# taz.de -- Anti-AKW-Verschwörung in Indien: Der deutsche „Spion“ | |
> Delhi weist einen deutschen Anti-AKW-Aktivisten aus, der gar keiner ist. | |
> Premierminister Singh zeigt, wie abgekoppelt er von der Öffentlichkeit | |
> regiert. | |
Bild: Indiens Regierungschef Singh versprach nach Fukushima eine unabhängige A… | |
DELHI/BERLIN taz | Rainer Sonntag lebt heute in Essen. Aber die letzten | |
Jahre verbrachte er meist im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu. „Ich war | |
Aussteiger“, sagt Sonntag (49) der taz. Früher arbeitete er als | |
Programmierer. In Indien aber gilt der Deutsche als „Gehirn der | |
Widerstandsbewegung“ gegen das Atomkraftwerk Kudankulam unweit der | |
südlichsten Spitze des indischen Subkontinents. | |
Seine Berühmtheit verdankt Sonntag einer überraschenden Ausweisung. Ohne | |
Angaben von Gründen und ohne die deutsche Botschaft zu informieren, setzte | |
ihn die Polizei Ende Februar auf einen Flieger nach Deutschland. Seither | |
behaupten einige indische Medien mit Berufung auf anonyme Polizeiquellen, | |
dass Sonntag als hocheffektiver Anti-AKW-Aktivist in Indien aktiv war. | |
Er widerspricht: „Was ich über die Anti-AKW-Bewegung in Indien weiß, weiß | |
ich aus der Presse. Die indische Politik ist vielfältig und kompliziert. | |
Ich hätte mir nie angemaßt, Ratschläge zu geben.“ Doch genau mit diesem | |
Vorwurf, dass sich Ausländer mal wieder anmaßen, Indiens Politik zu | |
beeinflussen, führt Regierungschef Manmohan Singh den Streit gegen indische | |
AKW-Kritiker. | |
Im Interview mit dem Wissenschaftsmagazin Science behauptete Singh: „Unser | |
Atomprogramm stößt auf Schwierigkeiten, weil vor allem amerikanische | |
Nichtregierungsorganisationen unsere Bedürfnisse, die Energieversorgung zu | |
erhöhen, nicht anerkennen.“ | |
## Anschuldigungen gegen Ausländer | |
Das Interview schlug in Indien hohe Wellen. Zuvor hatte sich Singh | |
wochenlang aus öffentlichen Debatten herausgehalten. Ihn umgibt noch immer | |
der Verdacht, für einige Korruptionsskandale mehr Verantwortung zu tragen, | |
als er bisher einräumte. Doch nun meldete er sich ausgerechnet mit | |
Anschuldigungen gegen Ausländer hinsichtlich ihres vermeintlichen | |
AKW-Protests zurück. | |
Zwar konnten manche Singhs Verlockung nicht widerstehen. Insbesondere die | |
Lokalpresse in Tamil Nadu freute sich, als die Polizei auf Weisung aus | |
Delhi plötzlich den deutschen „Spion“ hervorzauberte. Doch andere, wie etwa | |
die Wirtschaftzeitung Mint in Delhi, erkannten das Ablenkungsmanöver: | |
„Indem man nun die Finanzierung der Atomkraftgegner hinterfragt und dabei | |
eine ausländische Verschwörung unterstellt, zeigt das Atomestablishment, | |
wie sehr ihm die Atomdebatte seit Fukushima entglitten ist.“ | |
Tatsächlich entlarvt der Fall Sonntag Indiens Regierungschef. Erstens | |
zeigte sich, wie substanzlos seine Anschuldigungen waren, wenn zum Beweis | |
für die amerikanische Anti-AKW-Verschwörung bisher nur ein deutscher | |
Langzeittourist herhalten konnte. Zweitens demonstrierte Singh, wie völlig | |
abgekoppelt er derzeit von der Öffentlichkeit regiert. | |
Die erwartet nämlich im Zuge der Wirtschaftskrise, die allmählich auch | |
Indien erfasst, ganz andere Signale. Drittens durfte nun bezweifelt werden, | |
wie ernst es Singh mit seiner Reaktion auf den Atomunfall in Fukushima | |
nahm, als er Indien eine unabhängige Atomaufsichtsbehörde versprach. Die | |
gibt es weiter nur auf dem Papier. | |
## Lokaler Widerstand | |
Stattdessen zeigt Indiens Regierung inzwischen auch, dass sie keinen | |
internationalen Erfahrungsaustausch über Risiken der Atomenergie mag. So | |
wurde Maya Kobayashi aus dem japanischen Fukushima, die von Greenpeace | |
Indien zu Vorträgen über die Atomkatastrophe eingeladen war, kürzlich das | |
bereits ausgestellte Visum wieder entzogen. | |
Am Standort des fast fertiggestellten AKW Kundankulam mit zwei | |
1.000-Mega-Watt-Reaktoren russischer Bauart sind für diesen Donnerstag, 15. | |
März, die nächsten Proteste geplant. Der lokale Widerstand hat den Bau | |
immer wieder verzögern können. | |
Doch 16 Anführern des Protests drohen jetzt Festnahmen. In einer Eilaktion | |
schreibt Amnesty International: „Sollte man sie festnehmen und der | |
rechtswidrigen Entgegennahme von Geldern zur Finanzierung der Proteste | |
schuldig befinden, drohten ihnen Haftstrafen von bis zu zwei Jahren.“ | |
12 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
G. Blume | |
S. Hansen | |
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