| # taz.de -- Mubarak zu lebenslanger Haft verurteilt: Jubel und Wut | |
| > Ägyptens Ex-Machthaber Mubarak muss lebenslang ins Gefängnis. Die | |
| > Staatsanwaltschaft hatte die Todesstrafe gefordert. Ein | |
| > Berufungsverfahren könnte Freisprüche bringen. | |
| Bild: Ägypten nach dem Urteil. Jubel und Wut sind nah beieinander. | |
| KAIRO taz | „Lebenslänglich“ für Expräsident Husni Mubarak und seinen | |
| Innenminister Habib Adli, Freispruch für sechs ehemals hochrangige | |
| Polizeioffiziere und die beiden Mubarak-Söhne Gamal und Alaa – die Urteile, | |
| die ein Gericht in Ägyptens Hauptstadt am Samstag sprach, sind so konfus | |
| wie der Prozess gegen die wichtigsten Repräsentanten des alten Regimes | |
| selbst. | |
| So musste sich Mubarak gegen drei Anklagen gleichzeitig behaupten. Erstens | |
| war ihm Mitverantwortung für den vorsätzlichen Mord an Demonstranten | |
| während des Aufstandes 2011 zur Last gelegt worden. | |
| Hier ging es um den Nachweis, dass der Schießbefehl damals vom | |
| Staatsoberhaupt persönlich ausging. Zweitens wurde Mubarak vorgeworfen, | |
| Bestechungsgelder des Bauunternehmers Hussein Salem angenommen zu haben, | |
| der sich damit billiges Staatsland im Badeort Scharm al-Scheich am Roten | |
| Meer gekauft haben soll. | |
| Drittens war Ägyptens ehemaliger starker Mann angeklagt, Geschäfte des | |
| Ex-Ölministers Sameh Fahmy für dessen Firma East Mediterranean Gas Company | |
| autorisiert zu haben, mit dem dieser ägyptisches Erdgas weit unter dem | |
| Weltmarktpreis an Israel verkauft haben soll. | |
| Für schuldig befand das Gericht Mubarak jedoch nur im ersten Anklagepunkt. | |
| Die Korruptionsvorwürfe akzeptierte der Richter nicht, weil sie verjährt | |
| seien. Noch komplexer wurde der Prozess, weil die ohnehin schon kunterbunte | |
| Anklagen-Palette nicht nur mit einem weiteren Verfahren – gegen den | |
| Ex-Innenminister und sechs ehemalige Polizeioffiziere – zusammengelegt | |
| worden war. Auch die Korruptionsvorwürfe gegen die beiden Mubarak-Söhne | |
| wurden gleich mitverhandelt. | |
| ## Kuddelmuddel völlig verschiedener Anklagepunkte | |
| Dieses Kuddelmuddel völlig verschiedener Anklagepunkte, die wiederum auf | |
| verschiedene Angeklagte unterschiedlich angewandt werden, hatte System und | |
| sollte absichtlich Verwirrung stiften, glaubt Aschglan Aglan. Der Anwalt, | |
| der die Nebenklagen einiger der Familien der 840 Opfer vertritt, die | |
| während des Aufstands erschossen worden waren, wirft vor allem der | |
| Staatsanwaltschaft Schlamperei vor. | |
| „Die Staatsanwaltschaft hat den Fall von Anfang an nicht ernst genommen“, | |
| so der Opfer-Anwalt. „Sie hat sich als Opfer dargestellt, wie eine | |
| machtlose Straßenverkäuferin, und sich beim Richter beschwert, dass die | |
| Sicherheitsbehörden nicht mit ihr kooperieren.“ | |
| Tatsächlich hätten Innenministerium und Staatssicherheit die Zusammenarbeit | |
| sabotiert. Beweise seien verschwunden, die meisten Zeugenaussagen | |
| widersprüchlich und damit unbrauchbar gewesen. Die Staatsanwaltschaft haben | |
| zwar die Macht gehabt, jene, die die Zusammenarbeit verweigern, selbst vor | |
| Gericht zu stellen. „Aber nichts dergleichen ist geschehen“, so der Anwalt. | |
| Dabei spiele auch eine Rolle, dass der oberste Staatsanwalt seine Ernennung | |
| Mubarak verdanke. | |
| ## Nur Bruchstücke der Verbrechen kamen zur Sprache | |
| Der Richter hatte dann in seiner Urteilsbegründung der Staatsanwaltschaft | |
| vorgeworfen, keine konkreten Beweise für die Schießbefehls-Befehlskette | |
| vorgelegt zu haben. Zudem verwies er in seinem Urteilsspruch darauf, dass | |
| die eigentlichen Täter am Ende der Befehlskette bisher nicht zur | |
| Rechenschaft gezogen wurden. Tatsächlich gibt es zwar zahlreiche Verfahren | |
| gegen Polizisten, die während des Aufstandes auf Demonstranten geschossen | |
| hatten – aber bisher wurde kein einziger verurteilt. | |
| „Dass diese Urteil auf so schwachen Füßen steht, ist beabsichtigt“, glaubt | |
| der prominente Opferanwalt Amir Salem. Damit werde der Weg geebnet, um den | |
| Expräsidenten und seinen Innenminister im Berufungsverfahren | |
| freizusprechen. Denn wenn es laut dem Kairoer Gericht keine Beweise für | |
| Verbrechen gebe, werde die Berufung das aktuelle Urteil genau deswegen | |
| anfechten. Dass die Korruptionsvorwürfe gegen Mubaraks verjährt seien, | |
| findet der Anwalt skandalös – denn dann hätten diese Vorwürfe erst gar | |
| nicht in die Anklageschrift aufgenommen werden dürfen. | |
| Das Problem des gesamten Verfahrens war, dass nur Bruchstücke der | |
| Verbrechen der Mubarak-Zeit zur Sprache kamen. Kein Wort von der | |
| systematischen Folter in Polizeistationen während der 30-jährigen | |
| Herrschaft des Expräsidenten. Auch bei der Korruption wurde nur die Spitze | |
| des Eisberges verhandelt. | |
| Die Folge: ein zu lebenslanger Haft verurteilter Exdiktator, der laut | |
| Urteil nicht korrupt ist. Ein Innenminister, der verurteilt wurde, obwohl | |
| es keine Beweise dafür gibt, dass er für die Taten seiner Untergebenen | |
| verantwortlich ist. „Mit diesem Urteil“, fasst Salem zusammen, „hat der | |
| Richter den Freispruch für Mubarak und seinen Innenminister im | |
| Berufungsverfahren auf dem Silbertablett serviert.“ | |
| 2 Jun 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Karim Al-Gawhary | |
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