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# taz.de -- Schengengrenze Polen-Ukraine: Auf der Standspur
> Benzin, Alkohol, Zigaretten: Am Übergang Korczowa/Krakowez leiden Händler
> unter der schleppenden Abfertigung – trotz zweier neuer Trassen.
Bild: Wenn es während der EM zu Staus kommen sollte, dann nur bei den Polen.
Der Holländer schüttelt ungläubig den Kopf. Sein graues Haar ist zerzaust,
in der Hand hält er den orangefarbenen Löwen, das Maskottchen der
Nationalmannschaft. Seine Freundin auf dem Beifahrersitz lächelt. Soeben
haben beide mit ihrem Wohnwagen die polnisch-ukrainische Grenze passiert.
Alles hat nur fünfzehn Minuten gedauert.
Hier am Grenzübergang Korczowa/Krakowez verläuft die E 40, eine der
Hauptverbindungen zwischen Mittel- und Osteuropa. Derzeit ist es die
wichtigste Route für die Fußballpilgerer. Es ist der direkte Weg nach
Lemberg und weiter nach Kiew.
Für den Holländer führt der Weg bis nach Charkiw in der Ostukraine. Dort
absolviert seine Mannschaft alle drei Gruppenspiele. Ein langer Weg, mehr
als 1.000 Kilometer noch, über große Teile führt die Strecke einspurig
durch geschlossene Orte, gerade mal 15 Kilometer Autobahn nach Kiew,
mindestens einmal will er übernachten, bis er endlich vor Ort ist.
Doch im Moment hat er keine Angst vor den Strapazen. Überglücklich fährt er
los, das Zauberwort „Euro 2012“ mit dem Maskottchen hat wie ein
Passierschein gewirkt.
## Uralte Ladas und Golfs
Zwei Spuren hat man am Grenzübergang für die EM-Fans eingerichtet, auf der
polnischen Seite wurde sogar auf jeder Spur mit gelber Farbe „Euro 2012“
dick aufgetragen. Auf diesen Spuren ist noch nicht viel los. Auf den
anderen schon. Hier staut sich der Verkehr. Uralte Ladas und Golfs bilden
eine lange Schlange, die sich an diesem Tag relativ flott bewegt.
Vielleicht nur, weil das Fernsehen da ist.
Die meisten Fahrer sind kleine Händler aus der Grenzregion. Die Polen und
die Ukrainer halten sich mit denselben Geschäften über Wasser. Hier werden
Benzin, Alkohol, Zigaretten umgeschlagen, meistens sogar in erlaubten
Mengen. Dazu lohnt es sich für die Ukrainer, in polnischen Baumärkten oder
bei Großhändlern einzukaufen, auch viele Lebensmittel sind in Polen
wesentlich billiger.
Die Dame im roten Golf, der 25 Jahre alt sein dürfte, will sich im nächsten
Supermarkt in Polen eindecken. Oxana kommt aus der Stadt Jaworiw in
Grenznähe. Obwohl es nur eine Reise von 40 Kilometern ist, muss sie dafür
normalerweise einen Tag einplanen. Für umgerechnet 50 Euro darf sie
Lebensmittel zollfrei in die Ukraine einführen.
## Kilometerlanger Stau
Heute steht sie schon seit anderthalb Stunden da, mindestens eine Stunde
wird es noch dauern. Trotzdem ist das eine enorme Verbesserung. Vor einem
Monat sah es hier noch ganz anders aus. Da hatten die polnischen Zöllner
für bessere Arbeitsbedingungen gestreikt. Die einen meldeten sich krank,
die anderen kontrollierten besonders penibel jedes Auto. Das Resultat:
kilometerlange Schlangen auf beiden Seiten.
Bei Roman, der in seinem alten dunkelblauen Passat nur wenige Meter vor
Oxana steht, hat es einmal 36 Stunden gedauert. Der kräftige Mann schwitzt
auf dem Sitz in der prallen Sonne, aussteigen darf man hier nicht. Von der
allgemeinen EM-Begeisterung will er nichts wissen. „Es ist dadurch alles
nur teurer geworden. Die Straße wurde repariert, die zur Grenze führt, aber
wie viel hat das gekostet? Wie viel Geld wurde dabei gestohlen?“
Roman will in Polen billiges Wellblech beim Großhändler und Rohre für
Wasserinstallationen kaufen. Bei Nichtlebensmitteln darf man Waren im Wert
von bis zu 200 Euro pro Person zollfrei einführen. Normalerweise nimmt man
zwei Freunde mit, Blech und Rohre kommen auf den Gepäckträger. Roman ist
gerade dabei, sein Haus zu renovieren, durch solche Reisen spare er
mindestens 30 Prozent.
Aber die Grenze ist und bleibt ein Problem, obwohl das, was er macht, ganz
legal ist. Das ärgert ihn immer wieder. „Mal rührt sich stundenlang nichts
auf der ukrainischen Seite, dann wieder bleibt das Leben auf der polnischen
Seite stehen. Und niemand erklärt uns, warum.“
## Gemeinsame Kontrollen
Wenn es während der EM zu Staus kommen sollte, dann nur bei den Polen. Die
ukrainischen Grenzer und Zöllner werden ausnahmsweise mit den polnischen
Kollegen auf dem polnischen Territorium Kontrollen durchführen. Dadurch
soll das Prozedere beschleunigt werden. Beide Seiten beteuern, dass sie für
das erhöhte Verkehrsaufkommen gewappnet sind.
Die Ukrainer rechnen mit einer Steigerung von etwa 30 Prozent, die Polen
wollen auch mit der Verdoppelung der Grenzübertritte fertig werden und
dabei die Sicherheit der EU-Außengrenze nicht aus den Augen verlieren. Die
Schmuggler und Schleuser werden auf jeden Fall ihr Glück versuchen.
Warum für eine schnellere Abfertigung überhaupt erst eine Fußball-EM
notwendig war, bleibt ein Rätsel. Aber auch sie hilft nur bedingt. Denn ein
Normalreisender wird wohl viel mehr Zeit brauchen, um über die Grenze zu
kommen. Auch die Kleinhändler haben während der EM offenbar das Nachsehen.
Das richtige Leben an der Grenze kehrt wohl erst nach den Wettbewerben
zurück. Mit neuen Schlangen und neuem Warten.
9 Jun 2012
## AUTOREN
Juri Durkot
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