | |
Der Musiker und Aktivist Otomo Yoshihide im Gespräch über unzuverlässige | |
Informationspolitik nach Fukushima und sein eigenes Aufklärungsprojekt. | |
Besuch in Japans Atomaufsichtsbehörde: „Die neuen Kraftwerke sind neuer“ | |
Während der Katastrophe von Fukushima fiel die japanische | |
Atomaufsichtsbehörde durch ihre seltsamen Entwarnungen auf. Ein kurzer, | |
absurder Besuch ein Jahr später. | |
Radioaktivität in Fukushima: Ums 600fache überschritten | |
In der Stadt Fukushima hat Greenpeace eine Strahlendosis von bis zu 70 | |
Mikrosievert pro Stunde gemessen. Die offiziellen Messungen vor Ort | |
scheinen unvollständig zu sein. | |
Japan ein Jahr nach Fukushima: Wir haben nichts gelernt | |
Huch! Ein Atomkraftwerk kann ja durchbrennen! Fukushima war kein | |
Restrisiko, sondern eine absehbare Katastrophe. Und es zeigt, wie wir | |
Großrisiken fröhlich ignorieren. | |
Japan ein Jahr nach Fukushima: Atomkraft, so sicher wie nie | |
Verabschiedet sich Japan von der Atomenergie? Ein Jahr nach der großen | |
Reaktorkatastrophe gibt es viele, die das fordern. Bis zum Ausstieg ist es | |
ein weiter Weg. | |
Atomkatastrophe in Fukushima: Desaströses Zeugnis für alle Beteiligten | |
Ein Jahr nach Fukushima dokumentiert ein Bericht das Versagen von | |
Atomindustrie und Politk. Er zeigt, dass die Regierung mit dem Schlimmsten | |
rechnete. | |
Streit der Woche: Fukushima – Ende der Atomenergie? | |
Vor einem Jahr löste ein Tsunami den größten atomaren Unfall seit der | |
Katastrophe in Tschernobyl aus. Deutschland stieg aus der Atomkraft aus; | |
Kritiker finden das hysterisch. | |
Folgen des deutschen Atomausstiegs: Französischer AKW-Strom importiert | |
Keiner in Europa produziert mehr Atomstrom als Frankreich. Seit dem | |
Abschalten der deutschen AKWs nach Fukushima wird einfach mehr "sauberer" | |
Strom aus dem Nachbarland importiert. | |
Plutonium auf der Autobahn: "Absolut unbeherrschbar" | |
Um das AKW Grohnde zu versorgen, drohen NRW Transporte von hochradioaktiven | |
Mischoxidbrennelementen. Eon hat bereits einen entsprechenden Antrag | |
eingereicht. |