# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Ägypten: Ein Muslimbruder, ein Militär | |
> Im ersten Wahlgang liefern sich ein Islamist und ein Vasall des alten | |
> Diktators ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Präsidentschaft. Liberale | |
> Ägypter sind darüber entsetzt. | |
Bild: Premiere: Die ersten freien Präsidentschaftswahlen in Ägypten. | |
KAIRO taz | So etwas hat es im Land am Nil noch nie gegeben. Während der | |
Diktatur haben 90 Prozent der Ägypter dem Präsidenten auf wundersame Weise | |
ihr Ja-Wort gegeben. Doch dieses Mal gleicht die Auszählung der Stimmen bei | |
den Präsidentschaftswahlen einem Elfmeterschießen. Die Nerven der Ägypter | |
lagen blank. | |
Nach den ersten Auszählungen liegt der Kandidat der Muslimbrüder, Mohammed | |
Mursi vorne, gefolgt von dem Mubarak-Mann Ahmed Schafik. „Jetzt habe ich in | |
der Stichwahl die Option zwischen Selbstmord und einem Sprung in ein | |
Haifischbecken“, twitterte ein liberaler Ägypter. Es ist die Wahl zwischen | |
einem Islamisten und einem Restposten des alten Regimes. | |
Als am Nachmittag Ergebnisse aus den Provinzen bekannt wurden, wurde es | |
noch einmal knapp. Schafik und der Nasserist und arabische Nationalist | |
Hamdin Sabahi liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den für die Stichwahl | |
entscheidenden zweiten Platz. Der Sprecher Schafiks erklärte prompt die | |
„Revolution für beendet“ und verkündete, dass Ägypten mit der Hilfe | |
Schafiks vor „den Mächten der Dunkelheit“ gerettet würde. | |
„Die Ägypter müssen nun zwischen der Revolution und der Konterrevolution | |
wählen“, sagte der Chef der Partei der Muslimbrüder, Mohammed Beltagi. Die | |
Stichwahl werde ein Referendum über die Revolution. | |
## Der Apparat gewinnt die Wahl | |
Liegen Mursi und Schafik im ersten Wahlgang am Ende vorne, dann beweist | |
das, dass auch im Ägypten des Jahres 2012 immer noch jene gewinnen, die | |
einen Apparat hinter sich haben. Das gilt für Mursi und die | |
Muslimbruderschaft, deren Netzwerk sich seit 80 Jahren bis ins letzte Dorf | |
spannt. Wie ein ägyptischer Journalist vor den Wahlen sagte: „Die | |
Muslimbrüder können mit ihrer Maschinerie einen Hund zum Präsidenten | |
machen.“ | |
Das gälte dann aber noch mehr für den zweiten Wahlsieger Ahmed Schafik. Der | |
wurde von den Überbleibseln des alten Regimes ins Rennen geschickt, die | |
Netzwerke der einstigen Regierungspartei Mubaraks und der | |
Sicherheitsapparate haben für ihn mobilisiert. | |
Bei den Parlamentswahlen im Winter hatten die Muslimbrüder noch die Hälfte | |
der Stimmen bekommen. Heute ist ihr Kandidat Mursi von diesem Ergebnis weit | |
entfernt. Die Zustimmungsraten für die Islamisten sind gefallen, weil sie | |
keine Antworten auf die sozialen Probleme im Land gefunden haben. Aber die | |
Muslimbrüder haben mitgezeigt, dass sie mit ihren frommen Worten immer noch | |
genug Ägypter hinter sich bringen. | |
Der alte Mubarak-Apparat hatte dagegen nicht mit einer Ideologie | |
mobilisiert. Sein Kandidat Ahmed Schafik ist mit einer einzigen Botschaft | |
angetreten: „Ich habe politische Erfahrung und werde wieder für Ordnung und | |
Stabilität sorgen.“ | |
## Die ägyptische Gesellschaft ist verunsichert | |
Damit haben Mursi und Schafik nicht nur ihren Apparat genutzt, sondern die | |
Stimmung vieler Ägypter getroffen. Denn die ägyptische Gesellschaft ist im | |
Moment verängstigt und verunsichert. Mursi spricht die konservativen Sinne | |
der Ägypter an, Schafik verspricht, ihnen mit der Rückkehr zum Alten die | |
Unsicherheit zu nehmen. | |
Bleibt es bei der Kombination Mursi – Schafik, dann würde, wer immer am | |
Ende die Stichwahl gewinnt, das Land polarisieren. Für die Bewegung vom | |
Tahrirplatz hat Schafik, der während der Kamelschlacht im Aufstand gegen | |
Mubarak als Premier in Amt und Würden war, Blut an den Händen. Viele | |
fürchten, die Säuberung der Institutionen von den Vertreten des alten | |
Regimes würde ein Ende finden, die Tage des allmächtigen | |
Sicherheitsapparates wiederkehren. | |
Für den Militärrat, der im Hintergrund die Fäden zieht, ist Schafik ohnehin | |
der Traumpräsident. Es wäre also eine Vollbremsung der Revolution. | |
Allerdings müsste sich Schafik mit einem von Islamisten dominierten | |
Parlament und dem Widerstand vom Tahrirplatz plagen. | |
Würde Mursi Präsident, hätten die Muslimbrüder die absolute Hegemonie über | |
alle politischen Institutionen, vom Parlament zur Präsidentschaft. Aber | |
sowohl der Sicherheitsapparat als auch die Militärführung werden nicht mit | |
den Muslimbrüdern kooperieren, ebenso wenig wie Liberale und Säkularisten. | |
Sollte es doch noch Sabahi schaffen, dann hätten die Ägypter einen | |
Nasseristen in einem neuen demokratischen System. Ersteres kennen sie aus | |
der Diktatur Gamal Abdel Nassers, Letzteres wäre für die arabische Welt | |
völlig neu. Würde nicht Schafik, sondern einer der anderen Kandidaten | |
Präsident, würden als Nächstes seine Kompetenzen gegenüber dem Militärrat | |
ausgehandelt. Der hat zwar versprochen, sich aus der Politik | |
zurückzuziehen. Doch das glaubt in Ägypten kaum jemand. | |
25 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
Karim El-Gawhary | |
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