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# taz.de -- Kommentar Ägypten: Weicher Staatsstreich
> Es gibt einen klaren Gewinner: Die Überreste des Mubarak-Systems. Und
> einen klaren Verlierer: das Parlament, die einzige demokratische
> Institution Ägyptens.
Bild: Wieder aktuell: „Stürzt mit Mubarak“ steht auf der Fahne. Foto vom 2…
Ein Druck auf den Reset-Button und schon steht Ägypten wieder am
Anfangspunkt – also fast am 11. Februar 2011, dem Tag als Mubarak gestürzt
wurde. Die Entscheidung des Verfassungsgerichtes, das Parlament aufzulösen
und den Mubarak-Mann Ahmad Schafik doch für die Stichwahlen zur
Präsidentschaft zulassen, wird von jenen, die den Diktator gestürzt haben,
wie ein weicher Staatstreich angesehen.
Mit der Auflösung des Parlaments nur wenige Tage vor den
Präsidentschaftswahlen ist ein gefährliches Vakuum entstanden. Der nächste
Präsident agiert ohne parlamentarische Kontrolle und ohne eine richtige
Verfassung. Zusammen mit dem obersten Militärrat, der bis zu den Neuwahlen
die Legislativmacht besitzt, hat er eine schier unbegrenzte Machfülle. Das
gilt vor allem, wenn der Mann des Militärs und des alten Regimes, Schafik,
in das höchste Amt des Staates gewählt wird.
Es gibt einen klaren Gewinner der Entscheidung des Verfassungsgerichtes:
die Überreste des alten Systems. Und einen klaren Verlierer: die einzige
demokratische Institution des Landes und dort vor allem die Muslimbrüder
und die Salafisten, die zu 70 Prozent in dieses Parlament gewählt worden
waren. Wird jetzt ein neues Parlament gewählt, dann gibt es im Vergleich
zur letzten Wahl zwei wichtige Neuerungen: Die Islamisten haben in den
letzten Monaten viel von ihrem Nimbus verloren.
Sie werden von vielen in der Bevölkerung, die sich noch vor ein paar
Monaten für sie begeistert haben, als ineffektiv angesehen. Zweitens sind
die Netzwerke des alten Regimes heute wesentlich besser geküpft. Das zeigt
die Popularität des Mubarak-Mannes Ahmad Schafik, der viele Ägypter
überzeugt, als starker Mann mit seinem Ruf nach Ordnung und Stabilität.
Beides, der langsame Fall der Islamisten und die schleichende
Wiederbelebung des alten Regimes kann dazu führen, dass das alte System
sich durch die Hintertür wieder Zugang verschafft.
Der Militärrat hat mit seinem Zickzackkurs den revolutionären Geist, wenn
nicht zur Strecke gebracht, so zumindest in einen dauerhaften
Schwindelzustand versetzt. Die Tahrir-Aktivisten wurden als Chaoten
stigmatisiert. Die staatliche Propagandamaschine hat es geschafft, dass
große Teile der Bevölkerung nicht die Blockadepolitik der alten
Seilschaften des Regimes, sondern die Demonstranten für den mangelnden
Fortschritt verantwortlich machen. Dem Innenministerium ist es gelungen,
die Polizei monatelang nicht arbeiten zu lassen - bis dann eben viele nach
einem neuen Tyrann rufen.
Das Militär hat das Parlament seit seiner ersten Sitzung zappeln lassen, um
eine Verfassungsklage vom Januar erst dann aus der Tasche zu ziehen, als
das alte Regime sich politisch wieder besser aufgestellt hatte. Noch aber
hat jede Bewegung des Militärs und der erstarkenden Restposten des Regimes
zu einer Gegenbewegung geführt - das ist die ägyptische Dialektik seit dem
Sturz Mubaraks. Wenngleich die Formel „Regime 2.0 = Revolution 2.0“ zu
einfach ist.
„Wir sind aufgebracht, aber zu erschöpft“, lautete die Zusammenfassung
eines der Tahrir-Aktivisten, nach der Entscheidung des
Verfassungsgerichtes. Die müssen sich jetzt erst einmal entscheiden, ob sie
über den Coup gegen die Islamisten glücklich oder die Rückkehr des alten
Regimes schockiert sein sollen.
15 Jun 2012
## AUTOREN
Karim Gawhary
Karim El-Gawhary
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