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# taz.de -- Urheberstreit um Kleist-Ausgaben: Hast du meinen Krug zerbrochen?
> Ein Editionsstreit um einen Klassiker: Der „Der zerbrochne Krug“ von
> Heinrich von Kleist sorgt für Aufruhr bei den Verlagen Stroemfeld und
> Reclam.
Bild: Führt zum Streit zwischen den Verlagen Stroemfeld und Reclam: Kleists Ha…
Dass die Beweisführung gerade in diesem Fall ins Straucheln gerät, entbehrt
nicht einer gewissen Ironie. Zu Gericht gesessen wird über die Edition
eines Stücks, welches seinerseits ein aus der Sicht des Richters alles
andere als reibungslos verlaufendes Verfahren zum Thema hat: des Lustspiels
„Der zerbrochne Krug“ von Heinrich von Kleist.
„Editionsplagiat bei Reclam“ lautet der – mit Fragezeichen versehene –
Vorwurf, den der Münchner Arbeitsrechtler Volker Rieble in der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung vom 29. März gegen den Hamburger Germanisten Bernd
Hamacher erhebt und der im Feuilleton der NZZ vom 7. April aufgegriffen
wird, verquickt mit einer am selben Tag erschienenen Meldung, Reuß und der
Stroemfeld-Verlag hätten Strafanzeige gegen im Internet kursierende
Raubkopien ihrer Kafka-Edition gestellt.
„Versuchter Rufmord“ – ebenfalls mit Fragezeichen –, vermuten dagegen d…
Innsbrucker Germanistikprofessor und Kleist-Forscher Klaus Müller-Salget
sowie Friedrich Forssman, Typograf beim Reclam-Verlag, in einem bislang
unveröffentlichten Gegenartikel. Auch von dem Münchner Philologen Michael
Ott liegt eine Argumentation gegen den Plagiatsvorwurf vor.
Der Fall: Bernd Hamacher hat für den Reclam-Verlag eine 2011 erschienene
Studienausgabe des „Zerbrochnen Krugs“ erarbeitet, die neben dem Erstdruck
von 1811 auch Fragmente aus dem Lustspiel von 1808 enthält sowie eine
Transkription der Kleist’schen Handschrift. Hamacher, so der Vorwurf, habe
eine gegenüber der Transkription der von Roland Reuß und Peter Staengle
herausgegebenen Brandenburger Kleist-Ausgabe (BKA) aus dem
Stroemfeld-Verlag „nur unselbständige Bearbeitung der BKA“ geleistet, die
lediglich „zu unwesentlichen Modifikationen in der typographischen
Darstellung führte“. Der vermeintliche Beweis folgt auf dem Fuße: „Das
zeigen die Bildzitate.“
Es geht um eine vermeintliche Verletzung des Urheberrechts. Das von Kleist
ist längst abgelaufen. Die Schutzfrist für wissenschaftliche Ausgaben
jedoch, die, so heißt es in Paragraf 70, aus dem auch Rieble zitiert, „das
Ergebnis wissenschaftlich sichtender Tätigkeit darstellen und sich
wesentlich von den bisher bekannten Ausgaben […] unterscheiden“, beträgt 25
Jahre. Eine solche selbständige wissenschaftlich sichtende Tätigkeit
spricht Rieble den Herausgebern der BKA zu – die Edition wäre demnach noch
bis 2020 geschützt –, Hamacher aber ab. Der habe, so Rieble in scharfem
Ton, gegen geltendes Recht verstoßen, ebenso der Reclam-Verlag: „um durch
Ausbeutung fremder Leistung möglichst preisgünstig wirtschaftliche Erfolge
zu erzielen“.
Der Versuch, den Plagiatsvorwurf nachzuvollziehen, beginnt zunächst mit
einer Irritation. Dass sich zwei Texte gleichen, gilt gemeinhin als Indiz
für ein Plagiat. Aber liegt der Fall hier nicht grundlegend anders?
Drei Herausgeber edieren ein und denselben Text für zwei verschiedene
Ausgaben. Wäre es nicht gerade bei einem so häufig edierten Text wie den
Handschriften des „Zerbrochnen Krugs“ (die erste Edition von Theophil
Zolling stammt aus dem Jahr 1886) höchst erstaunlich, wenn die beiden
Ausgaben in Hinblick auf den Textbestand wesentlich voneinander abweichen
würden? Käme nicht – und auf diese naheliegende Frage geht Rieble gar nicht
ein – so ein Vergleich nur dann zu einer relevanten Aussage, wenn man auch
das dritte Dokument hinzuziehen würde, das Original? Angenommen, dem
Ersteditor wäre ein grober Fehler unterlaufen, den der zweite – unwissend,
weil bloß abschreibend – wiederholt hätte, im Original stünde aber etwas
ausdrücklich anderes. Das wäre zumindest ein handfestes Indiz.
## Sehr wohl Abweichungen
So eines findet sich unter den von Rieble angeführten Bildzitaten nicht.
Sie beweisen, anders als behauptet, ebenso wenig, dass sich die beiden
Editionen gleichen; es geht, im Gegenteil, sogar aus ihnen hervor, dass
Hamachers Text sehr wohl Abweichungen zu dem in der BKA aufweist. Sie sind
nicht die Welt, Hamacher selbst schreibt im Anhang seiner Ausgabe von
„wenigen, die Textbedeutung nicht berührenden Fällen“. Doch gerade in den
in der FAZ abgebildeten Stellen sind gleich mehrere ersichtlich: Wo die BKA
„warm“ schreibt, steht bei Hamacher „warum“, was dort als „aufgeführ…
erscheint, heißt bei Hamacher „aufgeführet“.
Am besten nachvollziehen lässt sich die Schwierigkeit einer eindeutigen
Entzifferung in Eves Äußerung „Ja, hier der Krug nur“ – so liest es die
BKA, während Hamacher für „Ja, hier den Krug nur“ plädiert (siehe
Abbildungen). Ein Blick auf das Faksimile der Handschrift von Paul Hoffmann
aus dem Jahr 1941, das Hamacher als Arbeitsgrundlage diente, während die
BKA aus der Entzifferung der Originalhandschriften erarbeitet worden ist,
zeigt, dass beide Lesarten plausibel sind.
„Substanziell“, so der Germanist Michael Ott, seien indes die Unterschiede
in den Transkriptionen. Hamacher bildet die verschiedenen Textschichten der
Handschriften, die sich durch die Änderungen Kleists am geschriebenen Text
ergeben, synchron ab und legt so einen gut lesbaren Text vor, der in als
durchgestrichen markierten Passagen unterschiedlicher Schriftstärke auch
die von Kleist gestrichenen und korrigierten Passagen der Handschrift
darstellt.
Die Edition der BKA ist ungleich komplexer. Die aufwändige Transkription
stellt die verschiedenen Schichten der Handschriften differenziert dar, sie
ordnet Textpassagen unterschiedlichen Bearbeitungsständen zu und bildet
alle Zeichen der Handschrift gemäß ihrem Ort auf der Manuskriptseite
topografisch ab. Hierin besteht ihre einzigartige und anerkannt große
Leistung, auf die der Kleist-Forscher Hans Zeller in seiner einschlägigen
Fachrezension abhebt, auf die wiederum Rieble sich beruft: „Die wichtigste
wissenschaftliche Leistung der vorliegenden Edition ist die typographische
Wiedergabe der Handschrift.“
Gerade die wiederholt Hamacher nicht. Zum einen, weil seine Studienausgabe
einen anderen Zweck verfolgt. Die „mimetische Umschrift der Handschrift“
durch die BKA etabliere, so Reclam-Geschäftsführer Frank Rainer Max,
„keinen Editierten Text“ und sei dadurch „letztlich auch nicht
zitierfähig“. Ein Ziel der Studienausgabe aber sei, so sieht es auch
Hamacher, die größtmögliche Lesbarkeit.
## Gewinn für die Forschung
Zum anderen vertritt Hamacher gerade in der Frage der Analyse der
Kleist’schen Textschichten, die Rieble als zentrale Leistung der BKA
hervorhebt, eine grundsätzlich andere Auffassung. Die These, es gebe drei
jeweils für sich durch das gesamte Manuskript hindurch identifizier- und
datierbare Schichten, halte er für nicht verifizierbar, sondern „für eine
idealtypische Abstraktion“. Die Studienausgabe zeige demnach nur die
Reihenfolge der Kleist’schen Änderungen an den betreffenden Stellen an,
nicht aber deren Zugehörigkeit zu einer bestimmten Textschicht. Hamachers
Verständnis und seine Deutung führe, so Frank Rainer Max, wie man in der
2010 erschienenen Lizenzausgabe aus dem Hanser Verlag sehen könne, „zu
einem ganz anderen Edierten Text. Uns hat Hamachers Interpretation der
Überlieferung des Stückes mehr eingeleuchtet als die von Roland Reuß.“
Die Sachlage ist kompliziert. Es gibt noch eine Vielzahl anderer Argumente,
die bedenkenswert sind, etwa die Frage der Typografie oder der Umstand,
dass die Unterscheidbarkeit verschiedener Stufen nicht von der BKA erfunden
wurde, sondern, folgt man Ott, in der Kleist-Forschung seit Jahrzehnten
diskutiert werde. Ohne Zweifel bedeutet die von Reuß und Staengle
vorgelegte editorische Arbeit einen immensen Gewinn für jeden nachfolgenden
Kleist-Wissenschaftler. Aber was folgt daraus? Dass niemand danach mehr
eine eigene Edition der Handschriften erarbeiten darf, weil sich nicht
zweifelsfrei nachweisen lässt, ob jemand von Kleist abgeschrieben und mit
der BKA verglichen hat oder umgekehrt? Dann würde eine Edition eine
Monopolstellung erhalten.
Riebles Vorwurf, den er allem Anschein nach in Abstimmung mit dem Versuch
eines juristischen Vorgehens von Roland Reuß gegen den Reclam-Verlag
formuliert, trifft in seiner harschen Polemik auch die berufliche Existenz
von Bernd Hamacher empfindlich. Vom „respektlosen Versuch eines
Privatdozenten“ ist die Rede, der „eine fremde Vorlage abkupfert und dann
recht unverfroren eine eigene editorische Leistung behauptet“. Der sich als
„Plagiatsjäger“ inszenierende Rieble hätte sich im schlimmsten Fall eine
weitere Trophäe an die Wand gehängt, während auf der anderen Seite der
möglicherweise zu Unrecht beschädigte Ruf eines Wissenschaftler steht, dem
gerade der Ruf ein kostbares Gut ist.
19 Apr 2012
## AUTOREN
Lavinia Meier-Ewert
## TAGS
Buch
Theater
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