| # taz.de -- Ägypten vor der Präsidentschaftsstichwahl: Ein eindeutiges Sowohl… | |
| > Die Muslimbrüder, stärkste politische Kraft des Landes, sehen untätig zu, | |
| > wie das Militär ihnen per Parlamentsauflösung die Errungenschaften der | |
| > Revolution nimmt. | |
| Bild: Auf dem Tarirplatz wird wieder demonstriert. | |
| KAIRO taz | „Ich respektiere die Entscheidung des Verfassungsgerichts“ und | |
| „ich liebe unsere Armee“. Das waren die ersten Reaktionen Muhammad Mursis, | |
| des Präsidentschaftskandidaten der Muslimbruderschaft, am späten | |
| Donnerstag. Die obersten Richter hatten gerade das Parlament aufgelöst und | |
| damit den Muslimbrüdern, die 46 Prozent der Sitze inne haben, ihre | |
| institutionelle Machtbasis unter den Füßen weggezogen. Gleichzeitig | |
| bestätigten sie Ahmad Schafik, den als Kandidaten des Militärs geltenden | |
| Konkurrenten Mursis in der Präsidentschaftsstichwahl am Wochenende, als | |
| rechtmäßigen Kandidaten. | |
| Muhammad al-Beltagi, Vize der Freiheit und Gerechtigkeitspartei, die die | |
| Muslimbruderschaft im Parlament vertritt, beschrieb dagegen zum gleichen | |
| Zeitpunkt die Entscheidung des Gerichts als „Staatsstreich“. Es ist der | |
| klassische Muslimbruder-Spagat: Sie sprechen vom Staatsstreich und | |
| mobilisieren gleichzeitig für die Wahl. | |
| Die zwiespältige Reaktion von Ägyptens größter islamistischer Bewegung | |
| entsprach ihrem langjährigen Verhaltensmuster unter Mubarak, hin- und | |
| hergerissen zwischen ihrer Rolle als Opposition und dem Wunsch, doch ein | |
| Teil des Systems zu sein. Und auch diesmal haben sie sich entschieden, | |
| nicht auf Konfrontationskurs zu gehen. | |
| Daher haben die Muslimbrüder auch nicht die Straße mobilisiert. Um aber das | |
| „revolutionäre Wählerpotenzial“ abzuschöpfen, verschärfte Mursi gegen | |
| Mitternacht auf einer Pressekonferenz den Ton. Denn will er die Wahlen | |
| gewinnen, muss er sich als revolutionäre Kraft darstellen, um alle Ägypter | |
| anzusprechen, die den Bruch mit dem alten System wollen. | |
| „Es gibt kein Zurück mehr, auch wenn sich das Mubarak-Regime immer wieder | |
| neu erfindet“, erklärte Mursi. Und dann kam der wichtigste Satz des Abends: | |
| „Es gibt keine andere Option, als die Revolution an der Urne fortzusetzen.“ | |
| In anderen Worten: Wer die Konterrevolution verhindern will, der wähle | |
| mich. | |
| ## Wahlboykott als Protest | |
| Nicht alle Revolutionäre sind davon überzeugt. Der bekannte Schriftsteller | |
| und Tahrir-Aktivist Alaa al-Aswani fragt in einem Essay: „Wenn du Fußball | |
| spielst und sich herausstellt, dass der Schiedsrichter offen für die andere | |
| Seite pfeift und alle deine Tote abpfeift, würdest du dann weiterspielen | |
| oder öffentlich protestieren?“ Dann ruft er dazu auf, ungültig zu wählen. | |
| Auch Friedensnobelpreisträger Mohammed al-Baradei, der sich geweigert | |
| hatte, bei der Präsidentschaftswahl zu kandidieren, solange der oberste | |
| Militärrat das Land beherrscht, rief jetzt erneut dazu auf, die Wahl zu | |
| boykottieren. „Diese Wahlen bringen nur einen neuen Kaiser zu Thron“, ohne | |
| Parlament und ohne Verfassung, sagte er in einem Interview am Freitag. Er | |
| ließ aber auch kein gutes Haar an den Muslimbrüdern. „Sie wollen den ganzen | |
| Kuchen für sich selbst“, sagte al-Baradei. Er erwartet, dass Schafik die | |
| Wahlen gewinnt. | |
| Schafik gab sich in einer Pressekonferenz nach der Gerichtsentscheidung | |
| siegessicher und sprach fast schon in der gleichen Art und Gestik wie | |
| früher Mubarak. „Die Zeit, in der Rechnungen beglichen wurden, in dem man | |
| Gesetze gegen bestimmt Personen maßschneiderte, sind vorbei“, triumphierte | |
| er. | |
| Kurios geht es indes rund um das aufgelöste Parlament zu. Soldaten, die das | |
| Gebäude bewachen, hatten am Freitag die Order, keinen Abgeordneten | |
| durchzulassen. Der Parlamentspräsident und Muslimbruder Saad al-Katatni | |
| erklärte dagegen, dass das Parlament bisher nicht offiziell von der | |
| Auflösung informiert worden sei. Und über all dem hängt immer noch die | |
| Frage, ob das Militär einem gewählten Präsidenten überhaupt die Macht | |
| abgeben wird. | |
| 15 Jun 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Karim Gawhary | |
| Karim El-Gawhary | |
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