# taz.de -- EM-Volunteers in der Ukraine: „Vergesst den Krieg“ | |
> Die EM-Freiwilligen werden in Kursen auf Linie gebracht. Sie sollen das | |
> Image der Ukraine aufpolieren und Besuchern den Weg weisen – bis jetzt | |
> langweilen sie sich. | |
Bild: „Wir sind keine Barbaren!“ Ukrainische Volunteers in Kiew. | |
KIEW taz | Seit der sportlich schon tot geglaubte Fußballsenior Andrij | |
Schewtschenko die ukrainische Nationalmannschaft am Dienstag mit zwei Toren | |
vorerst an die Spitze der Gruppe D geschossen hat, steht die ganze Ukraine | |
Kopf. Auch Olga fiebert mit, ist aber trotzdem ein wenig enttäuscht. Seit | |
dem vergangenen Freitag ist die 18-jährige Flugzeugbau-Studentin in der | |
Hauptstadt Kiew als eine von 2.000 „Volontjory“ anderthalb Kilometer von | |
dem Olympiastadion eingesetzt. | |
Diese sogenannten Freiwilligen sind an Bahnhöfen, Flughäfen, | |
U-Bahn-Stationen und in den Fanmeilen postiert. Sie arbeiten täglich sechs | |
Stunden und sollen ausländischen Besuchern während der | |
Fußball-Europameisterschaft den Weg weisen: ins Stadion, zu Unterkünften | |
und Sehenswürdigkeiten sowie Supermärkten, zur Bevorratung mit den nötigen | |
Spirituosen. | |
Noch hat Olga, die gerne ihr Englisch ausprobieren würde, wenig zu tun. | |
Bislang habe sie kaum jemand um Hilfe gebeten. „Da entsteht vielleicht der | |
Eindruck, dass in der Ukraine niemand Englisch sprechen kann.“ Aber lustig | |
sei es trotzdem. „Die Atmosphäre ist gut. Ich und meine Kollegen, wir sind | |
ein gutes Kollektiv“, sagt sie. | |
So lustig wie jetzt war es Wochen vor der EM nicht für alle Volontjory und | |
für die Studenten schon gar nicht. Wegen der EM wurde das Studienjahr um | |
einen Monat verkürzt, was viele Hochschüler zu außerplanmäßigen | |
Nachtschichten zwang, um sich auf die Prüfungen vorzubreiten. Überdies | |
mussten die Akademiker in spe vorfristig ihre Plätze für Gäste in den | |
Studentenunterkünften räumen. | |
Auch die Tätigkeitsbezeichnung „freiwillig“ wurde oft kreativ ausgelegt. | |
Volontjory, die sich weigerten an halbtägigen Übungseinsätzen am Flughafen | |
teilzunehmen, wurden von einigen Dozenten bei Tests gnadenlos durchfallen | |
gelassen. Da war es auch kein Trost, dass die Auserwählten wenigstens bis | |
zum 1. Juli in ihren Wohnheimen bleiben dürfen. | |
## Lächeln fürs Image | |
Pädagogische Universität Dragomanova, in der Pirogova-Straße im Zentrum | |
Kiews. Rund 300 Studenten haben sich im Auditorium zu einer dreistündigen | |
Volontjory-Schulung eingefunden. Für die Unterweisung im sowjetischen Stil | |
von einer Bühne herunter ist eine Frau mittleren Alters zuständig – mit | |
toupiertem Haar, einem langem Rock und Stöckelschuhen, auf denen | |
schätzungsweise 100 Kilogramm Lebendgewicht lasten. | |
Nacheinander begrüßt sie Gruppen von zwei Dutzend Kiewer Fakultäten, die | |
sich jedes Mal erheben müssen, und nennt deren jeweiligen Einsatzort. Dafür | |
gehen locker 30 Minuten drauf. Die Einpeitscherin kommt zum Wesentlichen. | |
„Das Image der Ukraine im Ausland ist nicht so, wie es sein sollte. | |
Aber es liegt an euch, dieses Image aufzubessern“, brüllt sie ins | |
Mikrophon. „Unsere Gäste können wir mit unseren Straßen nicht beeindrucken. | |
Dafür aber mit unserem Verstand und unserer Kultur. Verhaltet euch klug, | |
intelligent und moralisch! Ihr seid wichtiger als die Fußballspieler.“ | |
Dann wird den Anwesenden in einem Film erläutert, was eine Fanmeile ist, | |
die Instrukteurin hat so lange Sendepause. Nach dem Aufklärungsfilm ist sie | |
wieder dran. Über deutsche Fans sagt sie: „Wenn ihr ihnen begegnet, begrüßt | |
sie mit einem Lächeln. Und vergesst, was im Zweiten Weltkrieg passiert | |
ist.“ | |
## Toiletten und Essen | |
Viele Studenten haben abgeschaltet, kritzeln Kreise in ihre Blöcke. | |
Vereinzelt ist ein Kichern zu hören. Die hintersten Reihen leeren sich. Die | |
Saalflucht entgeht der Agitatorin nicht. „Diese Leute sind von der Liste | |
der Volontjory zu streichen“, donnert es aus dem Lautsprecher. | |
Diejenigen, die noch ausharren, treiben andere Probleme um als die | |
Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg. Ob es für die Volontjory | |
genug Toiletten und etwas zu essen gebe, will eine junge Frau wissen. Eine | |
andere fragt, wie die Helfer abends nach Hause kommen sollen. Schließlich | |
werden im Stadtzentrum während der EM mehrere U-Bahnhöfe geschlossen. | |
Dererlei Sorgen erweisen sich als unbegründet. Stille Örtchen für die | |
Volontjory seien in ausreichender Anzahl vorhanden und begehbar, erzählt | |
eine Hilfskraft. Für alle gebe es pro Tag ein Getränk sowie eine Suppe | |
nebst Hauptgericht. Auch Busse und Bahnen führen zwei Stunden länger als | |
sonst. | |
Unterdessen hofft Olga, dass sie bald mehr zu tun bekommt. „Wir müssen doch | |
beweisen, dass hier nicht nur Barbaren leben. Und ich wünsche mir, dass ich | |
das schöne Gesicht der Ukraine zeigen kann“, sagt sie. Die Schulung hat | |
offensichtlich gewirkt. | |
15 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
Barbara Oertel | |
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