# taz.de -- Stichwahl zur Präsidentschaft in Ägypten: Die Wahl der kleineren … | |
> Bei der Präsidentenwahl haben die Ägypter nur zwei Möglichkeiten: Sie | |
> können entweder gegen einen neuen Diktator oder gegen die Muslimbrüder | |
> stimmen. | |
Bild: Will den Sieg von Ahmed Schafik verhindern: Gamal Abdel Nasser. | |
KAIRO taz | Vielleicht ist es eines der vielen kreativen Videos, die nur | |
wenige Tage vor der Präsidentschaftsstichwahl in Ägypten kursieren, die das | |
Ganze am besten ausdrücken: Der Kandidat und Muslimbruder Muhammad Mursi | |
tritt in einem Playstation-Game gegen seinen Gegner, Ahmad Schafik an, den | |
letzten Premier Mubaraks. | |
Der kleine, aber zäh wirkende Schafik mit nacktem Oberkörper, setzt immer | |
wieder Schläge gegen den dicken und untersetzten Mursi im weißen | |
Karate-Outifit an, die der aber wegsteckt,bevor er selber zuschlägt. | |
Nach einer guten Kampfminute, erscheinen die beiden Spieler, ebenfalls als | |
Karikaturen, mit dem Controller auf dem Sofa sitzend. „Ich glaube ich | |
gewinne“, sagt der oberste Chef der Muslimbrüder, Muhammad Badie. | |
Unbeeindruckt antwortet der Chef des Militärrates Muhammad Tantawi, der | |
Schafik lenkt: „Vergiss nicht, dass die Playstation mir gehört“. | |
Tatsächlich haben die beiden Game-Kontrahenten in den letzten Tagen im | |
wirklichen Leben politische Schläge ausgeteilt. Mursi lässt keine | |
Gelegenheit aus, Schafik als Mann des alten Regimes zu brandmarken. Der | |
widerherum spricht gerne von den Milizen der Muslimbrüder, die nur darauf | |
warten, das Land zu übernehmen. Dabei versucht Schafik die Fakten zu | |
verdrehen und schiebt die Verbrechen des Mubarak-Regimes in den letzten | |
Tagen des Diktators, als er selbst Ministerpräsident war, den Muslimbrüdern | |
in die Schuhe. | |
Bei der berüchtigten Kamelschlacht auf dem Tahrir während des Aufstandes, | |
behauptet Schafik, hätten in Wirklichkeit Scharfschützen der Muslimbrüder | |
die Menschen auf dem Tahrir erschossen, entgegen allen Aussagen und sogar | |
Videoaufnahmen, die zeigen, dass das Mubarak-Regime damals selbst | |
Scharfschützen rund um den Tahrir postiert hatte. „Schafik tut so, als | |
könnte man das Gedächtnis der Ägypter auslöschen“, lautet die Antwort der | |
Muslimbrüder. | |
Im realen Leben bekommt man in einem alten Wohnhaus aus den 1920er Jahren | |
wenige hundert Meter vom Tahrir-Platz entfernt hinter jeder Tür eine andere | |
und doch sehr typische Antwort. Im sechsten Stock wohnt in der kühlen | |
Altbauwohnung mit hohen Decken Gamal Abdel Nasser mit seiner Frau und einem | |
seiner Söhne. Der Leiter einer Schreibwarenfiliale war während des | |
Aufstandes mit seiner Familie selbst auf dem Tahrir. Er werde Mursi wählen, | |
kündigt er an, wenngleich mit ein wenig Bauchschmerzen. | |
## Mann des alten Regimes | |
„Ich wähle ihn nicht wegen meiner Liebe zu den Muslimbrüdern, sondern weil | |
Schafik das alte Regime repräsentiert, das wir nach 30 Jahren endlich | |
losgeworden sind“, sagt er. Schafik habe die mächtige Armee und den alten | |
Sicherheitsapparat hinter sich. Wenn der Präsident werde, hätten die | |
Ägypter nichts erreicht. Nasser will Stabilität und eine Säuberung der | |
staatlichen Institutionen von den Resten des alten Regimes. Mit Schafik als | |
Präsident würde das Gegenteil geschehen. Er würde die Männer des alten | |
Regimes wieder zurückbringen. | |
Natürlich höre er auch bei den Diskussionen genau zu, in denen darüber | |
gesprochen wird, dass die Muslimbrüder sich an der Macht festsetzen könnten | |
und man sie, wie einst die Regierungspartei Mubaraks, nur schwer wieder | |
loswerden würde. „Das beeinflusst mich natürlich“, sagt Nasser. | |
Aber das ganze Gerede von Schafik, der die Muslimbrüder mit den Taliban | |
oder Bin Laden vergleicht, entspreche auch nicht der Wahrheit. „Vielleicht | |
entwickeln die Muslimbrüder so ein Potential wie die Islamisten in der | |
Türkei. Damit sollten wir Ägypten vergleichen“, meint er. Sicher ist er | |
sich aber nicht, nur darin, dass Schafik um jeden Preis verhindert werden | |
muss. | |
Im dritten Stock des Hauses liegt die Praxis des Internisten Reda Amer. | |
Sein Wartezimmer ist voll. Auch er wählt das seiner Meinung nach kleinere | |
Übel. Nur, dass das für ihn Schafik ist. Für Amer geht es darum einen | |
Präsidenten der Muslimbrüder zu verhindern. „Wenn die an die Macht kommen, | |
dann werden sie jede Opposition zum Feind Gottes erklären“, befürchtet der | |
Arzt. Dann werde Ägypten wie Afghanistan. Vor allem aber hofft er, dass | |
Schafik wieder für Ruhe und Ordnung sorgt. | |
„Wir leben jetzt eineinhalb Jahre im Chaos. Es gibt keine Arbeit und das | |
Land ist unproduktiv, die Sicherheitslage und der Verkehr sind eine | |
Katastrophe“, sagt er. Vielleicht könnte Schafik das in den Griff kriegen. | |
Schafik sei aus seinen Zeiten in der Armee und später bei der staatlichen | |
Fluglinie Egypt Air als Tyrann bekannt. „Dieser Defekt könnte Ägypten jetzt | |
kurzfristig nützen“, glaubt er. Und schließlich habe das Land jetzt | |
unabhängige Medien und eine starke Opposition, die, so hofft Amer, | |
verhindern, dass Schafik das Rad in die alten Zeiten zurückdrehen könne. | |
Schafik hätte vier Jahre Zeit, das Land wieder zu stabilisieren und dann | |
könne man ihn schließlich wieder abwählen. | |
## Der Beste für das Land | |
Unten, im Eingang des Gebäudes sitzt die Pförtnerin Amna neben dem Aufzug. | |
Auch sie wird Schafik die Stimme geben. Der sei das Beste für das Land, | |
habe der Doktor oben gesagt und der müsse es schließlich wissen. | |
Unten im Eingang zum Gebäude sitzt die Pförtnerin Amna neben dem Aufzug. | |
Auch sie wird Schafik die Stimme geben. Der sei das Beste für das Land, | |
habe der Doktor oben gesagt und der müsse es schließlich wissen. | |
Für die jungen Tahrir-Aktivisten ist Bloggerin Zeinobia repräsentativ. „Ich | |
werbe hier nicht für Mursi“ erklärt sie in ihrem Blog, um dann eine Tirade | |
gegen Schafik loszutreten. Wenn man dessen Wahlkampfleiter google, stellt | |
sich heraus, dass sie allesamt aus Mubaraks Regierungspartei kämen. Die | |
Journalisten, die ihn unterstützen, seien die alten korrupten aus der | |
Mubarak-Zeit. Sogar die Männer aus der Staatssicherheit, zitiert sie andere | |
Quellen, riefen schon wieder selbstbewusst ihre Kontakte an, um sie darauf | |
vorzubereiten, dass es nach dem Sieg Schafiks wieder an die Arbeit geht. | |
14 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
Karim El-Gawhary | |
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