# taz.de -- Debatte politische Linke: Das machen wir doch mit links! | |
> Die politische Linke ist zersplittert: Vier Parteien teilen sich die | |
> Stimmen der progressiven Wähler. Der Vorschlag zur Güte: Progressive | |
> aller Parteien, einigt euch! | |
Bild: Können wir uns darauf einigen? | |
Es ist alles so kompliziert geworden. In der Wirtschaft. In der Politik. | |
Und in den Parteien dominieren fade Polittaktierer. Außerdem sind die | |
Linken zerstritten, sie könnten sich ohnehin auf nichts einigen. In | |
Deutschland sitzen jetzt schon bald vier Parteien in den Parlamenten, die | |
sich gegenseitig die Stimmen progressiver Wähler abjagen wollen. Und große | |
Ziele – „Visionen“, wie das mit einem abgegriffen Begriff bezeichnet wird | |
–, die hat doch ohnehin keiner mehr. Wird doch eh nie was draus? | |
Halt! Weiß ja jeder; ist ja alles wahr irgendwie. Aber irgendwie auch | |
nicht. Die Linken sind seit jeher sehr talentiert darin, sich in 80 Prozent | |
der Fragen einigermaßen einig, in 20 Prozent aber uneinig zu sein – und | |
dann obsessiv auf diesen 20 Prozent Meinungsunterschieden herumzureiten. | |
Wie wär’s, wenn man einmal die 80 Prozent im Auge behielte, auf die sich | |
alle vernünftigen Leute einigen können sollten? | |
1. Es geht nicht gerecht zu. Aber das kann man ändern | |
Wir alle kennen die Statistiken, wir haben viele Charts und Grafiken | |
gesehen, mit bunten Kurven und Balkendiagrammen: Die Ungleichheit wächst in | |
den vergangenen 30 Jahren praktisch überall in den westlichen | |
Marktwirtschaften. Die Löhne sinken seit 15 Jahren. Und auch die | |
Vermögensungleichheit nimmt immer stärker zu. | |
Das ist nicht nur ungerecht, sondern zerreißt Gesellschaften. Je größer die | |
Ungleichheit, desto schlechter lebt es sich in einem Land. | |
Wir wissen auch, wie es dazu kam: Wir haben überall in Europa | |
Unternehmensteuern gesenkt, Vermögensteuern reduziert oder abgeschafft, | |
Erbschaftsteuern bis auf null reduziert. Das kann man ändern: In einem Maß, | |
das die Ungleichheiten sukzessive ein wenig reduziert. | |
2. Ungerechtigkeit schadet. Gerechtigkeit nützt | |
Die kapitalistische Marktwirtschaft zerstört sich gerade selbst. Das sagen | |
nicht nur Sahra Wagenknecht oder Jean Ziegler, das sagen auch der | |
Starökonom Nouriel Roubini oder der milliardenschwere Investor Warren | |
Buffett und neuerdings sogar OECD und IMF. | |
Denn wenn die Produktivität wächst, ein paar Prozent immer mehr Millionen | |
und Milliarden anhäufen und die Einkommen der breiten Masse sinken – wer | |
soll dann noch die tollen Waren kaufen, die Jahr für Jahr mehr produziert | |
werden? | |
Umverteilung von oben nach unten ist deshalb auch wirtschaftlich nützlich. | |
Nein: Sie ist beim gegenwärtigen Stand der Dinge sogar unumgänglich. | |
3. Gerechtigkeit nützt aber nicht nur wirtschaftlich | |
Grobe Ungleichheit ist nicht nur für eine entwickelte Marktwirtschaft Gift. | |
Sie verpestet auch die Gemeinwesen. Denn Ungleichheit verhindert soziale | |
Mobilität. | |
Wer in unterprivilegierte Verhältnisse hineingeboren wird, ist oftmals ein | |
geborener Verlierer. Das schürt Ressentiments und macht schlechte Stimmung, | |
ist die Ursache sozialer Pathologien von Kriminalität bis Suizid. Grobe | |
Ungleichheit verschwendet die Talente von Menschen, die unter anderen | |
Bedingungen etwas beitragen könnten zum Fortschritt der Gemeinwesen. | |
4. Die Löhne müssen steigen | |
Umverteilung ist natürlich nur der zweitbeste Weg zu mehr Gerechtigkeit. | |
Das Beste ist, wenn das, was Ökonomen die „Primärverteilung“ nennen, schon | |
gerechter wird. Also Löhne rauf, besonders in den Niedriglohnsegmenten. Und | |
mögen vielen „modernen“ Linken Gewerkschafter auch oft „altmodisch“ | |
vorkommen, wenn die Gewerkschaften schwächer werden, dann sinken auch die | |
Löhne. | |
Die Arbeitsmarktreformen der vergangenen Jahren hatten sicher ein paar | |
positive Effekte, aber sie hatten einen großen negativen Effekt: Sie | |
zwangen Arbeitsuchende, auch Jobs zu sehr schlechten Bedingungen | |
anzunehmen. So entstand ein breiter Niedriglohnsektor, der dann plötzlich | |
auch auf mittlere Einkommen einen Sog nach unten ausübte. Das muss | |
repariert werden. | |
Ohnehin müssen die Löhne in Deutschland in den nächsten Jahren kräftig | |
steigen, damit die gefährlichen wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa | |
reduziert werden. | |
5. Reformiert die Europäische Union! | |
Vieles von dem kann man auch im traditionellen Nationalstaat reparieren. | |
Aber ein paar notwendige Dinge funktionieren nur im Rahmen der Europäischen | |
Union. Beispielsweise haben wir den Euro als Gemeinschaftswährung | |
eingeführt, die einzelnen Mitgliedsstaaten sind aber weiter für die | |
Kreditaufnahme zuständig. Sie verschulden sich in „eigener Währung“, haben | |
auf diese Währung aber keinen Einfluss mehr, als würden sie sich in | |
„Fremdwährung“ verschulden. Deshalb können Eurostaaten auch pleitegehen. | |
Länder wie die USA, Großbritannien oder Japan können das nicht.sch | |
Das ist die eigentliche Ursache der „Eurokrise“. Deshalb muss die EZB | |
garantieren, dass kein Euroland bankrottgehen wird – dass sie im Notfall | |
einspringen und Staatsanleihen direkt aufkaufen wird. | |
6. Investieren statt blöd sparen | |
Gegenwärtig glaubt man, weil man die großen Lösungen nicht will oder zu | |
feige für sie ist, mit Paniksparen „die Märkte“ beruhigen zu können. Der | |
Fiskalpakt heißt de facto: Wir senken sehenden Auges das | |
„Bruttoinlandsprodukt“ der EU. „Die Märkte“ wird das nicht beruhigen. … | |
es schon nicht realistisch zu schaffen ist, die „nationalen“ Staatsanleihen | |
völlig durch europäische Anleihen – „Eurobonds“ – zu ersetzen, wie w�… | |
dann, zusätzlich dazu Eurobonds aufzulegen, und dann investiert die | |
Europäische Kommission gezielt in die Krisenländer? | |
7. Reguliert die Finanzmärkte! | |
Aber natürlich ist es nicht damit getan, „die Märkte“ zu beruhigen. | |
Vergessen wir nicht, was uns die Krise eingebrockt hat: deregulierte | |
Finanzmärkte. Künftig sollte gelten: Normale Geschäftsbanken, die | |
Spareinlagen von Bürgern einsammeln und Kredite an Unternehmen vergeben, | |
genießen die staatliche Einlagensicherung; dafür dürfen sie nicht im | |
Finanzkasino mitzocken. Investmentbanken dagegen dürfen ihre Risiken nicht | |
in den normalen Bankensektor hineinstreuen. Kurzum: Es braucht wieder eine | |
Firewall zwischen diesen Sektoren. | |
Es ist sicher im Detail schwierig. Aber wofür haben wir die tollen | |
Spezialisten in der Finanzwirtschaft? Die sollen die Detailprobleme lösen. | |
Man müsste sie nur ordentlich unter Druck setzen, etwa indem man sagt: Ihr | |
habt drei Jahre Zeit, ordentliche Regeln auszutüfteln, ansonsten diktiert | |
euch die Regierung die Lösung. So hat das auch Franklin D. Roosevelt in den | |
1930er Jahren in den USA gemacht. Und es hat prima funktioniert. | |
8. Ein besseres Leben für alle | |
Bei alldem geht es nicht allein um Wirtschaftstechnokratismus, sondern | |
darum, dass alle Menschen bestmöglich an der Wohlfahrt teilhaben können. | |
Dass sie gute Jobs haben und dass sie aus ihrem Leben etwas machen und ihre | |
Talente entwickeln können. Das Wichtigste ist, dass wir zumindest für die | |
nächste Generation Startnachteile bekämpfen. Deshalb brauchen wir gute | |
Kindergärten, und Kindergartenpflicht für alle Vier- und Fünfjährigen und | |
gute gemeinsame Schulen für alle. Nivellierung nach oben! | |
Und das ist nicht nur ein Gebot der Fairness, sondern davon haben alle | |
etwas: Wir alle leben besser – letztendlich sogar die heute Privilegierten | |
–, wenn alle besser leben. | |
9. Der Green New Deal | |
Genau solch eine Verbindung des gesellschaftlich Erstrebenswerten mit dem | |
ökonomisch Nützlichen ist beispielsweise auch der Green New Deal. Seine | |
Idee ist es, Jobs und prosperierende Branchen zu schaffen, die gleichzeitig | |
Produkte anbieten, die uns allen nützen: intelligente Stromnetze, | |
nachhaltig gewonnene Energie, neue Formen des Wohnens, neue Formen der | |
Mobilität. | |
10. Wohlfahrt und Freiheit | |
Materielle Wohlfahrt ist nicht alles, aber sie ist schon auch eine | |
Bedingung für ein gutes Leben – oder anders gesagt: für Freiheit. Freiheit | |
heißt, dass jeder und jede ihr Leben nach den eigenen Präferenzen | |
gestaltet. Aber nichts beschneidet so sehr die Möglichkeiten, sein Leben | |
auf solche Weise „in Freiheit“ zu gestalten, wie materieller Mangel und | |
Deklassiertheit. | |
Man könnte diese Liste noch ewig fortsetzen – weitere Punkte hinzufügen, | |
auf die man sich einigen könnte, und ein paar noch, wo dann schon die | |
Differenzen beginnen, vom Afghanistankrieg bis zur Vorratsdatenspeicherung | |
bis zum Funktionieren unserer Demokratie. Hinzu kommt: Die einen halten | |
Reformmaßnahmen für ausreichend, die anderen würden gern „noch weiter | |
gehen“. Nun, das sollte einen aber doch nicht daran hindern, sich auf das | |
zu einigen, worauf man sich einigen kann. | |
Was meinen Sie: Kann man sich auf diese zehn Punkte einigen? | |
30 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Robert Misik | |
## TAGS | |
KPÖ | |
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