| # taz.de -- Debatte Urheberrecht: Keine Angst vor dem Shitstorm | |
| > Die Rechte von Urhebern, Künstlern und Kreativen müssen geschützt werden. | |
| > Die gesamte Urheberrechtsdebatte leidet unter gefährlichem Halbwissen und | |
| > Unkenntnis. | |
| Bild: Im Internet billig zu erwerben: Kunst oder auch die Kopie. | |
| Die manipulative Kraft der Sprache beherrscht unsere Debatten, im Subtext | |
| geht es um die Existenzberechtigung des Urheberrechts. Sein oder Nichtsein | |
| geistigen Eigentums – diese Infragestellung überschattet ernsthafte | |
| Überlegungen zu kleinteiligen, notwendigen Urheberrechtsreformen. | |
| Stereotype Verbalangriffe aufs Urheberrecht werden im Internet durch die | |
| teilweise anonyme Masse verbreitet. Aber Behauptungen gelangen auch durch | |
| beständiges Wiederholen nicht zu Wahrhaftigkeit. | |
| Eine der Thesen lautet, durch die „Exklusivität der Nutzungsrechte“ würde | |
| die Teilhabe an Informationen behindert. Exklusiver Schutz künstlerischer | |
| Inhalte ist eine Ausnahme, nicht die Regel – im Unterschied zu materiellen | |
| Gütern: Jedes analoge Geschäft verwaltet exklusive Nutzungsrechte auf sein | |
| Warenangebot. Und wer dem analogen Laden exklusive Nutzungsrechte an einem | |
| Gegenstand entziehen möchte, muss dafür bezahlen. Diese Parallele kommt | |
| schlecht an bei jenen, die materielle Güter nicht mit geistigen Schöpfungen | |
| gleichgesetzt sehen möchten. Die Initialzündung aller menschlichen | |
| Erfindungen – vom Küchenstuhl bis zur Oper – ist die kreative Idee. | |
| Eine Idee allein begründet kein Schutzrecht, notwendige Voraussetzung ist | |
| deren Verkörperung. Ab einer bestimmten Schöpfungshöhe wird die | |
| Verkörperung künstlerischer Ideen urheberrechtlich relevant. Nur weil man | |
| einen Song nicht essen und nicht materiell „ge-brauchen“ kann, ist er | |
| trotzdem nicht umsonst zu haben! Und warum sollten Erben von Urhebern nicht | |
| von Tantiemen profitieren, den Erben eines Hauses wiederum Mieteinnahmen | |
| zustehen?! | |
| Reflexartig wird auf derartige Einwände, inspiriert auch durch den Fall | |
| „Axolotl Roadkill“, geistiges „Eigentum“ an sich in Frage gestellt. Den… | |
| so wird argumentiert, was ist schon Kunst, wenn – Mozart über van Gogh bis | |
| hin zu den „Prosumern“ belegen es schließlich – die künstlerische Idee … | |
| einer bereits bestehenden aufbaut. Künstlerische Originalität ist | |
| ausschlaggebend für die im Urheberrecht vorgesehene Schöpfungshöhe, das | |
| Zitatrecht steht dieser nicht entgegen. Und überhaupt: Warum muss ich dann | |
| für den neuen Kühlschrank bezahlen, wo der doch in seiner Funktions-Idee | |
| auf dem alten aufbaut?! Ach so – da geht’s um die Produktions-und | |
| Materialkosten, auch der Firmenname kostet? | |
| Damit gebe ich mich nicht zufrieden: Die Verkörperung meiner musikalischen | |
| Ideen ist finanziell aufwendig. Der teuerste Gegenstand in meiner Wohnung | |
| ist ein Flügel, ohne jahrelangen Klavierunterricht wären meine | |
| pianistischen Fähigkeiten nicht vorhanden, laufende Kosten betreffen Noten, | |
| und um eine annähernd gute Klangqualität meines Klavierspiels als | |
| „immateriellen File“ zu sichern, müsste ich einiges investieren – | |
| angefangen bei der Arbeit des Tonmeisters. | |
| Die selbsterklärten Hüter der digitalen Welt wenden ein, das Internet sei | |
| doch gerade für die Produktions- und Vertriebswege eine Errungenschaft, und | |
| meinen, darin große Chancen für die Urheber zu sehen, nach dem Motto: „In | |
| Zukunft ist da kein Produzent mehr, der euer Geld abgrast, kein Verwerter, | |
| der sich maßlos auf eure Kosten bereichert.“ Ganz so einfach ist die | |
| Gemengelage nicht. | |
| ## Die bösen Verwerter | |
| Das Internet kann keinen Verleger und Investor, keinen Tonmeister und | |
| Produzenten ersetzen. Es hat keinen Intellekt, keine Fantasie, keinen | |
| künstlerischen Instinkt, keine Managementqualitäten. Das Internet ist ein | |
| Medium und kein Partner für Urheberinnen und Interpretinnen. Die Form der | |
| Vermittlung erschafft keine Inhalte und ersetzt nicht deren Vertrieb und | |
| Vermarktung. Dass große Internetkonzerne irgendwann die Rolle der Verleger | |
| und des Vertriebs übernehmen könnten, evoziert eine traurige Vision | |
| monopolisierten Mainstream-Angebots. | |
| Schuld an der momentanen Situation sind in den Augen vieler Netzaktivisten | |
| die mittlerweile einheitlich zum Dämon erklärten „Verwerter“, die zwar | |
| nichts zeitgemäß Netzaffines zustande bringen, aber immerhin Sven Regener | |
| und andere Urheber in ihrem Sinne zu instrumentalisieren scheinen. | |
| Auffallend inflationär wird in letzter Zeit ein Vorwurf erhoben, der alle | |
| Kontroversen im Keim erstickt: der Vorwurf des „Verwerterlobbyismus“ – ei… | |
| sichere Methode, Leute mundtot zu machen und unbequeme Meinungen nicht | |
| gelten zu lassen. | |
| Die gesamte Urheberrechtsdebatte leidet unter gefährlichem Halbwissen und | |
| Unkenntnis. Wer Acta als hauptsächlich von Verwertern ausgehandeltes | |
| Übereinkommen kritisiert, darf nicht zulassen, dass sich überwiegend | |
| „Kultur-Konsumenten“ weitreichende Entscheidungen anmaßen über das | |
| Schicksal des Urheberrechts, während die Protagonisten – die Schöpfer der | |
| Inhalte – Angst haben müssen, ihre Fans zu verlieren, wenn sie auf den | |
| Diskurs öffentlich Einfluss nehmen. Im Unterschied zu einigen, die Inhalte | |
| konsumieren, wissen Urheber und Interpreten, wie künstlerische Werke | |
| entstehen. Durch ihre schöpferische Arbeit nämlich und durch Kooperationen. | |
| „Die“ Verwerterindustrie gibt es nicht. Kleine unabhängige Labels stehen im | |
| Schatten der großen Verwerter. Es ist wie überall unter suboptimalen | |
| Rahmenbedingungen: Kleine Betriebe sterben zuerst und machen Platz für | |
| Monopole. | |
| ## Die Angst Shakespeares | |
| Populismus und demagogische Panikmache wie beim Anonymous-Video zu Acta | |
| gefährden die differenzierte Auseinandersetzung: Eine im Internet | |
| generierte Masse auf der Seite „kriminalisierter“ Nutzer wird ausgespielt | |
| gegen die „von Lobbyisten geförderten“ Urheber. Diese Entwicklung beruht | |
| nicht nur auf medialer Erhöhung, sondern auf Missständen. Eine der Ursachen | |
| ist das von einigen praktizierte Abmahnunwesen als parasitäres | |
| Geschäftsmodell, das nicht nur das Urheberrecht, sondern auch den | |
| Berufsstand von Anwälten nachhaltig beschädigt. Jenes Abmahnunwesen durch | |
| radikale Schutzfristverkürzungen aus der Welt zu schaffen, wäre jedoch wie | |
| ein Napalm-Einsatz auf unsere kulturelle Landschaft. | |
| Auch die Idee einer Entkopplung von Persönlichkeitsrechten und ökonomischen | |
| Rechten im Urheberrecht hinkt: Das persönliche Recht am geistigen Eigentum | |
| ist ein Menschenrecht und in internationalen Verträgen verankert – das | |
| Recht auf angemessene Vergütung ist untrennbar verbunden mit dem Recht vor | |
| Entstellung und Missbrauch geistigen Eigentums. Ökonomische und | |
| persönlichkeitsrechtliche Ansprüche sind gleichberechtigt durch Artikel 27 | |
| der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen | |
| begründet. Bertolt Brecht, der in den 30er Jahren selbst einen Filmprozess | |
| verloren hat, kam zu dem Schluss: „Wo die wirtschaftliche Macht ist, | |
| verliert der Urheber.“ | |
| Diese Erkenntnis ist heute noch aktuell. Nicht nur illegales Filesharing | |
| oder „Raubkopien“ – ein Unwort der „Urheberrechtsseite“ – tragen zur | |
| prekären Situation von Künstlern und Musikern bei, sondern auch unfaire | |
| Verträge. Urheber benötigen eine bessere Verhandlungsposition, das | |
| Urhebervertragsrecht muss dringend reformiert werden. Auch Kreative, die im | |
| Bereich Mash-up durch Zusammenschnitte bestehender Werke Neues erschaffen | |
| wollen, sollen diese Möglichkeit weitgehend unkompliziert erhalten – soweit | |
| der Urheber damit einverstanden ist. Entsprechende rechtliche | |
| Weichenstellungen sind zwar aufwendig für die Politik, jedoch bedeutend | |
| langweiliger, als eine kulturelle Revolution im Zeitalter des digitalen | |
| Wandels auszurufen. | |
| Die digitalen Herausforderungen sind zu komplex für radikale Lösungen. Den | |
| Existenzängsten vieler Urheber von Piratenseite damit zu begegnen, auch | |
| William Shakespeare hätte Angst vor dem Buchdruck gehabt, spricht nicht | |
| gegen, sondern für das Urheberrecht. Es entstand als eine der Reaktionen | |
| auf die neuen Vervielfältigungsmöglichkeiten des Buchdrucks. Damals wurde | |
| erkannt, dass größere Verbreitungswege mit neuen Anreizen für die geistigen | |
| Schöpfer verbunden sein müssen. | |
| Die gleichen Konsequenzen sind auch heute dringend notwendig: Musiker, | |
| Autoren und Künstler sind in den meisten Fällen die Schwächsten in der | |
| Verwertungskette der Kreativwirtschaft. Ihre Rechte müssen gestärkt werden. | |
| Die Lösung liegt nicht im unflätigen Gegeneinanderausspielen von | |
| Interessen, sondern in der Erkenntnis, dass diese sich nicht zwingend | |
| widersprechen. Die schweigende Mehrheit darf die Deutungshoheit beim | |
| Urheberrecht nicht dem Shitstorm überlassen. Liebe Urheber, Künstler und | |
| Kreative, wehrt euch gegen politische und gesellschaftliche Kräfte, die | |
| euch ausbeuten und eure Rechte kapern wollen! Seid laut und mutig, mischt | |
| euch ein! Nur wer laut ist, wird nicht übergangen. | |
| 13 Apr 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Agnes Krumwiede | |
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