# taz.de -- Nationalisierung in Argentinien: Kohlenstoffliche Souveränität | |
> Die argentinische Regierung will den spanischen Ölkonzern Repsol | |
> teilenteignen. Das ist nicht zuletzt ein nationales Statement. | |
Bild: Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner schaut andächtig auf ein Gla… | |
BUENOS AIRES taz | Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner redete | |
Klartext. Die Ölfirma YPF – Yacimientos Petrolíferos Fiscales wird | |
enteignet. Am Montag hat sie die Übernahme des größten Privatunternehmens | |
des Landes ankündigt. | |
Demnach soll der spanische Konzern Repsol seinen Mehrheitsanteil von 51 | |
Prozent an dem Unternehmen an Argentinien abgeben. Dem Kongress wird | |
umgehend ein entsprechender Gesetzesentwurf vorgelegt, verkündete Frau | |
Kirchner in einer Sondersendung aller Radio- und Fernsehanstalten. Für | |
Repsol-YPF bedeutet dies faktisch das Aus. Nur seine restlichen 6,5 Prozent | |
darf der spanische Multi behalten. | |
Argentinien sei das einzige südamerikanische Land, das keine | |
Verfügungsgewalt über seine Erdöl- und Gasvorkommen habe, so Cristina | |
Kirchner. Nach dem Willen der Präsidentin „geht es nicht um die | |
Verstaatlichung, sondern um die Wiedergewinnung der Souveränität und | |
Kontrolle über die Kohlenwasserstoffe“. | |
## Kohlenstoffliche Souveränität | |
Das Gesetzespaket trägt denn auch offiziell den Titel „Kohlenstoffliche | |
Souveränität der Republik Argentinien“. Um den Weg für die Aneignung der | |
Aktienmehrheit frei zu machen, erklärte sie alle Aktivitäten im Erdöl- und | |
Erdgasbereich als im „öffentlichen nationalen Interesse“. | |
Die Anfang des vergangenen Jahrhunderts als staatliches Unternehmen | |
gegründete Ölfirma war jahrzehntelang ein Aushängeschild der argentinischen | |
Wirtschaft. YPF (frei übersetzt: staatliche Ölvorkommen) galt in den | |
Nachbarländern als erfolgreiches Modell einer staatlichen Ausbeutung der | |
Öl- und Gasvorkommen. | |
In den 1990er Jahre wurde das Staatsunternehmen von dem damaligen | |
Präsidenten Carlos Menem stückweise an Repsol verkauft. Befürworter der | |
Privatisierung waren der damalige Gouverneur der Erdölprovinz Santa Cruz | |
und seine Ehefrau, Néstor und Cristina Kirchner. | |
## Kredite internationaler Banken | |
Bereits 2008 verkaufte Repsol auf Druck des gerade aus dem Amt geschiedenen | |
Präsidenten Néstor Kirchner einen knapp 15-prozentigen Anteil an YPF an die | |
argentinische Ölfirma Petersen Energía SA. Petersen Energía ist Eigentum | |
der mit den Kirchners befreundeten Familie Eskenazi. Für den Kaufpreis von | |
gut 2,2 Milliarden Dollar musste die Petersen Energía jedoch keinen eigenen | |
Cent aufbringen. Gut eine Milliarde wurde durch einen Kredit bei mehreren | |
internationalen Banken abgedeckt. | |
Der andere Teil ist eine Anleihe bei Repsol selbst. Beide, Kredit und | |
Anleihe, sollen und werden durch die zukünftigen Dividenden der Aktien | |
zurückgezahlt. Irritierend, aber wahr, der spanische Multi bezahlt seinen | |
Teilverkauf noch heute mit seinen Gewinnen. Im Mai 2011 erwarb Petersen | |
Energía weitere 10 Prozent. | |
Warum der spanische Konzern in diesen ungewöhnlichen Deal einwilligte, ist | |
nicht bekannt. Möglicherweise wollte das Unternehmen dem vorbeugen, was ihm | |
in den letzten sechs Wochen widerfuhr. Eine Ölprovinz nach der anderen | |
entzog ihr wichtige Bohr- und Förderkonzessionen auf ihren Territorien. | |
## Drastische Reißleine | |
In Argentinien sind die Bodenschätze Eigentum der Provinzen, in denen sie | |
lagern. Die Konzessionen sind jedoch überwiegend im Besitz ausländischer | |
Förderfirmen. Für Repsol-YPF muss es ein lohnendes Geschäft sein. Nach | |
eigenen Angaben liegen die Produktionskosten bei rund 7 Dollar pro Fass Öl. | |
An die Raffinerien wird es für etwa 50 Dollar verkauft. | |
Dass die Regierung jetzt so drastisch die Reißleine zieht, hat noch andere | |
Ursachen. Argentinien hat sich mittlerweile in einen Nettoimporteur bei Gas | |
und Öl verwandelt. Mit einer Power-Point-Präsentation verdeutlichte die | |
Präsidentin ihren Landsleuten am Montag die Situation. Bunte Grafiken mit | |
fallenden Kurven flimmerten über die heimischen Bildschirme. | |
Der Saldo von Im- und Export machte 2011 ein Defizit von 3 Milliarden | |
Dollar aus. Für dieses Jahr werden die Importe auf einen Wert von 14 | |
Milliarden Dollar geschätzt. Ein immenser Devisenabfluss, für den die | |
Regierung in erster Linie die mangelnden Investitionen der Privatfirmen in | |
die Ausbeutung der Lagerstätten im eigenen Land verantwortlich macht, allen | |
voran Repsol. | |
Enteignet werden denn auch nur 51 Prozent des 57,5-Prozent-Aktien-Anteils | |
von Repsol-YPF. Die etwa 25 Prozent der Petersen Energía bleiben ebenso | |
unangetastet wie die auf dem Markt verteilten 17 Prozent. Der noch | |
verbliebene winzige Staatsanteil von einem halben Prozent macht die 100 | |
Prozent voll. | |
## 30 Tage für die Enteignung | |
Einmal in staatliches Eigentum übergegangen, wird das 51-prozentige | |
Aktienpaket von einer neuen Bundesbehörde verwaltet. 26,01 Prozent der | |
Anteile bleiben Eigentum des Nationalstaates, 24,99 Prozent werden an die | |
Erdöl produzierenden Provinzen des Landes verteilt. Einem erneuten Verkauf | |
der staatlichen Anteile muss zukünftig der Kongress mit einer | |
Zweidrittelmehrheit zustimmen. | |
Wie entschlossen die Regierung von Cristina Kirchner ist, bewies | |
Planungsminister Julio de Vido schon kurz nach der Rede der Präsidentin. | |
Mit einem frisch unterzeichneten Dekret betrat er die | |
Repsol-YPF-Führungsetage, ließ mehrere Direktoren ihren Rücktritt erklären | |
und übernahm als Revisor die Geschäftsführung für die kommenden 30 Tage. In | |
dieser Zeit muss die Enteignung der 51 Prozent der Aktien abgeschlossen | |
sein. Den Wert der Aktien soll die nationale Schätzungskommission | |
bestimmen. | |
## Ein Tag zum Feiern | |
Womit die Übernahme bezahlt werden soll, ließ die Präsidentin offen. | |
Möglicherweise mit Geldern aus dem Vermögen der Ende 2008 verstaatlichten | |
Rentenkassen oder aus den Reserven der Zentralbank. Der Kongress wird der | |
Übernahme mit Sicherheit zustimmen. Nicht nur, weil die Regierung in beiden | |
Kammern über die Mehrheit verfügt. Sondern auch, weil aus der verbliebenen | |
Opposition Beifall kommt. Selbst vom äußerst regierungskritischen Pino | |
Solanas kommt Zustimmung. „Heute ist nicht der Tag, das Kleingedruckte zu | |
lesen, heute ist ein Tag zum Feiern“, sagte der Parlamentsabgeordnete. | |
Für Repsol ist das Vorgehen der argentinischen Regierung illegal und | |
diskriminierend. Die spanische Regierung zeigte sich extrem verärgert. | |
Nachdem bereits vergangene Woche die Spekulationen ins Kraut schossen und | |
in der argentinische Medienlandschaft die staatliche Übernahme bereits nur | |
noch eine Frage von Stunden war, hatte sich die Regierung in Buenos Aires | |
wohl nach einem Anruf von EU-Präsident Manuel Barroso zunächst in Schweigen | |
gehüllt. | |
17 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Freie Wahl des Geschlechts in Argentinien: So, wie jede Person es fühlt | |
In Argentinien darf künftig jede und jeder selbst das eigene Geschlecht | |
bestimmen – ganz ohne Hormonbehandlung oder Chirurgie. Es ist ein weltweit | |
einmaliges Gesetz. | |
Frauen in Argentinien: Alarmknopf gegen Männergewalt | |
Argentinien liegt in Lateinamerika auf dem vierten Platz bei | |
geschlechtsspezifischer Gewalt. In der Stadt Tigre können Frauen in Not | |
jetzt per Knopfdruck Hilfe bekommen. | |
Bolivien verstaatlicht Stromfirma: Armee soll Kontrolle übernehmen | |
Präsident Morales verstaatlicht die spanische Stromfirma TDE. Der Ölmulti | |
Repsol soll nichts zu befürchten haben. Verstaatlichungen am 1. Mai haben | |
Tradition. | |
Kommentar Argentinien: Terminator Kirchner | |
Die Enteignung des Ölkonzerns Repsol könnte eine Schlammschlacht werden. | |
Noch ist nicht aufgeklärt, wer eigentlich von der Privatisierung profitiert | |
hat. | |
Nationalisierung in Argentinien: Spanier einig gegen Enteignung | |
Spanien und die EU kritisieren Kirchners Pläne für die Enteignung eines | |
spanischen Ölkonzerns. Da sind sie Oppositionen und Regierung in Madrid | |
sogar mal einig. | |
Proteste in Argentinien: Tränengas und Gummigeschosse | |
Umweltschützer im Nordwesten Argentiniens demonstrieren weiter gegen | |
Großbergwerke. Die Polizei räumt Straßenblockaden. Dabei werden 60 Menschen | |
verletzt. | |
Bergbau in Argentinien: Wasser ist mehr wert als Gold | |
Das argentinische Dorf Famatina wehrt sich gegen eine Mega-Mine. Es geht um | |
280 Tonnen Gold und Milliarden von Dollar. Die Bewohner haben Angst um | |
Umwelt und Gesundheit. | |
Neues Gesetz in Argentinien sorgt für Streit: Der Papierkrieg | |
Argentiniens Regierung will Aktien der einzigen Zeitungspapierfabrik des | |
Landes kaufen. Es geht um Geschäftsinteressen und Meinungsfreiheit. | |
Wirtschaftsaufschwung in Argentinien: IWF in Erklärungsnot | |
Vor zehn Jahren versank Argentinien in Schulden und Chaos. Heute steht | |
Südamerikas zweitgrößte Volkswirtschaft gut da – dank Bankrott, Abkehr vom | |
IWF und Schuldenschnitt. |