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# taz.de -- KOMMENTAR BUNDESPRÄSIDENTENWAHL: Eine Chance für Gauck
> Was kann man von Bundespräsident Gauck erwarten? Nein, ihm muss nicht
> zwingend Brauchbares zu den Finanzmärkten einfallen. Er braucht Geschick
> und Empathie.
Ja, vieles an der Kritik an Joachim Gauck ist richtig. Er ist
selbstverliebt, sein Freiheitsbegriff ist zu eng. Seine Häme gegenüber der
Occupy-Bewegung ist kurzsichtig, das Lob für Sarrazins Mut unberaten.
Manches an dem Mann wirkt deutsch-provinziell, er hat wenig internationale
Erfahrung. Wem zu dem Angriff der Finanzmärkte auf die Demokratie einfällt,
dass in der DDR die Banken verstaatlich waren, darf sich über das Säurebad
öffentlicher Kritik nicht beklagen.
Gauck weckt starke Affekte, bizarre Heilserwartungen dort, scharfe
Ablehnung hier. Das liegt an seinem mitunter schroffen Moralismus, auch
daran, wie er ins Amt gekommen ist. Gauck ist kein klassischer Rechter, das
Autoritätsfixierte ist seine Sache nicht.
Er ist ein Konservativer, der mit dem linksliberalen Milieu der
Bundesrepublik nicht viel anfangen kann. Er ist der konservativste Kandidat
seit Roman Herzog. Irritierend ist, dass ausgerechnet Rot-Grün diesen Mann
ins Amt gehoben hat. Denn das nährt heftige Zweifel, ob Rot-Grün eine echte
Alternative sein will oder nur ein bisschen anders.
All diese Vorbehalte sind einleuchtend. Allerdings: Das Amt verändert
mitunter die Leute. Von Weizsäcker als liberale Gegenfigur zu Kohl – wer
hätte das bei seiner Wahl gedacht? Und bei dem integren Johannes Rau ahnte
niemand, wie farblos seine Amtszeit werden würde.
Die Zeiten, als Bundespräsidenten qua Amt wichtig waren, sind vorbei. Heute
sind sie Player in der Mediendemokratie. Treffen sie Thema und Ton, hört
man ihnen zu, sonst nicht. Wenn Gauck weiter den Demokratielehrer spielt,
der erzählt, wie schön unsere Republik ist, wird sein Ruhm überschaubar
bleiben.
Was also kann man von Bundespräsident Gauck erwarten? Nein, ihm muss nicht
zwingend Brauchbares zu den Finanzmärkten einfallen. Finanzspekulanten sind
mit Reden von Bundespräsidenten, die faktisch weniger Macht haben als
Landtagsabgeordnete, sowieso nicht zu beeindrucken. Der Lackmustest wird
etwas anderes sein. Christian Wulff hat gezeigt, dass die richtigen Symbole
sehr wohl Wirkungsmacht entfalten können. Er hat Integration und Islam in
den Fokus gerückt und versucht ein Defizit auszugleichen: den Mangel an
Anerkennung der Mehrheit für die Minderheit. Wenn Gauck klug ist, macht er
da weiter.
Das zweite fruchtbare Feld ist vermint: die Geschichtspolitik. Europa ist
erinnerungspolitisch gespalten: im Osten auf Stalinismus fixiert, im Westen
auf den Holocaust. Es herrscht eine virtuelle Opferkonkurrenz, ein falscher
Ton löst verlässlich Reiz-und-Reaktion-Schemata aus. Gauck hat zum
instrumentellen Holocaustgedenken Kluges gesagt, zum Vergleich von
NS-System und Kommunismus in der Prager Erklärung gefährlich Unscharfes.
Es gilt, ohne Rechthaberei wunde Punkte anzusprechen. Im Westen gibt es
viel Ignoranz gegenüber Stalins Terror, in Osteuropa gegenüber der Schoah.
Haltungen sind verhärtet. Es braucht Geschick und Empathie, sie zu
verflüssigen.
Wir wissen nicht, ob Gauck das kann. Aber was er dafür braucht, ist
Bescheidenheit.
16 Mar 2012
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Beate Klarsfeld
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