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# taz.de -- Buch „Der verbrannte Koffer“: Das tote Mannequin
> Eine Mordakte und ein Gepäckstück führten Eva Züchner auf die Spur der
> jüdischen Kaufmannsfamilie Caro. In ihrem Buch „Der verbrannte Koffer“
> rekonstruiert sie deren Leben.
Bild: Der Jüdische Friedhof in Weißensee.
Auf dem jüdischen Friedhof Heerstraße in Berlin steht ein jüngst
restaurierter Gedenkstein für den im KZ umgekommenen Walter Caro. Dieser
Mann wäre vermutlich auf immer vergessen, wäre die Historikerin und
Literaturwissenschaftlerin Eva Züchner nicht zufällig auf seine Geschichte
gestoßen.
Alles begann mit dem Mord am Mannequin Tilly Albrecht im Herbst 1938 –
verbrannt in ihrer Wohnung nahe dem Kurfürstendamm. Der ermittelnde
Kriminalkommissar Theo Saevecke stellte damals fest, das Glamourgirl habe
einen Koffer hinterlassen: „Der Koffer wurde zwischen dem Brandschutt auf
der Straße gefunden. Unversehrt war nur der Boden mit den Scharnieren. Der
Inhalt des Koffers ist unbekannt.“
Die Berliner Literaturwissenschaftlerin und Kuratorin Eva Züchner hat das
verkohlte Gepäckstück zum Titel ihres Buches gemacht, weil es für sie die
„Chiffre für eine unheilvolle Assoziationskette“ ist. Hätte es die
„Mordakte Albrecht“ nicht gegeben, hätte die Autorin nie von Walter Caro
erfahren. Der Berliner hatte nämlich mit dem Mannequin eine Liebesbeziehung
und galt als Hauptverdächtiger, bis schließlich der eigentlich Täter
gefunden war.
Züchner begann in den Archiven akribisch über Caro zu recherchieren und
entwickelte aus diesen Forschungen einen roten Faden, anhand dessen sie –
sprachlich gewandt und dramaturgisch fesselnd – vom Schicksal einer
jüdischen Familie in Berlin während des Nationalsozialismus erzählt.
## Erster Schatten
Walter Caro entstammte einer alteingesessenen Kaufmannsfamilie aus der
Jüdischen Gemeinde in Prenzlauer Berg. Er war stellvertretender
Geschäftsführer der Damenkonfektionsfirma Siegfried Heumann mit einem
damals prächtigen Monatsgehalt von 1.500 Reichsmark. Auch seine Brüder Kurt
und Werner arbeiteten erfolgreich in der Textilbranche. Als er wegen seiner
Beziehung zur nichtjüdischen Tilly A. der „Rassenschande“ bezichtigt wurde,
fiel ein erster Schatten auf Caros Leben.
Züchner zeigt eindringlich, wie die Nazis nun seine und die Existenz seiner
Nächsten von Gesetzgebung zu Gesetzgebung schrittweise zerstörten. Die
Kampagne zur „Entjudung der Konfektionsbranche“ führte zur Arisierung
seines Betriebs und seiner baldigen Entlassung. Ab 1940 mussten Walter und
seine Brüder unter Zwang schwer arbeiten.
Ein Jahr später kam die „Kennzeichnung der Juden“: „Der ’Judenstern‘
signalisiert den Anfang vom Ende“, so die Autorin. 1942 begrub Rabbi
Riesenburger auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee „achthundertelf Menschen
[…], die den ’Freitod‘ einer drohenden Deportation vorgezogen haben.“
Walter und Werner tauchten als „U-Boote“ in den Berliner Untergrund ab.
Walter verschob dort falsche Papiere, die er unter anderem an die
Widerstandsgruppe Europäische Union, der auch der Chemiker Robert Havemann
angehörte, verkaufte. Dann denunzierte ihn ein Unbekannter. Es folgten
monatelange Verhöre und Folter, schließlich Auschwitz. Walter Caro starb
1944 im Alter von 44 Jahren. Seine Brüder Werner und Kurt sowie deren
Frauen überlebten die Judenvernichtung, kämpften jedoch noch bis in die
1960er Jahre um eine dürftige Entschädigung für all das, was ihnen angetan
worden war.
## Verhöre und Folter
Kommissar Saevecke, seinerzeit Leiter der Untersuchungen zum
Tilly-Albrecht-Fall, hatte während des Krieges in Polen, Libyen, Tunesien
und Italien Deportationen organisiert und gemordet. Nach 1945 arbeitete
„der Henker von Mailand“ für die CIA und das BKA. Um ihn vor der
italienischen Strafverfolgung zu schützen, ernannte das BKA ihn zum
Sicherheitschef des Bonner Regierungsbunkers, wo er, fern der
Öffentlichkeit, bis zur Pensionierung arbeitete. Der Gestapo-Mann sei
unbehelligt mit 89 Jahren gestorben, so Züchner.
Im Zusammenhang mit den Caros verfolgt sie auch den Werdegang anderer
Kriegsverbrecher und einiger jüdischer Täter: Die Spitzel des „jüdischen
Fahndungsdienstes“, „Greifer“ genannt, waren durch Erpressung oder
Versprechungen von den Nazis zur Mitarbeit getrieben worden, um die circa
4.000 im Berliner Untergrund abgetauchten Zwangsarbeiter zu fassen.
Vor zwei Jahren hat die 1942 in Berlin geborene Eva Züchner in „Der
verschwundene Journalist“ ihren eigenen schmerzhaften Prozess beschrieben:
Sie musste begreifen, dass ihr Vater, den sie gar nicht kannte und folglich
umso mehr idealisierte, das NS-System enthusiastisch mitgestaltet hatte. In
ihrem neuen Buch wendet sie sich nun den Opfern zu und berichtet – ohne
Pathos packend erzählt – von einer jüdischen Familie, die einst aktiver
Bestandteil der deutschen Gesellschaft gewesen war.
Sie wiederbelebt dabei auch die Geschichte Berlins, denn sie nennt die
Orte, an denen die Opfer gelebt und gelitten haben.
Wer heute durch Berlin-Wilmersdorf oder die Große Hamburger Straße in
Berlin-Mitte geht, wird nach der Lektüre ihres Buchs so manche Straße mit
anderen Augen sehen und sich an die Familie Caro erinnern.
Eva Züchner: „Der verbrannte Koffer. Eine jüdische Familie in Berlin“.
Berlin Verlag, Berlin 2012, 288 Seiten, 18,90 Euro
16 Apr 2012
## AUTOREN
Alexandra Senfft
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