# taz.de -- Wahlkampf in Ägypten: Superlative zur Präsidentenwahl | |
> Es sei das erste Mal seit 7.000 Jahren, dass ÄgypterInnen den Präsidenten | |
> frei wählten, sagt ein Politologe. Den Menschen auf dem Lande sind | |
> profane Dinge viel näher. | |
Bild: Ein Künstler zeichnet Porträts von den Kandidaten Ahmed Shafiq (l.) und… | |
KAIRO taz | Einst war die Villa im Norden Kairos das Gästehaus des | |
verstorbenen Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat. Heute residiert hier | |
die oberste Wahlbehörde, das Herzstück der ägyptischen | |
Präsidentschaftswahl. | |
Drinnen im Krisenstab sind alle Vorbereitungen abgeschlossen, erzählt | |
Scharif Fahmi. Die Richter, die die 13.000 Wahllokale überwachen sollen, | |
sind aufgeteilt. Die mehreren hundert Beschwerden im Vorfeld, von Menschen, | |
die ihren Namen nicht auf dem Wählerverzeichnis finden, sind abgearbeitet. | |
Sie hätten angerufen, E-Mails geschickt oder die Wahlkommission auf ihrer | |
Webseite kontaktiert. Manche seien sogar persönlich gekommen. „Das zeigt, | |
dass die Menschen die Wahl ernst nehmen“, meint Fahmi. | |
Auch der prominente ägyptische Politologe Hassan Nafaa meint, dass die | |
Bedeutung dieser Wahl nicht überschätzt werden kann. | |
## Erste freie Präsidentenwahl | |
„Das erste Mal in der 7.000-jährigen Geschichte haben die Ägypter die Wahl, | |
ihre politische Führung frei zu bestimmen“, sagt er. Es sei das erste Mal, | |
dass die Ägypter zur Urne schreiten und nicht im Vorfeld wüssten, wie der | |
nächste Präsident heißt, sagt er. | |
„Wir haben aussichtsreiche Kandidaten aus zwei Lagern. Dem islamistischen | |
und den Vertretern des alten Regimes“, beschreibt er die Ausgangspunkte | |
dieser Wahlen. | |
„Gewinnt der Muslimbruder Mohammed Mursi, bedeutet das, dass die Islamisten | |
alle Institutionen kontrollieren. Das wäre sehr polarisierend“, analysiert | |
er. Gewinne dagegen jemand aus dem alten System wie Amr Mussa, der | |
ehemalige Chef der Arabischen Liga und einstige Außenminister Mubaraks, | |
oder Ahmed Schafik, dessen letzter Premier, „dann haben wir die alte Zeit | |
mit neuen Gesichtern“, glaubt er. | |
## Die dritte Option | |
Abdel Moneim Abul Futuh wäre eine dritte Option, meint Hassan Nafaa. Futuh | |
war wegen seiner liberalen Ansichten letztes Jahr aus der | |
Muslimbruderschaft ausgeschlossen worden und hat sich als | |
Präsidentschaftskandidat selbstständig gemacht. | |
Er gilt auch als ein Mann, der von Anfang an auf dem Tahrir-Platz aktiv | |
mitgearbeitet hat. Aber auch er ist umstritten: Für viele Ägypter ist er zu | |
liberal, für andere ist er doch ein verkappter Muslimbruder. | |
Es gab in Kairo in den letzten Wochen kaum ein anderes Gesprächsthema als | |
„wen wählst du und warum?“ Dabei scheint das Image der Islamisten seit den | |
Parlamentswahlen etwas angekratzt zu sein, selbst auf dem Land. | |
## Heruntergerissene Wahlplakate | |
Das zeigt sich recht bildlich am Eingang von Schobek, einem | |
8.000-Seelen-Dorf südlich von Kairo. Die Wahlplakate des | |
Muslimbruderkandidaten Mohammed Mursi am Eingang des Dorfes sind | |
heruntergerissen. Am Straßenrand in einer kleinen Hütte aus Schilf und | |
Palmwedeln sitzt eine Gruppe Bauern und trinkt Tee. | |
Sie alle hatten bei den Parlamentswahlen entweder Salafisten oder | |
Muslimbrüder gewählt, erzählen sie. Und auch in der Enttäuschung, dass | |
diese im Parlament nur reden und nichts getan haben, um die Lebensumstände | |
auf den Dörfern zu verbessern, sind sie sich einig. | |
Ein örtlicher Kader der Muslimbrüder, Mohammed Abad, beschwichtigt. „Nach | |
30 Jahren Diktatur kann man doch nicht erwarten, dass die Muslimbrüder mit | |
ihrer Parlamentsmehrheit über Nacht alle Probleme lösen“, wirft Abad ein. | |
Das wäre so, wie wenn man nach fünf Minuten ein Fußballteam auswechselt, | |
weil es noch kein Tor geschossen habe, fügt er hinzu. | |
## Eine Stimme für Amr Mussa | |
Dann bittet der Dorfvorsteher Ismail al-Sanuti in seinem Haus zur Audienz. | |
„Die Islamisten haben bisher überhaupt nichts gemacht“, wettert er. Die | |
Dorfbewohner prügelten sich um Diesel und Trinkwasser und der Kanal | |
verbreite weiter Krankheiten, beschwert er sich. Er werde Amr Mussa seine | |
Stimme geben, sagt er zum Abschied. | |
Am Rand des Dorfes steht Ali Farag vor seiner Dieselpumpe, die eigentlich | |
das Wasser aus dem Kanal auf seine Felder leiten soll. Im Moment steht sie | |
still, weil er keinen Dieselkraftstoff hat. Den gibt es seit Monaten nur | |
auf dem Schwarzmarkt zum doppelten Preis, erzählt er. | |
Er habe sich noch nicht entschlossen, wem er seine Stimme geben werde, aber | |
sicherlich nicht mehr einem Islamisten, kündigt er an. Welchem Kandidaten | |
die Ägypter mehrheitlich ihr Vertrauen schenken werden, ist offen. Der | |
Wahltag wird spannend. | |
23 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
Karim El-Gawhary | |
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