| # taz.de -- Historiker über die EM in der Ukraine: „Die Führung in Kiew ein… | |
| > Der Historiker Jörg Baberowski plädiert dafür, dass demokratische | |
| > Politiker den EM-Spielen in der Ukraine fernbleiben. Das trifft die | |
| > Verantwortlichen am empfindlichsten. | |
| Bild: Der Uefa sind die politischen Verhältnisse in der Ukraine egal, sagt Jö… | |
| taz: Herr Baberowski, ist es angemessen, zur Fußball-EM in der Ukraine über | |
| die dortigen Menschenrechtsverletzungen zu sprechen? | |
| Jörg Baberowski: Natürlich. Und ich würde mir mehr von diesen | |
| Interventionen wünschen. Leider wird die Ukraine anders als Russland | |
| behandelt. | |
| Inwiefern? | |
| Die Ukraine wirkt bei uns, auch in ihrer Selbstrepräsentation, als Teil | |
| Europas. Bei Russland drückt man hingegen jedes Auge zu, und zwar mit dem | |
| Hinweis, dass es dort ohnehin nie etwas anderes gegeben hat als die | |
| Diktatur. | |
| Russland … | |
| … hat diesen Putin, so könnte man diesem Denken zufolge sagen, offenbar | |
| verdient! Bei der Ukraine hingegen ist man der Auffassung, dass es an | |
| Europa heranrücken soll, weil es ein Teil davon ist – und deshalb müssten | |
| andere, kritischere Maßstäbe angelegt werden. | |
| Welche Maßstäbe wären denn für die Ukraine und deren inhaftierte | |
| Politikerin Julia Timoschenko angemessen? | |
| Jene, die für alle Länder gelten müssen: dass Menschen, die anderer Meinung | |
| sind, nicht umgebracht oder eingesperrt werden. | |
| Man müsste in der Ukraine jetzt während der EM mehr machen – was heißt das | |
| konkret? | |
| Man könnte mit dem Regime so verfahren wie mit der Regierung in Minsk. Die | |
| EU hat die Beziehungen zum weißrussischen Regime auf Eis gelegt und | |
| erklärt, dass der Diktator Lukaschenko und seine Gefolgsleute in der EU | |
| unerwünschte Personen sind. | |
| Nützt es der demokratischen Opposition in der Ukraine, wenn ein westlicher | |
| Politiker nicht zu einem EM-Spiel reist? | |
| Unbedingt! Ich weiß, dass auch in der Ukraine das Symbolische eine | |
| ungeheure Bedeutung hat – wie ja auch in Russland. Wir im Westen mögen das | |
| als Nebensächlichkeit verstehen, aber die politischen Eliten unternehmen | |
| alles, damit sie als Teil Europas angesehen werden. Wenn sie allein auf der | |
| Ehrentribüne sitzen müssen, trifft sie das heftig. | |
| Empfände die ukrainische Bevölkerung das nicht auch als unhöflich gegen das | |
| Land selbst? | |
| Nein, sie würde erkennen, dass ihre Regierung nicht anerkannt wird. | |
| Würden Sie Kanzlerin Merkel abraten, zum Fußball nach Kiew zu fliegen? | |
| Oh ja. Der Opposition würde diese Geste helfen, sich gegenüber der | |
| Regierung als eigentliche Europäer zu profilieren. In der Bevölkerung wird | |
| registriert, dass die Herrschenden boykottiert werden. | |
| Was halten Sie jenseits der aktuellen Politik von Besuchen deutscher | |
| Fußballspieler im früheren Konzentrationslager von Auschwitz? | |
| Besuche in Auschwitz finde ich problematisch, wenn sie nicht aus einem | |
| inneren Bedürfnis heraus kommen. Wenn ein Mannschaftsbus Spieler auswirft, | |
| die auswendig gelernte Sätze aufsagen, ist das entwürdigend. Eine solche | |
| ritualisierte Gedenkkultur lässt die Erinnerung an den Holocaust zu einer | |
| lästigen Pflichtveranstaltung verkommen. | |
| Den meisten Fußballfans ist das Politische vermutlich irgendwie egal. | |
| Natürlich ist denen das jetzt einerlei. Daraus sollte man aber nicht | |
| schlussfolgern, dass die Fans, die jetzt ihren Spaß haben wollen, für | |
| solche politischen, historischen Fragen nicht sensibilisiert werden können. | |
| Man erreicht nur das Gegenteil, wenn man sagt: Das ist falsch, dass ihr | |
| jetzt hier Spaß habt, ihr müsst noch einen Pflichtbesuch in Auschwitz | |
| ableisten. | |
| Würde hat bei diesem Spaß keinen Raum? | |
| Genau. | |
| Heißt das dann nicht, dass Sport etwas Würdeloses hat? | |
| Alles, was mit Spaß zu tun hat, hat wenig mit Würde zu tun. Ich habe noch | |
| keinen Politiker gehört, der – etwa beim Eurovision Song Contest in | |
| Aserbaidschan – verlangt hat, nun müsse Würde ins Spiel kommen. Oder man | |
| müsse vorher noch einen Kranz niederlegen. Beim Fußball scheint das anders | |
| zu sein. | |
| Warum ist das so? | |
| Weil dieser Sport eine größere nationale Bedeutung hat, weil Nationen | |
| gegeneinander antreten? Vielleicht ist es das. Spaßveranstaltungen haben | |
| aber immer die Funktion, das, was man Würde nennt, hinter sich zu lassen – | |
| sonst wäre es ja kein Spaß. | |
| Was kann man tun, wenn ein Event wie die EM in einem Land wie der Ukraine | |
| stattfindet? | |
| Man hält dagegen, indem man seinen Spaß hat, die Vertreter des Regimes | |
| ignoriert und sie auf keinen Fall aufwertet! Kein demokratischer Politiker | |
| Europas sollte ihnen seine Aufwartung machen und sich auf die Tribüne neben | |
| den ukrainischen Präsidenten setzen. Einfach ignorieren – das ist | |
| Schlimmste, was man ihnen antun kann. | |
| Und die Touristen, die nach Charkow, Lemberg oder Donezk fahren und | |
| nebenbei Land und Leute kennenlernen? | |
| Wie wunderbar! Dass sich Menschen in Europa treffen, ist doch gut. Ich bin | |
| gegen die Isolierung eines Landes und seiner Bevölkerung. Je mehr | |
| Begegnungen, desto besser. | |
| Michel Platini, der Uefa-Chef, hat sich neben Präsident Viktor Janukowitsch | |
| auf die Tribüne gesetzt. | |
| Die Uefa hat wirtschaftliche Interessen. Herrn Platini ist es egal, wer in | |
| der Ukraine regiert. Oder in Russland. Er würde sich auch mit Putin auf die | |
| Ehrentribüne setzen. Aber die Politiker müssen das ja nicht nachmachen. | |
| 27 Jun 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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