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# taz.de -- Die Kanzlerin und die Nationalmannschaft: 1. FC Merkel
> Mit Akribie und Disziplin hat die Bundeskanzlerin ihre Partei und der
> Bundestrainer sein Team modernisiert. Und wer nicht spurt, der fliegt.
Bild: Angela Merkel beim Viertelfinalspiel Deutschland gegen Griechenland am So…
BERLIN taz | „Wenn eine Bundeskanzlerin vorneweg geht, ist das für uns
Spieler natürlich umso schöner.“ Sami Khedira lächelt, als er in der
Pressekonferenz vor dem Viertelfinale gegen Griechenland auf Angela Merkel
angesprochen wird. Ein Glücksbringer sei sie, „eine sympathische, offene
Frau, die sich für Fußball interessiert“.
Bei Merkels Besuch vor Beginn des Turniers hatte DFB-Präsident Wolfgang
Niersbach schon gesagt: "Wir wissen es sehr zu schätzen, wenn Sie zwischen
all den nicht ganz unwichtigen Dingen die Zeit finden, zu Ihrer Mannschaft
zu reisen."
Seit der Heim-WM 2006 unterhält Merkel ein inniges Verhältnis zu „ihrer
Mannschaft“. Insofern wäre es nur konsequent, wenn sie trotz der
politischen Widrigkeiten, die dies nach sich ziehen könnte, zu einem Finale
mit deutscher Beteiligung nach Kiew reisen würde.
Die öffentlich inszenierte Verbundenheit zum deutschen Team ist jedoch mehr
als der übliche Versuch eines Politikers, den Fußball zu
instrumentalisieren. Löw und Merkel verbindet mehr. Sie regiert, wie er
trainiert, und umgekehrt. Die gemeinsamen Werte sind: bedingungslose
Loyalität, eiserne Selbstkontrolle, strenge Akribie und höchste Disziplin.
Mit diesen Mitteln haben die Bundeskanzlerin ihre Partei und der
Bundestrainer seine Mannschaft modernisiert.
Nur so lassen sich Bestleistungen erbringen. Nur so gewinnt und verteidigt
man Titel und Ämter. In einem solchen Gefüge ist weder Platz für einen
dauerpubertierenden Jermaine Jones (Löw: „Wir stellen nach Leistung auf,
nicht nach Tattoos“) noch für einen abschreibenden Verteidigungsminister.
Durch dieses Raster fallen die Dämlichen (Kevin Kuranyi) ebenso wie die
Eitlen (Norbert Röttgen), die Antiquierten (Torsten Frings) wie die
Querulanten (Friedrich Merz).
## Souveräner Umgang mit den Medien
Damit einher geht ein souveräner Umgang mit den Medien, der jedweden
Konflikt befriedet. Im Fall von Jones, der sich 2009 beklagte („Man muss
beim DFB immer die Klappe halten und kuschen“), antwortete Löw via Bild:
„Es ist Unsinn zu behaupten, dass wir Spieler wollen, die den Mund halten.
Im Gegenteil: Wir wünschen uns Spieler, die ihre Meinung sagen und
Verantwortung übernehmen.“
Merkels diplomatisches Chiffre an dieser Stelle hätte gelautet: „In dieser
Frage müssen wir eine gemeinsame Lösung finden.“ Im Klartext: Wer nicht
spurt, fliegt raus. Zuletzt bekam dies Jérôme Boateng nach seinem
Meet-and-Greet mit Gina-Lisa Lohfink zu spüren. „Selbstverständlich hat er
eine Bringschuld – hier auch!“ Löws Zorn spiegelt sich stets in einem
geschwäbelten stimmlosen S-Laut, nie in einer offen Auseinandersetzung.
Ohnehin würde dies einen für Löw untragbaren Kontrollverlust bedeuten.
Der Frikativ zischte auch wieder durch die Luft, als jemand aus dem
DFB-Tross frühzeitig die Aufstellung im Griechenland-Spiel verraten hatte:
„Das ist nicht in meinem Sinne, wenn das passiert.“ Für Löw ist der Satz
eine formvollendete professionelle Drohgebärde.
Die Prinzipien des Trainers im Umgang mit den Journalisten hat kein Spieler
so verinnerlicht wie Kapitän Philipp Lahm. Mühelos schafft er es,
aufgeklärt-engagiert zu wirken (Homophobie-Debatte, Statement zu den
politischen Verhältnissen in der Ukraine, Besuch in Auschwitz) und zugleich
das Münchner CSU-Publikum zu verzücken, nicht zuletzt, weil er sich selbst
gerne als heimatverbunden und familienorientiert darstellt.
## Lahm ist Vorbild für den Nachwuchs
Lahm verbindet Gespür für Machtfragen (Ballack ausgebootet) mit
herausragenden fußballerischen Fähigkeiten, ohne dass er jemals einen
Konflikt mit ungewissem Ausgang riskieren würde. So verkörpert er ein
konsensfähiges und werbewirksames Vorbild für den Nachwuchs. Es gibt keine
Brüche.
Die große Mehrheit der 23 Nationalspieler in Polen und der Ukraine sind das
Ergebnis der Entwicklung, die nach dem desaströsen Vorrunden-Aus bei der EM
2000 begann. Danach wurde die Nachwuchsarbeit komplett umgekrempelt. Alle
Proficlubs mussten fortan Leistungszentren einrichten. Man setzte speziell
geschulte Trainer ein und legte neben der taktischen, technischen und
physischen Ausbildung auch Wert auf die Persönlichkeitsentwicklung der
Talente.
Was das konkret bedeutet, hat Sami Khedira am Dienstag in der Süddeutschen
Zeitung erzählt: „Keine Ohrringe, keine Kapuzen, keine langen Haare, kein
Stirnband. So wie ich heute aussehe, hätte ich damals nicht spielen dürfen.
[…] Es wurde uns ständig eingetrichtert: Immer schön tiefstapeln, nie den
Star raushängen, sagt nicht, dass ihr die Besten seid – zeigt es!“
Heute sind die Spieler durchgestylte Markenbotschafter des Deutschen
Fußballbundes und für Merkel ein gesellschaftlicher Leistungsnachweis der
Bundesrepublik, ein Symbol für eine Souveränität, die über jede Krise
hinwegschwebt.
## Keiner macht mehr grobe Fehler
Die Nationalspieler von heute begehen öffentlich keine groben Fehler und
diktieren den Journalisten ausschließlich Druckreifes. Noch 1997 fragte
Mario Basler nach einem Besuch der Holocaustgedenkstätte Jad Vaschem 1997
in Israel: „Trainer, hat’s so was wirklich gegeben?“ Eine solche
Peinlichkeit ist heute unvorstellbar.
Das Bildungsniveau in der Mannschaft hat deutlich zugenommen, die Spieler
werden bereits im Nachwuchsbereich dazu angehalten, die schulische
Ausbildung nicht zu vernachlässigen. Die Profis von heute sind politisch
korrekt. Wofür sie politisch genau stehen, weiß man jedoch nicht – auch das
haben sie mit Merkel gemein.
All dies summiert sich in dem aktuellen [1][EM-Spot einer deutschen
Automarke]: Neuer, Hummels und Co. verkörpern den „Pulsschlag einer neuen
Generation“. Sie sind Elitekämpfer – keine Praktikanten. Der pathetisch
überladene Spot generiert Löws Team als Spitze einer fußballerischen
Evolution – als „A-Klasse“. Der Sozialdarwinismus, der sich darin spiegel…
ist bemerkenswert: Am Ende sind jene, die sich lernwillig anpassen,
diejenigen, die Erfolg haben. Denkt man beispielsweise an die Atomdebatte
nach Fukushima, gilt dieses Prinzip für die Kanzlerin gleichermaßen. Sie
führt ihre Regierung seit jeher mit einem bis ans Schizophrene grenzenden
zwanghaften Opportunismus.
Ein Unterschied bleibt: Die Frau im grünen Blazer hat zwar in ästhetischer
Hinsicht den Rumpelfußball überwunden, von der Eleganz, für die der Löwsche
Fußball steht, ist sie aber weit entfernt. Doch ihre Sehnsucht danach
scheint sehr groß zu sein.
28 Jun 2012
## LINKS
[1] http://www.youtube.com/watch?v=vNmlHgUKNXQ
## AUTOREN
Jan Scheper
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