Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Frauen in Argentinien: Alarmknopf gegen Männergewalt
> Argentinien liegt in Lateinamerika auf dem vierten Platz bei
> geschlechtsspezifischer Gewalt. In der Stadt Tigre können Frauen in Not
> jetzt per Knopfdruck Hilfe bekommen.
Bild: „Hure“ beim Slutwalk gegen Gewalt gegen Frauen in Buenos Aires 2011.
BUENOS AIRES taz | „2011 ist in Argentinien alle 31 Stunden eine Frau
ermordet worden. Sechs von zehn getöteten Frauen wurden dabei von Männern
aus ihrem engsten Umfeld ermordet.“ Zwei Sätze aus einem Faltblatt der
Stadt Tigre. Doch die Kommune, knapp 30 Kilometer von der Hauptstadt Buenos
Aires entfernt, stellt sich nicht nur mit Broschüren dem Problem.
Als erste argentinische Stadt hat das 35.000 Einwohner zählende Tigre vor
wenigen Wochen einen Alarmknopf für von Gewalt bedrohte Frauen eingeführt.
„Für die Kommunalregierung von Tigre ist der Schutz von Frauen vor
geschlechtsspezifischer Gewalt eine Menschenrecht“, sagt Marta Gofin,
Leiterin der kommunalen Familiendirektion. Den Dama (Dispositivo de Alerta
para Mujeres Agredidas – „Alarmgeber für angegriffene Frauen“) tragen
bereits 20 Frauen mit sich. Der Apparat, der kleiner als ein Handy ist,
soll für mehr Sicherheit sorgen.
Dama nutzt das bereits existierende kommunale Notrufsystem, in das der
Alarmknopf Anfang März integriert wurde. Drückt die Frau den Knopf, wird
das Signal in der Notrufzentrale als geschlechtsspezifischer Notruf
registriert. Sofort wird festgestellt, wo sich die Frau befindet, ein
Einsatzfahrzeug wird losgeschickt und gleichzeitig die Polizei verständigt.
Einmal gedrückt, schaltet sich zudem ein Mikrofon ein, das der Zentrale das
Mithören und akustische Aufzeichnen ermöglicht, was um die Frau herum
geschieht. „Das weiß auch die Frau und kann sich mitteilen. Unter Umständen
kann ein Mittschnitt vor Gericht als Beweismittel verwendet werden“,
erläutert Gofin. Zwar ist der Panikknopf gratis und freiwillig zu haben,
doch nur jene Frauen können einen Anspruch anmelden, die zuvor eine Anzeige
gegen einen mutmaßlichen Aggressor wegen Gewalttätigkeit erstattet haben.
## Therapiepflicht für bedrohte Frauen
Zudem muss ein Gericht Sicherheitsmaßnahmen gegen den Aggressor angeordnet
haben, wie beispielsweise das Zutrittsverbot zur ehemals gemeinsamen
Wohnung oder ein Annäherungsverbot. Darüber hinaus verpflichten sich die
Frauen, an Gruppen- oder Einzeltherapien teilzunehmen. „Die Frauen sollen
einen Weg aus ihrer bedrohten Situation finden und einmal in der Lage sein,
den Apparat zurückgeben zu können“, erläutert Gofin.
Offizielle Statistiken über geschlechtsspezifische Gewalt in Argentinien
gibt es nicht. „In Lateinamerika liegen wir hinter Mexiko, Guatemala und
Costa Rica an vierter Stelle“, sagt Fabiana Tuñez, Leiterin des Casa del
Encuentro (Haus der Begegnung) in der Hauptstadt Buenos Aires. Es ist eine
private Anlaufstelle für betroffene Frauen.
Seit 2008 führt es eine eigene Statistik und wertet dafür landesweit die
Nachrichten aus rund 120 Medien aus. Lag die Zahl der Morde an Frauen und
Mädchen im Jahr 2008 noch bei 208, stieg sie 2011 auf 282. Das hat auch die
Politik alarmiert. „Nicht zuletzt wegen unserer Statistik wird gegenwärtig
das Strafgesetzbuch geändert“, sagt Fabiana Tuñez.
## Tatbestand Femizid soll ins Strafgesetzbuch
Dem Kongress liegt eine Gesetzesänderung zur Abstimmung vor, die den
Tatbestand des Femizid in das Strafgesetzbuch aufnimmt. Zukünftig soll
jeder mit lebenslanger Haft bestraft werden, der aus
„geschlechtsspezifischem Hass“ mordet. Der „Tötung aus Leidenschaft“, …
der in Argentinien viele männliche Täter milde männliche Richter finden,
wird damit ein Riegel vorgeschoben. Während das Abgeordnetenhaus bereits
ohne Gegenstimme für die Gesetzesverschärfung votierte, steht die
Abstimmung im Senat noch aus. Doch niemand zweifelt an parteiübergreifender
Zustimmung.
In Tigre stehen derweil 19 Frauen kurz vor dem Empfang ihres Alarmknopfes.
„Wir sind noch in der Anfangsphase“, sagt Gofin. Ein qualitativer Erfolg
sei aber bereits messbar. „Die Frauen fühlen sich viel sicherer“, sagt sie.
„Und wenn die Frauen zukünftig den Knopf drücken, werden wir wissen, was
wir verhindern konnten.“
8 May 2012
## AUTOREN
Jürgen Vogt
## TAGS
Schwerpunkt Femizide
## ARTIKEL ZUM THEMA
Urteil in Argentinien: Lebenslang für Mord an trans Frau
Die argentinische Transgender-Aktivistin Diana Sacayán wurde im Oktober
2015 brutal ermordet. Der Täter wurde jetzt verurteilt.
Freie Wahl des Geschlechts in Argentinien: So, wie jede Person es fühlt
In Argentinien darf künftig jede und jeder selbst das eigene Geschlecht
bestimmen – ganz ohne Hormonbehandlung oder Chirurgie. Es ist ein weltweit
einmaliges Gesetz.
Nationalisierung in Argentinien: Spanier einig gegen Enteignung
Spanien und die EU kritisieren Kirchners Pläne für die Enteignung eines
spanischen Ölkonzerns. Da sind sie Oppositionen und Regierung in Madrid
sogar mal einig.
Nationalisierung in Argentinien: Kohlenstoffliche Souveränität
Die argentinische Regierung will den spanischen Ölkonzern Repsol
teilenteignen. Das ist nicht zuletzt ein nationales Statement.
Nord-Süd-Kluft beim Amerika-Gipfel: Kuba und Drogen verhindern Einigkeit
Mit weniger Staatschefs denn je und ohne Abschlusserklärung ist in
Kolumbien der 6. Kontinentalgipfel zu Ende gegangen. Es könnte der letzte
seiner Art gewesen sein.
Urteil in Argentinien: Abtreibung nach Vergewaltigung legal
Nach einer Vergewaltigung dürfen Frauen in Argentinien jetzt legal
abtreiben. Bisher musste in jedem einzelnen Fall darüber entschieden
werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.