# taz.de -- Die Linke bei den Wahlen: Ein rettendes Angebot | |
> Wie findet die Linkspartei Wege aus der Krise? Wenn sie im Westen das | |
> Sektenhafte ablegt und im Osten offensiver den Konflikt mit der SPD | |
> riskiert. | |
Bild: Die Linke: Redet sie sich bei den Wahlen bald selbst an die Wand? | |
BERLIN taz | Der Finanzkapitalismus stürzt von einer Krise in die nächste. | |
Systemkritik ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die IG Metall | |
hat 2011 zum ersten Mal nach zwanzig Jahren der Schrumpfung wieder | |
Mitglieder gewonnen. Die Skepsis gegenüber den Verheißungen des Marktes ist | |
mehr als ein Feuilletonphänomen. | |
Eigentlich müsste dies der Linken nutzen. Doch das Gegenteil ist der Fall. | |
Im Osten stagniert die Partei, im Westen droht langsamer Zerfall. Für die | |
Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sieht es finster aus. | |
Es wäre das erste Mal, dass die Linkspartei aus Parlamenten wieder | |
herausfliegt. Warum? | |
Offenbar ist die Partei innerparteilich falsch justiert, um von der | |
Kapitalismusskepsis zu profitieren. Sie verfügt zwar mit Oskar Lafontaine | |
und Sahra Wagenknecht über zwei eloquente Kritiker, die scharf und | |
fachkundig analysieren, wo Fehler lagen und was zu tun wäre. Aber die | |
Wähler trauen ihnen nicht zu, dass dabei mehr als Rechthaberei herauskommt. | |
Denn machtpolitisch repräsentieren Lafontaine und Wagenknecht den Flügel, | |
der starrsinnig negativ auf SPD und Rot-Grün fixiert ist. So überzeugend | |
Lafontaines Systemkritik auch sein mag – zum Praxistest in einer | |
rot-rot-grünen Bundesregierung wird es mit ihm und Wagenknecht kaum kommen. | |
## Scharfzüngige Kritiker | |
Dem Realo-Flügel dagegen ist zuzutrauen, dass er einen Konsens mit Rot-Grün | |
finden kann. Allerdings haben die Ost-Pragmatiker bis jetzt nichts zur | |
Finanzkrise beigetragen und für Wagenknecht freundlich das Feld geräumt. | |
Die Linkspartei hat also scharfzüngige Kritiker der Finanzkrise, denen man | |
aus guten Gründen nicht zutraut, praktische Politik zu machen. Und jene, | |
die Realpolitik machen können, sind beim Thema Finanzkrise komplett | |
abgetaucht. Die Arbeitsteilung in pragmatische Macher hier und | |
Kapitalismuskritiker da nutzt der Partei als Ganzes nichts. | |
Nun kann man fragen, ob es für die Linkspartei im Bund nicht nützlicher | |
ist, für immer Opposition zu bleiben. Falls sie 2013, vielleicht wieder mit | |
Lafontaine als Vorsitzendem, einen harten „Alle gegen uns“-Wahlkampf | |
inszeniert, kann die Partei hoffen, zumindest ihre Kernklientel zu | |
mobilisieren. | |
Doch die Rolle als ewige Opposition widerspricht der inneren Logik jeder | |
demokratischen Partei. Und genau das ist die Linkspartei. Sie ist keine | |
revolutionäre Organisation, die das System stürzen will und das Parlament | |
als bloße Bühne gebraucht. Sie ist vielmehr eine reformistische, | |
etatistische Partei. Nur wenn sie auch regieren kann, ist sie ein | |
souveräner Akteur im Parlamentarismus. | |
Das heißt nicht, dass sie Regieren unter allen Bedingungen anstreben muss – | |
sie muss aber über die prinzipielle Möglichkeit verfügen, zu regieren. | |
Davon ist die Linkspartei weit entfernt – und die verbissene Abgrenzung von | |
der SPD treibt sie immer weiter davon fort. | |
Kurzfristig mag ein schrilles, lautes Nein zu Rot-Grün die schwankende | |
Partei stabilisieren. Doch auf ewig gestellt führt der Oppositionskurs in | |
die Sackgasse. Sozial ist die Klientel der Linkspartei eine Mixtur aus | |
abgehängter Unterschicht und oft im öffentlichen Dienst tätiger | |
Mittelschicht. Nur Opposition heißt, die sozial arrivierten Teile wieder an | |
SPD und Grüne zu verlieren. | |
## Annäherung an die Realität | |
Kann die Linkspartei also regierungsfähig werden? Das hängt von zwei | |
unterschiedlichen Lernprozessen ab: | |
Im Westen muss die Partei schleunigst die Sektenlogik überwinden. Denn | |
diese Logik – wir im Besitz der Wahrheit, dort der Rest der Gesellschaft – | |
ruiniert jede Partei. Mit der Kampfformel „alle gegen uns“ (Sahra | |
Wagenknecht) vernichtet man jede Chance, gesellschaftlichen Mehrheiten für | |
Reformen zu organisieren. Nun gibt es in der Tat, etwa in NRW, zaghafte | |
Anzeichen, dass der linke Flügel lernfähig ist. Die Fraktion machte dort | |
flexibel Realpolitik. | |
Überhaupt sind die Fraktionen in Kommunen und Landtagen Motoren im Prozess | |
der Annäherung an die Realität. Ableitungsmarxismus nutzt nichts, wenn man | |
über Ortsumgehungen befinden muss. Deshalb ist es dramatisch, dass die | |
Linkspartei nach Stuttgart und Mainz auch in Kiel und Düsseldorf an der | |
Fünfprozenthürde zu scheitern droht. Denn das politischen Abseits ist | |
Nährboden für abstrakten Radikalismus und Revolutionsphrasen. | |
## Mentale Hemmung im Osten | |
Im Osten muss die Linkspartei etwas anderes lernen: den Konflikt mit der | |
SPD. Die Bilanz von zehn Jahren Rot-Rot in Berlin war nicht schlecht – | |
unbegreiflich war allerdings, dass die Linkspartei keinen Konflikt mit | |
Wowereit riskierte, der sich in der Koalition oft wie ein schlecht | |
gelaunter Landadeliger aufführte. Darin zeigt sich eine mentale Hemmung der | |
Linkspartei Ost, die froh ist, endlich gesellschaftlich anerkannt zu sein. | |
Für dieses Defensive, Verdruckste, mag es viele biografische, historische | |
Gründe geben. Doch falls die Partei diese Mentalität nicht überwindet und | |
begrenzte Konflikte mit der SPD riskiert, wird sie jede Strahlkraft | |
verlieren. Denn gerade wenn zwei sozialdemokratische Parteien zusammen | |
regieren, gilt es dem Publikum den eigenen Daseinszweck klar zu machen. | |
Kurzum: Nur wenn diese beiden Prozesse gelingen – im Westen Überwindung des | |
Verbalradikalismus, im Osten mehr Selbstbewusstsein –, wird die Linkspartei | |
ein handlungsfähiges Zentrum ausbilden. Nur dann wird sie ihren | |
nervtötenden Personalclinch überwinden können und irgendwann im Bund | |
regierungsfähig werden. | |
Der Lackmustest dafür wird die Bundestagwahl 2013. Um in Sachen | |
Finanzmarktkrise nicht bloß rechthaberisch zu wirken, müsste die | |
Linkspartei Rot-Grün ein realistisches Angebot machen. Zum Beispiel: | |
Tolerierung von Rot-Grün, wenn zwei, drei zentrale Maßnahmen zur | |
Finanzmarktregulierung erfolgen. | |
Kein Missverständnis: Damit sind nicht Agitprop-Parolen wie nach 2005 | |
gemeint, als die Ankündigung, Rot-Grün zu stützen, mit der Aufforderung an | |
die SPD verbunden war, sich erst mal tonnenweise Asche aufs Haupt zu | |
schütten. Es geht um ein seriöses, für SPD und Grüne annehmbares Angebot. | |
Das heißt auch: kein aggressiver Anti-Rot-Grün-Wahlkampf 2013. Ist die | |
Linkspartei dazu in der Lage? Wenn nicht – wozu wird sie dann gebraucht? | |
4 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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