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# taz.de -- Ukraine bei der Fußball-EM: Der große Unberechenbare
> Oleg Blochin ist für seinen harten Umgangston bekannt und trainiert die
> ukrainische Nationalelf. Alles Nieten, sagt er, aber vielleicht sind sie
> für eine Überraschung gut.
Bild: Großer Sympathieträger: Oleg Blochin, Trainer der ukrainischen Mannscha…
KIEW taz | So hat man Oleg Blochin lange nicht mehr erlebt, sagen die
einen. So hat man den Trainer der ukrainischen Nationalmannschaft überhaupt
noch nie erlebt, meinen die anderen. Die Verwunderung ist groß an diesem
Donnerstagabend im Kiewer Valerij-Lobanowski-Stadion.
Beim öffentlichen Training läuft der als schweigsamer und steifer Betonkopf
verschriene Blochin feixend über den Platz, scherzt mit seinem Co-Trainer
und ist nicht einmal zu den Spielern, von denen es heißt, sie hätten
regelrecht Angst vor ihm, besonders streng. Als er später sagt, dass er als
Spieler „unberechenbar“ gewesen sei, dass er es heute als Trainer sei, dass
auch seine Mannschaft unberechenbar sei, man glaubt es ihm.
Man muss ihm ohnehin glauben. Der Mann gibt sich so, als sei er allein der
ukrainische Fußball. Was sind schon die aktuellen Spieler? Nieten. Auch das
hat Blochin vor dem ersten Spiel der Gastgeber am Montagabend gegen
Schweden gesagt. Die Stürmer würden nicht treffen und die Verteidiger
könnten nicht tackeln. Nur gut, dass es Oleg Blochin gibt. Würde der
ukrainische Fußball ohne ihn überhaupt existieren?
## Eine Legende schon als Spieler
Blochin weiß, dass man ihn braucht. Er lebt davon, dass er Legende ist. Das
war er schon als Spieler. In den 70er Jahren war er der beste sowjetische
Fußballer. Mit Dynamo Kiew gewann er zweimal den Europapokal der
Pokalsieger, schoss in 433 Spielen für Dynamo Kiew, den großen Klub seiner
Geburtsstadt, 211 Tore und wurde 1975 zu Europas Fußballer des Jahres
gewählt.
Große Klubs in Westeuropa bemühten sich vergeblich um Blochin. Die Sowjets
hatten große Mühe, ihn zu halten. Sie sorgten dafür, dass es dem jungen
Mann gut ging. Heute erzählt der mittlerweile 59-Jährige gerne, wie toll er
sich gefühlt hat als junger Bursche mit 20 Jahren, der mit einer weißen
Limousine der Marke Wolga durch Kiew chauffierte. Er war ein gut
ausgestatteter Sowjet-Promi.
Ganz spät erst, als die Privilegien im bröckelnden Sowjetreich im Vergleich
zum Lebensstandard der Stars im Westen immer weniger wert wurden, wechselte
Blochin ins Ausland, um in seinem Karriereherbst noch ein paar Devisen
einsammeln zu können.
Als er 1988 zum österreichischen Zweitligisten Steyr wechselte, waren seine
besten Tage lange vorbei. Als Spieler konnte er nicht mehr viel erreichen.
Die Sportwelt lachte über die österreichische Episode des einst so
schnellen Stürmers. Den Spieler Blochin gab es da schon nicht mehr. Als
Legende in seiner Heimat jedoch war er längst unsterblich.
Doch seine Heimat veränderte sich. Aus dem Sowjetsuperstar wurde der
Hoffnungsträger des jungen Staates Ukraine. Diese Rolle füllte er aktiv
aus. 1998 ließ er sich ins Parlament wählen. Mit seinen politischen
Ansichten hatte das wenig zu tun. Die kennt bis heute kaum einer.
Vielleicht hat er auch keine.
Zu dieser Zeit arbeitete er als Trainer bei verschiedenen Klubs in der
griechischen Liga. Da war er eine kleine Nummer. In der Ukraine dagegen
kennt ihn jeder, jedem Kind wird von seinen Heldentaten im Dynamo-Trikot
berichtet. Dass er nur selten an den Sitzungen des Parlaments teilnahm,
wurde ihm nicht übel genommen. Die Mächtigen des Landes zogen an ihm.
Der Kiewer Oligarch Hrihorij Surkis, der dem ukrainischen Fußballverband
vorsteht, wollte ihn für die „Vereinigten Sozialdemokraten“, eine Art
politische Interessenvertretung der Superreichen im Land, gewinnen. Doch
der sah sein Heil zunächst woanders. Surkis verwehrte der Dynamo-Legende
sogar den Zutritt zum Vereinsgelände, um ihn für sich zu gewinnen.
## Die kommunistischen Fraktion
Doch Blochin wusste nicht so recht, wo es für in hingehen sollte. Er
schloss sich der kommunistischen Fraktion an, verließ diese, trat ihr
wieder bei, unterstützte kurz auch Julia Timoschenko, bis die ein erstes
Mal verhaftet wurde. Schließlich ließ er sich doch überreden, Surkis’
Oligarchentruppe beizutreten.
Im Oktober 2002, er hatte gerade ein wenig erfolgreiches Engagement als
Trainer beim griechischen Kleinklub Ionikos Nikaia beendet, kehrte er in
die Ukraine zurück. Kein Jahr später war er Nationaltrainer und strickte
weiter an seiner Legende. Er führte die Ukraine zur WM 2006. Der Einzug ins
Viertelfinale ist bis heute der größte Erfolg der jungen Fußballnation.
Jetzt ist er zurück an der Linie. Dass sein Team sich nicht für die EM 2008
qualifizieren konnte, woraufhin Blochin zurücktrat, daran dachte niemand,
als im vergangenen Jahr der Trainerposten bei der Nationalmannschaft wieder
vakant wurde. Blochin erklärte sich bereit, den Job noch einmal zu machen.
Man konnte ihm schlecht absagen. Wenn die Spieler nicht allzu viel taugen,
hilft es vielleicht, wenn zumindest der Trainer eine Legende ist, mag man
sich gedacht haben.
Man weiß, was man an Blochin hat. Er steht für die Erinnerung an große
sowjetische Tage und den Wunsch vieler, dass einige von ihnen in der
Ukraine weiterleben mögen. Was diese Mixtur ergeben wird, kann keiner
sagen. Blochin hat wohl recht. Sein Team ist ebenso unberechenbar wie die
Ukraine als Ganzes.
11 Jun 2012
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
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