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# taz.de -- Streit über sicheres AKW in Indien: Sieg für die Analphabeten
> Die Proteste gegen das AKW Kudankulam in Indien werden schärfer. Die
> Energiepolitik des Landes versinkt derzeit im Chaos.
Bild: Anwohner protestieren vor dem AKW Kudankulam im südlichen Bundesstaat Ta…
DEHLI taz | Menschenketten vor Atomreaktoren: Bilder wie aus den 70er
Jahren in Deutschland lieferten Tausende von Demonstranten in den letzten
Tagen vor dem südindischen Atomkraftwerk in Kudankulam. Am Montag stoppte
die Polizei einen Protestmarsch aus der Nachbarprovinz – mit Verweis auf
gewalttätige Auseinandersetzungen in den Tagen zuvor.
Angeführt wird der Protest von örtlichen Fischern. Einer von ihnen wurde
bereits im Gemenge von der Polizei erschossen. Doch das hielt die Fischer
nicht ab, im flachen Küstengewässer ihre Ketten zu bilden – direkt vor den
zwei unter russischer Führung errichteten 1.000-Megawatt-Reaktoren, von
denen einer in den nächsten Wochen erstmals mit angereichertem Uran
aufgeladen werden soll.
Genau das aber wollten die Fischer verhindern und hatten deshalb sogar den
Obersten Gerichtshof in Delhi angerufen. Der entschied zwar, dass der
Reaktor geladen werden darf.
Zugleich mahnten die Richter aber, dass ein Betrieb des AKW erst möglich
sei, wenn alle nach Fukushima neu formulierten Sicherheitsmaßnahmen erfüllt
seien und die Bevölkerung ausreichend informiert werde – inmitten der
Niederlage ein Sieg für die Protestbewegung.
Tatsächlich hatte die staatliche indische Atomsicherheitsbehörde AERB im
letzten Jahr 17 neue Sicherheitsauflagen verkündet. Doch im umstrittenen
Kudankulam sollen diese erst in zwei Jahren komplett umgesetzt werden. Muss
der Betrieb also noch so lange warten? Acht Jahre Rückstand hat das
Atomprojekt bereits.
## Kritik an der Intransparenz
Zudem stellte das Oberste Gericht fest, dass auch Analphabeten – die in
großer Zahl in der Gegend leben – hinreichend informiert werden müssen.
Bisher ist die Intransparenz der indischen Atombehörden einer der
häufigsten Kritikpunkte der AKW-Gegner.
Für die Regierung in Delhi, die alle AKWs in Indien finanziert, kamen die
neuen Auflagen des Gerichts denkbar ungelegen. Denn das politische Chaos
ist in der Energiepolitik ohnehin schon groß. Seit Jahren verspricht Delhi
einen massiven Ausbau der indischen Energiekapazität. Doch derzeit setzt es
jede Menge Rückschläge.
Mehr als die Hälfte seines Energiebedarfs deckt das Land mit Kohle. Weil
das Land über große Reserven verfügt, vergab die Regierung zwischen 2006
und 2009 viele neue Kohleminenlizenzen. Aufgrund von Korruption wurden die
Minen aber an private Firmen vergeben, die mit der Kohleindustrie oft
nichts zu tun hatten. Nur wenige der neuen Lizenzen führten deshalb zu mehr
Kohleabbau.
Ebenso groß sind seit einigen Jahren die Versprechen für die Atomindustrie.
Bis 2020 will Indien 26 Gigawatt an neuer Atomenergie installieren – was
etwa 20 Reaktoren entspricht.
## Nur kleinere Reaktoren in Betrieb
Dafür wurde unlängst ein Vertrag mit dem französischen AKW-Bauer Areva
unterzeichnet – für sechs Reaktoren nördlich von Goa an der westindischen
Küste. Dort aber sind die Proteste genauso heftig wie in Kudankulam.
Und noch wurde nicht einmal ein Grundstein gesetzt. In Betrieb sind in
Indien bisher nur kleine Reaktoren, die nie auf Rentabilität ausgelegt
waren. Skepsis gebührt auch den indischen Zielen zum Ausbau der Wind- und
Solarenergie.
Auch hier haben großartige Regierungsziele noch nirgendwo zum Abbau der
zahlreichen Stromausfälle geführt. Die Konsequenz ist logisch: Im letzten
Finanzjahr stieg Indiens Ölrechnung um 40 Prozent an.
Die magere Energiebilanz aber geht nun auch auf Kosten der Armen: Diese
Woche erhöhte Delhi die subventionierten Preise für Diesel und Kochgas. Das
trifft auch die Fischer in Kudankulam. Ihr Protest hat gerade erst
begonnen.
17 Sep 2012
## AUTOREN
Georg Blume
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
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