# taz.de -- Wirtschaftsaufschwung in Argentinien: IWF in Erklärungsnot | |
> Vor zehn Jahren versank Argentinien in Schulden und Chaos. Heute steht | |
> Südamerikas zweitgrößte Volkswirtschaft gut da – dank Bankrott, Abkehr | |
> vom IWF und Schuldenschnitt. | |
Bild: Massenproteste waren an der Tagesordnung: Großdemo in Buenos Aires vor z… | |
BUENOS AIRES taz | Zahlungsunfähig, Staatsbankrott, Abwertung – diese | |
Vokabeln gehören in Argentinien zum Alltagswortschatz. Dabei steht das Land | |
heute ganz gut da: Die Staatsschulden machen 46 Prozent des | |
Bruttoinlandsprodukts, also der Wirtschaftsleistung eines Jahres, aus. | |
Damit sieht sich die Präsidentin Cristina Kirchner als Herrin der Lage. | |
Ende 2001 betrugen die Staatsschulden noch 153 Milliarden US-Dollar, 151 | |
Prozent des BIP, das Staatsdefizit lag in Milliardenhöhe. Massenproteste | |
und Plünderungen waren an der Tagesordnung, Präsident Fernando de la Rúa | |
wurde aus dem Amt gejagt. | |
Die Wirtschaft schrumpfte um 11 Prozent. Das Bauwesen brach um über 40 | |
Prozent ein, den Handel und die Banken traf es mit 25 Prozent. Rund die | |
Hälfte der 40 Millionen Argentinierinnen fand sich bald unter der | |
Armutsgrenze wieder. Es entwickelte sich eine parallele bargeldlose | |
Tauschwirtschaft. | |
## Abkopplung vom Dollar | |
Im Januar 2002 erklärte der neu eingesetzte Präsident Eduardo Duhalde das | |
Land für zahlungsunfähig, stellte den Schuldendienst ein und koppelte den | |
Peso vom Dollar ab. Binnen weniger Wochen verlor der Peso rund 70 Prozent | |
seines Wertes. | |
Weil die Aufhebung des festen Wechselkurses allein keine Lösung war, sprach | |
Wirtschaftsminister Roberto Lavagna beim Internationalen Währungsfonds | |
(IWF) vor, dessen Musterschüler Argentinien bis dato war – und erklärte, | |
künftig kein Geld mehr aus Washington zu wollen. | |
Der Fonds schütze ohnehin nur die Interessen des Finanzsektors. Mit | |
Steuererhöhungen und Einsparungen bei Löhnen und Renten soll ein | |
Haushaltsüberschuss erzielt werden, mit dem man die Gläubiger auszahlen | |
kann. Lavagna: "Ich musste es dreimal wiederholen. Der damalige IWF-Chef | |
Horst Köhler konnte nicht begreifen, dass wir keine weiteren Mittel | |
abfragen werden." | |
Die Regierung kurbelte Produktion und Arbeit mit Konjunkturpaketen an und | |
dämmte die Inflation ein. Die daraus stammenden neuen Steuereinnahmen und | |
sinkende Ausgaben für soziale Notprogramme entspannten den Haushalt. In | |
Rekordzeit erzielte Argentinien einen Überschuss. | |
Der Erfolg brachte den IWF in Erklärungsnot. Bis heute schreibt er ihn den | |
steigenden Rohstoffpreisen vor allem für Soja zu, zu dessen größten | |
Exporteuren Argentinien gehört. Lavagna hält dagegen, dass die Preise erst | |
2007 hochschossen und der wichtigste Handelspartner Brasilien bis Ende 2003 | |
in einer Rezession steckte. | |
## 75 Prozent Verlust | |
Als die Staatsschulden 2004 mit über 190 Milliarden Dollar ihren Höhepunkt | |
erreichten, war das BIP so gewachsen, dass ihr Anteil daran nur noch 125 | |
Prozent betrug. Im Jahr 2005 verlangte Staatspräsident Néstor Kirchner | |
einen Schuldenschnitt von den privaten Gläubigern: Wer nicht in einen | |
Verlust von 75 Prozent seiner Forderungen einwilligte, bekam bis heute | |
keinen Cent. Die Staatsverschuldung sank auf knapp 129 Milliarden Dollar. | |
Der eigene Weg hat seinen Preis. Argentinien ist seit dem Bankrott auf dem | |
internationalen Kapitalmarkt geächtet. Grund sind noch immer offene | |
Verbindlichkeiten von 7 Milliarden Dollar beim Pariser Club, dazu kommt die | |
Lobbyarbeit derer, die die Umschuldungsbedingungen nicht akzeptierten. | |
Trotzdem: 2011 notierte nur noch die Hälfte der Schuldentitel in Dollar, 12 | |
Prozent in Euro. 38 Prozent sind in Peso ausgestellt. Bei knapp der Hälfte | |
der Verbindlichkeiten ist der Staat zugleich Schuldner und Gläubiger. | |
6 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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