| # taz.de -- Joachim Gauck: Der Menschenfischer | |
| > Joachim Gaucks Entwicklung vom Pastor zum Präsidenten folgt einer Logik. | |
| > Die Spurensuche beginnt in Rostocker Plattenbauten. | |
| Bild: Weitaus mehr als nur präsidial: Der Menschenfischer schaut nach oben. | |
| Zwischen grasbewachsenem Erdaushub steht ein junger Mann, hält sich mit | |
| beiden Händen am Revers seines braunen Ledersakkos fest und spricht in die | |
| Kamera. Er erinnert an einen Kriegsreporter, der aus einem Einsatzgebiet | |
| berichtet. Hinter ihm zeichnen sich treppenartige Plattenbauten ab. „Eines | |
| von fünf Neubaugebieten im Rostocker Nordwesten“, sagt Joachim Gauck mit | |
| rollendem R. „Knapp 30.000 Einwohner. In diesem Stadtteil bin ich | |
| Gemeindepastor.“ | |
| Eine Szene aus dem Film „Christen ohne Privilegien. Kirchlicher Alltag in | |
| Mecklenburg“, der im Archiv des Norddeutschen Rundfunks verstaubt. Pastor | |
| Gauck befindet sich in einer Krisenregion. Er ist 1970 hergekommen, um | |
| dieser gottesfernen Gegend Spiritualität einzuhauchen. Denn eine Kirche ist | |
| in der sozialistischen Utopie aus Beton nicht vorgesehen. | |
| „Wir müssen neue Versuche machen, mit den Menschen in Kontakt zu kommen. | |
| Wie tun wir das? Wir gehen zu den Menschen, wir gehen in ihre Wohnungen, | |
| wir reden eher mit ihnen, als dass wir ihnen predigen.“ Den Konfirmanden- | |
| und Christenlehre-Unterricht verlegt der Pastor teilweise in die eigenen | |
| vier Wände. Die Familie Gauck ist darüber nicht beglückt. | |
| ## Die eigenen Zweifel überwinden | |
| Schon der Umzug vom malerischen Lüssow nach Rostock-Evershagen machte zu | |
| schaffen. Aber das Familienoberhaupt bestimmt es so. Arbeit und | |
| Pflichterfüllung stehen für den bürgerlichen Protestanten an erster Stelle. | |
| Schon nach zwei Jahren gibt es den ersten Kirchengemeinderat in | |
| Rostock-Evershagen. | |
| Dabei musste sich der gut aussehende Mann mit seiner Rolle als Pastor erst | |
| anfreunden und eigene Zweifel überwinden. Gauck leistet nicht nur | |
| Aufbauarbeit im Namen des Herrn. Er entdeckt als Pastor bei sich | |
| Fähigkeiten, die ihm bis dahin unbekannt waren. Gauck kann sich in andere | |
| Lebenswelten einfühlen und vermag es, anschaulich zu sprechen und für die | |
| Sorgen der jungen Menschen als Stadtjugendpfarrer die richtigen Worte zu | |
| finden. | |
| „Gauck war sehr nahe bei den Problemen seiner Gemeinde und hatte einen sehr | |
| direkten Kontakt“, sagt Christoph Kleemann heute, der ab 1976 als | |
| Studentenpfarrer in Rostock arbeitete. Selbst kritische Kollegen von damals | |
| beschreiben Gaucks ausgeprägtes Empathievermögen. Er entwickelt daraus sein | |
| Talent, Menschen für sich einzunehmen. | |
| ## Den Vater weggenommen | |
| Ursprünglich wollte Joachim Gauck Journalist werden. Doch Germanistik darf | |
| er nicht studieren, und die Presse gehört in der Diktatur zu den Stützen | |
| des Regimes. Nichts für Gauck. Die DDR empfindet er als Unrechtsstaat, denn | |
| die Kommunisten nehmen dem Elfjährigen seinen Vater weg. Am 27. Juni 1951 | |
| verschwindet der ehemalige Kapitän und Arbeitsschutzinspektor der Rostocker | |
| Neptun-Werft mit zwei Männern in einem blauen Opel. Offiziell zur Klärung | |
| eines Unfalls. | |
| Tatsächlich verschleppen Mitarbeiter der sowjetischen Geheimpolizei den | |
| 45-jährigen Familienvater in ein sibirisches Straflager nahe der Stadt Ulan | |
| Ude am Baikalsee. Er wird zu zweimal 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. | |
| Erst zwei Jahre später erfährt die Familie, was mit dem Vater überhaupt | |
| geschehen ist. Der wird 1955 infolge eines Besuchs von Konrad Adenauer in | |
| Moskau begnadigt. | |
| Für den heranwachsenden Gauck klingen die Reden seiner Lehrer vom | |
| Sozialismus jetzt hohl. Mit diesem Staat ist die ganze Familie fertig. | |
| Gaucks Mutter untersagt den Kindern die Mitgliedschaft in der Freien | |
| Deutschen Jugend. Als Joachim wegen seiner Schulnoten mit dem „Abzeichen | |
| für gutes Wissen“ ausgezeichnet wird, verpasst sie ihm eine Ohrfeige. Gauck | |
| schreibt in seinen Memoiren: „Das Schicksal unseres Vaters wurde zur | |
| Erziehungskeule.“ | |
| ## Bedingungsloser Antikommunist und Rechtspurist | |
| Aus der Erfahrung von Machtlosigkeit und staatlicher Willkür zieht Joachim | |
| Gauck zwei Schlüsse: Er wird ein bedingungsloser Antikommunist, und er | |
| entwickelt in den folgenden Jahren ein puristisches Verständnis vom | |
| Rechtsstaat. Gauck hat erfahren: Auch wer Gutes will, ist zu Schlechtem | |
| fähig. Der Wunsch, sich für das Richtige einzusetzen, kann das Falsche | |
| befördern. Wichtiger als idealistische Ziele oder Utopien sind die | |
| überprüfbaren Regeln eines Rechtsstaats. Diese Auffassungen verfolgt er | |
| mecklenburgisch stur. | |
| Das ist einer der Gründe dafür, warum Joachim Gauck heute in den | |
| Parteilagern aneckt, denn seine Prinzipien lassen sich nicht eindeutig auf | |
| einer politisch geeichten Skala einordnen. Seine Äußerungen folgen | |
| maßgeblich diesen beiden Prinzipien, sind zumeist Schlussfolgerungen seiner | |
| Biografie. | |
| Linken wie Konservativen gilt er deswegen als unberechenbar, sein | |
| pastorales Pathos unterscheidet sich vom Politikersprech und löst Befremden | |
| aus. Gauck ist es nach seinen Erfahrungen in der DDR zuwider, sich | |
| anzupassen, vereinnahmen zu lassen oder einer politischen Richtung | |
| unterzuordnen. Deswegen nennt er sich einen „linken konservativen | |
| Liberalen“. | |
| ## Mehr Ethnologe, denn Pfarrer | |
| In den Welten, in denen sich Gauck bewegt, bleibt er immer ein Fremder. Ein | |
| Bürgerlicher in einem Arbeiter-und-Bauern-Staat, ein Ostdeutscher, der vom | |
| Westen träumt, ein Mann Gottes in einer atheistischen Gesellschaft und ein | |
| Pfarrer, für den theologische Fragestellungen nie vorrangig sind, wie | |
| Hartmut Dietrich bemerkt, ein Pastorenkollege aus Rostocker Zeiten. Gauck | |
| nähert sich diesen Welten eher wie ein Ethnologe. | |
| Nur die kirchlichen Enklaven ermöglichen in der DDR das Mindestmaß an | |
| Freiheit, das Joachim Gauck benötigt, um weiter in diesem Staat bleiben zu | |
| können. Im Übrigen ist es bei den Pastoren verpönt, die Gemeinde zu | |
| verlassen und rüberzumachen. Einer mit einem ausgeprägten Arbeitsethos wie | |
| Gauck ist dazu praktisch nicht in der Lage. | |
| Gauck bleibt in der Fremde des Ostens und entwickelt als Reaktion darauf | |
| ein dogmatisches und fast religiöses Verständnis von Rechtsstaatlichkeit. | |
| Wenn seine Kollegen darüber diskutieren, die DDR zu reformieren, ist Gauck | |
| anderer Meinung. Dem stets akkurat gekleideten Mann bleibt später auch | |
| alles Spontihafte suspekt. Gauck ist Opponent, nicht Dissident. Das zeigt | |
| sich 1990, als er mit denen in Konflikt gerät, deren Interessen er | |
| eigentlich teilt. | |
| Am 4. September besetzen 21 Bürgerrechtler die Stasizentrale in | |
| Berlin-Lichtenberg. Es ist nach der Erstürmung im Januar die zweite | |
| Eroberung des DDR-Machtapparats. Bärbel Bohley und andere treten in den | |
| Hungerstreik. Sie spannen Transparente zwischen den Fenstern: „Besetzt. Die | |
| Akten gehören uns.“ Ihre Aktion ist getragen von der Furcht, dass das Erbe | |
| der Staatssicherheit vernichtet werden könnte. Sie liegen richtig. | |
| ## Alle wollten die Stasi-Akten loswerden | |
| Es ist die Zeit des Übergangs. Im Februar 1990 gestattet der runde Tisch | |
| die Vernichtung aller Tonträger des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) | |
| mit personenbezogenen Daten; ebenso überlässt er es auch der | |
| Auslandsabteilung der Staatssicherheit, sich selbst aufzulösen. Fast alle | |
| Akten werden vernichtet. Auch die Bonner Regierung unter Helmut Kohl will | |
| das Material loswerden. Die MfS-Dossiers versetzen die CDU in Angst und | |
| Schrecken. | |
| Zeitschriften veröffentlichen bereits Telefonmitschnitte der Stasi von | |
| Westpolitikern. Die Innenministerkonferenz beschließt daraufhin eilig, | |
| diese Mitschnitte durch den Verfassungsschutz zu konfiszieren. Die | |
| Aktenvernichtung setzt sich im Westen fort. | |
| Joachim Gauck ist inzwischen von der DDR-Volkskammer zum Vorsitzenden des | |
| neuen Sonderausschusses zur Kontrolle und Auflösung des | |
| Staatssicherheitsdienstes ernannt worden. Hier agierte er sehr geschickt, | |
| sagt Uta Leichsenring, die damals im Ausschuss arbeitete und heute die | |
| Außenstelle der Stasiunterlagenbehörde in Halle leitet. | |
| ## Scheinwerfer auf Gauck | |
| Der Sonderausschuss enttarnt die OibE, „Offiziere im besonderen Einsatz“, | |
| die verdeckt an Schlüsselstellen der DDR-Gesellschaft weiterarbeiten, als | |
| das MfS schon aufgelöst ist. Ein Skandal. Dem Sonderausschuss, der bei | |
| dieser Aufdeckung seine Befugnisse weit überschreitet und mit | |
| DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel aneinandergerät, ist ein Coup | |
| gelungen. Die Scheinwerfer richten sich jetzt auf Joachim Gauck. | |
| Ein Volkskammergesetz verfügt die „Nutzung der personenbezogenen Daten des | |
| ehemaligen MfS/AfNS“. Doch die Regierung von Helmut Kohl will das Gesetz | |
| nicht in den Einigungsvertrag aufnehmen. Sie bildet eine Allianz gegen die | |
| Interessen der Revolutionäre. In einem Fax eines Mitarbeiters von | |
| Innenminister Wolfgang Schäuble an das DDR-Innenministerium verständigt man | |
| sich auf eine „differenzierte Vernichtungsregelung“. | |
| Aus Protest besetzen die Bürgerrechtler jetzt die MfS-Zentrale. Doch | |
| Joachim Gauck, der wie Bärbel Bohley das Erbe der SED-Diktatur bewahren | |
| will, distanziert sich von ihrer Aktion. In einem demokratischen System | |
| hätten sich alle an die Gesetze zu halten, sagt Gauck. Eine | |
| außerordentliche Position in diesem Moment. | |
| Bei den westdeutschen Politprofis kommt das an. Der Pragmatismus des | |
| Bündnis-90-Abgeordneten weckt mehr Vertrauen als die Rauschebärte und | |
| lautstarken Frauen, die sich im Hungerstreik befinden. Die gelten den | |
| Westlern als politikunfähig, wie Christian Booß rekapituliert, der seit | |
| Jahren in der Stasiunterlagenbehörde arbeitet. | |
| ## Biermann als Fürsprecher | |
| Für die Revolutionäre ist Gauck ein Opportunist, dem es nur um die eigene | |
| Karriere geht. Einer aber macht sich für ihn stark: „Ich habe den Eindruck, | |
| dass Gauck kein Schwein ist, dass er ehrlich ist und sich Mühe gibt“, sagt | |
| der Liedermacher Wolf Biermann, der zu den Besetzern gehört und dessen Wort | |
| besonders gilt. | |
| Es gelingt dem Sonderausschussvorsitzenden Gauck, die Regierungsparteien | |
| auf seine Seite zu ziehen. „Ich habe versucht, mit einer historischen | |
| Rückblende einen Konsens zu erzeugen. Ich habe die Abgeordneten gefragt: | |
| Wollt ihr es haben wie unter Adenauer: einen Globke im Kanzleramt? Oder | |
| wollen wir aus der Geschichte gelernt haben? Und, nun ja, alle wollten aus | |
| der Geschichte gelernt haben.“ Das sagt Gauck im Dezember 2011 im Gespräch | |
| mit der taz. Er nennt diese Zeit „meine wichtigste Phase“. | |
| Nahezu in letzter Minute, am 18. September 1990, ist durch eine | |
| Zusatzklausel im Einigungsvertrag die Rettung der Stasiakten gesetzlich | |
| sichergestellt. | |
| ## Der Überwältigungsstrategie des Westens getrotzt | |
| „Bärbel Bohley hat später immer so getan, als wäre die Besetzung der Stasi | |
| mit dem Hungerstreik die entscheidende Wende gewesen“, sagt Gauck ebenfalls | |
| der taz. Vermutlich spielte sein diplomatisches Geschick im Umgang mit den | |
| Bonner Politikern eine größere Rolle. „Gauck hat der | |
| Überwältigungsstrategie des Westens getrotzt“, sagt Booß. | |
| Es war einer nötig, der aus der DDR kam, in Opposition zur Diktatur stand | |
| und sich zugleich auf politischem Parkett zu bewegen wusste. Gauck schuf | |
| Vertrauen – aufseiten der Revolutionäre wie des Westens. | |
| Sein politisches Geschick und sein rhetorisches Talent sind ihm 1990 nicht | |
| in den Schoß gefallen. Gauck entwickelt es im Umgang mit den einfachen | |
| Leuten schon in Rostock-Evershagen. Selbst ein ehemaliger Pastorenkollege | |
| wie Hartmut Dietrich, der auch kritische Worte zu Gauck findet, sagt: | |
| „Viele haben ihn als Ermutiger erlebt.“ | |
| ## Gesund und erfrischend frech | |
| Gauck setzt sich besonders für drei Jugendliche ein, die ins Visier der | |
| Stasi geraten. Das hatte für die jungen Leute Signalwirkung, erinnert | |
| Christoph Kleemann, der ehemalige Studentenpfarrer. Ohne zu zögern, | |
| begleitet Gauck auch Kleemann zur Stasi, als der wieder Ärger mit dem | |
| Apparat hat. Das habe Gauck von konformen Pastoren unterschieden, sagt | |
| Kleemann. „Ich habe ihn als gesund frech erlebt. Er überzog gerne. Das ist | |
| erfrischend in einer Diktatur.“ Die Stasi bezeichnet Gauck in seiner Akte | |
| als „unbelehrbaren Antikommunisten“ mit „anmaßendem und frechem Auftrete… | |
| In einer Gesellschaft, in der schon Schüler nicht frei sprechen dürfen, | |
| kommt es nicht von ungefähr, dass später gerade Pastoren als Politiker | |
| Karriere machen. Nur sie haben es gelernt, öffentlich zu sprechen, und sind | |
| durch die protestantische Diskurskultur geschult, sagt die ehemalige | |
| Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe, die als Landesbeauftragte für die | |
| Stasiunterlagen in Brandenburg tätig ist. | |
| Auch Gauck schreibt in seiner Autobiografie: „In der Begegnung mit den | |
| Gemeindemitgliedern aber habe ich die Angst verloren, vom Zweifel | |
| verschlungen zu werden. Ich konnte geistlich wachsen und selbst etwas | |
| ausstrahlen.“ | |
| ## Das alte Leben abstreifen | |
| Durch sein diplomatisches Geschick besorgt sich Gauck 1990 auch eine | |
| „Eintrittskarte für das westdeutsche Establishment“, so Booß. Wer künftig | |
| die neu zu schaffende Stasiunterlagenbehörde leiten wird, ist klar. | |
| Die öffentliche Person Gauck entsteht. Er trennt sich von seiner Frau, | |
| zieht dauerhaft nach Berlin. Er streift sein altes Leben ab und beginnt ein | |
| neues. Der Konflikt mit einigen ehemaligen Regimegegnern der DDR, die jetzt | |
| sagen, Gauck sei kein Bürgerrechtler gewesen, wurzelt in dieser Phase. | |
| Ulrike Poppe, die im September 1990 selbst auf der Seite der Stasibesetzer | |
| stand, ist dagegen überzeugt: „Gauck war während der Revolution einer der | |
| entscheidenden Protagonisten.“ | |
| Aber auch sie hat mit ihm Streit, als die Stasiunterlagenbehörde gerade | |
| ihre Arbeit aufnimmt. Es geht um die Einstellung von Stasimitarbeitern, und | |
| gerade Gauck, der Mann, der die Akten gerettet hat und mit Manfred Stolpe | |
| und Gregor Gysi Klartext redet, setzt sich für ehemalige MfS-Offiziere in | |
| der Behörde ein. Er hält ihre Expertise für das Verstehen der Systematik | |
| des MfS für unverzichtbar. | |
| Der Beirat, in dem auch Poppe sitzt, plädiert dafür, nur Honorarverträge | |
| für die hochrangigen Offiziere zu vergeben. Diese wären irgendwann | |
| ausgelaufen. Die Festanstellung aber führt zu Kontroversen, die die Behörde | |
| bis heute verfolgen. Selbst führende Mitarbeiter in der | |
| Stasiunterlagenbehörde sagen, Gauck habe sich an dieser Stelle sehr | |
| schlecht beraten lassen. | |
| ## Große Linien, große Fragen | |
| Gauck ist auf Berater angewiesen, denn ihn interessieren kleinteilige | |
| Sachfragen nicht. Deswegen vertraut er auf wenige, aber langjährige | |
| Vertraute. David Gill etwa, der künftig das Bundespräsidialamt leiten wird. | |
| Als Behördenchef delegiert Gauck vieles an seine Mitarbeiter, lässt in | |
| Ausschüssen seine Fachreferenten reden. Er selbst pflegt dann ein | |
| politisches Resümee zu ziehen, erinnert sich Herbert Ziehm, einer der | |
| ersten Mitarbeiter der Stasiunterlagenbehörde, den Gauck einstellt. | |
| Gauck geht es um die großen Linien und die großen Fragen. Deswegen macht er | |
| wieder, was er am besten kann: Er reist, redet und nutzt sein Charisma, um | |
| für die Aufarbeitung zu werben. Er verankert die Behörde als Institution in | |
| Deutschland. Seine zunehmende Prominenz begeistert auch die Mitarbeiter in | |
| der Behörde, die schließlich sogar seinen Namen trägt. Oft sei er von einem | |
| freudigen Schwarm Menschen umgeben gewesen, wenn er durch die Flure lief. | |
| „Vom Pförtner über den Fahrer bis zum Abteilungsleiter“, sagt Booß. | |
| Wie er Menschen fesseln kann, begreift Gauck spätestens auf dem Kirchentag | |
| 1988 in Rostock, den er organisiert. Er spricht offen über Ausreise und mit | |
| seinem Satz „Wir werden bleiben wollen, wenn wir gehen dürfen“ schafft er | |
| es bis ins ZDF. „Das war seine Initialzündung, alle verdeckten Gaben sind | |
| erwacht“, sagt Hartmut Dietrich. | |
| ## Missionar der Rechtsstaatlichkeit | |
| Als Gauck im Jahr 2000 die Behörde verlässt, verschmelzen der Pastor und | |
| der Politiker Gauck zum Missionar der Rechtsstaatlichkeit. Er entwickelt | |
| Sendungsbewusstsein und wird in den folgenden Jahren zum Verkünder von | |
| Freiheit und Demokratie. Manche fürchten, für einen Bundespräsidenten sei | |
| dieses Thema zu begrenzt. Christoph Kleemann sagt, Gauck sei äußerst | |
| versiert darin, neue Schlüsselbegriffe und Fragestellungen aktuellen | |
| Debatten zu entlehnen. Er baue das dann in seine Rhetorik ein. | |
| Auch sein Charisma steuert Gauck ganz gezielt. Er weiß, wie er bei seinen | |
| Zuhörern Wirkung entfaltet. Wegbegleiter sagen, er könne auf Wunsch weinen. | |
| Er selbst hat ein metaphysisches Verständnis von seiner suggestiven | |
| Begabung: „Ich habe auf meinem Lebensweg erlebt, dass ich Menschen durch | |
| meine Art, mit ihnen zu reden, zu ihren Kräften bringen konnte. Es ist mir | |
| oft so gegangen, dass Menschen dann auch besser verstanden haben, was sie | |
| selber können, und das auch wollten.“ | |
| In Markus 1,17 heißt es: „Und Jesus sprach zu ihnen: Kommt mir nach, und | |
| ich werde euch zu Menschenfischern machen.“ Gauck ist einer geworden. | |
| 17 Mar 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Kai Schlieter | |
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| Beate Klarsfeld | |
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